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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL I.
mals aufstellte, dass es den Achäern nicht mehr freistehe ohne
Erlaubniss der Römer Krieg zu führen, drückte, freilich mit übel-
klingender Schärfe, die einfache Wahrheit aus, dass die formelle
Souveränetät der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war
und jeder Versuch dem Schatten Leben zu verleihen nothwendig
dahin führen musste auch den Schatten zu vernichten. Aber ein
Tadel schwerer als der gegen die Beherrschten ist gegen die
herrschende Gemeinde zu richten. Es ist für den Menschen wie
für den Staat eine schwere Aufgabe in die eigene Bedeutungslo-
sigkeit sich zu finden; des Machthabers Pflicht und Recht ist es
entweder die Herrschaft aufzugeben oder durch Entwickelung
einer imponirenden materiellen Ueberlegenheit die Beherrschten
zur Resignation zu nöthigen. Der römische Senat that kei-
nes von beiden. Von allen Seiten angerufen und bestürmt
unterliess der Senat nicht beständig in den Gang der africani-
schen, hellenischen, asiatischen, ägyptischen Angelegenheiten
einzugreifen; allein er that dies in einer so unsteten und schlaf-
fen Weise, dass durch diese Schlichtungsversuche die Verwirrung
gewöhnlich noch ärger ward als sie schon war. Es war die Zeit
der Commissionen. Beständig gingen Beauftragte des Senats nach
Karthago und Alexandreia, an die achäische Tagsatzung und die
Höfe der vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibirten,
berichteten und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht
selten ohne und gegen den Willen des Senats entschieden. Es
konnte geschehen, dass Kypros, welches der Senat dem kyrenäi-
schen Reich zugeschieden hatte, nichts desto weniger bei Aegypten
blieb; dass ein syrischer Prinz den Thron seiner Vorfahren bestieg
unter dem Vorgeben ihn von den Römern zugesprochen erhalten
zu haben, während ihm derselbe in der That vom Senate aus-
drücklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von
Rom entkommen war; ja dass die offenkundige Ermordung eines
römischen Commissars, der im Auftrag des Senats vormundschaft-
lich das Regiment von Syrien führte, gänzlich ungeahndet hinging.
Die Asiaten wussten zwar sehr wohl, dass sie nicht im Stande seien,
den römischen Legionen zu widerstehen; aber sie wussten nicht
minder, wie wenig der Senat geneigt war den Bürgern Marsch-
befehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu ertheilen. So ging es
in diesen fernen Landschaften zu wie in der Schulstube, wenn
der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment brachte die
Völker zugleich um die Segnungen der Freiheit und die einer
consequenten Hegemonie. Für die Römer selbst aber war die Lage
der Dinge im Osten insofern bedenklich, als an ihrer so gut wie

VIERTES BUCH. KAPITEL I.
mals aufstellte, daſs es den Achäern nicht mehr freistehe ohne
Erlaubniſs der Römer Krieg zu führen, drückte, freilich mit übel-
klingender Schärfe, die einfache Wahrheit aus, daſs die formelle
Souveränetät der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war
und jeder Versuch dem Schatten Leben zu verleihen nothwendig
dahin führen muſste auch den Schatten zu vernichten. Aber ein
Tadel schwerer als der gegen die Beherrschten ist gegen die
herrschende Gemeinde zu richten. Es ist für den Menschen wie
für den Staat eine schwere Aufgabe in die eigene Bedeutungslo-
sigkeit sich zu finden; des Machthabers Pflicht und Recht ist es
entweder die Herrschaft aufzugeben oder durch Entwickelung
einer imponirenden materiellen Ueberlegenheit die Beherrschten
zur Resignation zu nöthigen. Der römische Senat that kei-
nes von beiden. Von allen Seiten angerufen und bestürmt
unterlieſs der Senat nicht beständig in den Gang der africani-
schen, hellenischen, asiatischen, ägyptischen Angelegenheiten
einzugreifen; allein er that dies in einer so unsteten und schlaf-
fen Weise, daſs durch diese Schlichtungsversuche die Verwirrung
gewöhnlich noch ärger ward als sie schon war. Es war die Zeit
der Commissionen. Beständig gingen Beauftragte des Senats nach
Karthago und Alexandreia, an die achäische Tagsatzung und die
Höfe der vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibirten,
berichteten und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht
selten ohne und gegen den Willen des Senats entschieden. Es
konnte geschehen, daſs Kypros, welches der Senat dem kyrenäi-
schen Reich zugeschieden hatte, nichts desto weniger bei Aegypten
blieb; daſs ein syrischer Prinz den Thron seiner Vorfahren bestieg
unter dem Vorgeben ihn von den Römern zugesprochen erhalten
zu haben, während ihm derselbe in der That vom Senate aus-
drücklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von
Rom entkommen war; ja daſs die offenkundige Ermordung eines
römischen Commissars, der im Auftrag des Senats vormundschaft-
lich das Regiment von Syrien führte, gänzlich ungeahndet hinging.
Die Asiaten wuſsten zwar sehr wohl, daſs sie nicht im Stande seien,
den römischen Legionen zu widerstehen; aber sie wuſsten nicht
minder, wie wenig der Senat geneigt war den Bürgern Marsch-
befehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu ertheilen. So ging es
in diesen fernen Landschaften zu wie in der Schulstube, wenn
der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment brachte die
Völker zugleich um die Segnungen der Freiheit und die einer
consequenten Hegemonie. Für die Römer selbst aber war die Lage
der Dinge im Osten insofern bedenklich, als an ihrer so gut wie

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[20/0030] VIERTES BUCH. KAPITEL I. mals aufstellte, daſs es den Achäern nicht mehr freistehe ohne Erlaubniſs der Römer Krieg zu führen, drückte, freilich mit übel- klingender Schärfe, die einfache Wahrheit aus, daſs die formelle Souveränetät der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war und jeder Versuch dem Schatten Leben zu verleihen nothwendig dahin führen muſste auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel schwerer als der gegen die Beherrschten ist gegen die herrschende Gemeinde zu richten. Es ist für den Menschen wie für den Staat eine schwere Aufgabe in die eigene Bedeutungslo- sigkeit sich zu finden; des Machthabers Pflicht und Recht ist es entweder die Herrschaft aufzugeben oder durch Entwickelung einer imponirenden materiellen Ueberlegenheit die Beherrschten zur Resignation zu nöthigen. Der römische Senat that kei- nes von beiden. Von allen Seiten angerufen und bestürmt unterlieſs der Senat nicht beständig in den Gang der africani- schen, hellenischen, asiatischen, ägyptischen Angelegenheiten einzugreifen; allein er that dies in einer so unsteten und schlaf- fen Weise, daſs durch diese Schlichtungsversuche die Verwirrung gewöhnlich noch ärger ward als sie schon war. Es war die Zeit der Commissionen. Beständig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago und Alexandreia, an die achäische Tagsatzung und die Höfe der vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibirten, berichteten und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne und gegen den Willen des Senats entschieden. Es konnte geschehen, daſs Kypros, welches der Senat dem kyrenäi- schen Reich zugeschieden hatte, nichts desto weniger bei Aegypten blieb; daſs ein syrischer Prinz den Thron seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben ihn von den Römern zugesprochen erhalten zu haben, während ihm derselbe in der That vom Senate aus- drücklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von Rom entkommen war; ja daſs die offenkundige Ermordung eines römischen Commissars, der im Auftrag des Senats vormundschaft- lich das Regiment von Syrien führte, gänzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wuſsten zwar sehr wohl, daſs sie nicht im Stande seien, den römischen Legionen zu widerstehen; aber sie wuſsten nicht minder, wie wenig der Senat geneigt war den Bürgern Marsch- befehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu ertheilen. So ging es in diesen fernen Landschaften zu wie in der Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment brachte die Völker zugleich um die Segnungen der Freiheit und die einer consequenten Hegemonie. Für die Römer selbst aber war die Lage der Dinge im Osten insofern bedenklich, als an ihrer so gut wie

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/30>, abgerufen am 18.04.2024.