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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL I.
sarien dahin entschieden, dass die Karthager die noch in ihrem
Besitz verbliebenen Städte dieser Landschaft zu räumen und als
Entschädigung für die widerrechtliche Nutzung des Gebiets
500 Talente (860000 Thlr.) an den König zu zahlen hätten.
Die Folge war, dass Massinissa sofort sich eines andern kartha-
gischen Bezirks an der Westgrenze des karthagischen Gebiets,
der Stadt Tusca und der grossen Felder am Bagradas, bemäch-
tigte; den Karthagern blieb nichts übrig als abermals in Rom
einen hoffnungslosen Prozess anhängig zu machen. Nach lan-
gem und wahrscheinlich absichtlichem Zögern erschien in Africa
eine zweite Commission; als die Karthager von derselben eine
eingehende Erörterung verlangten und auf den ohne genaue vor-
gängige Untersuchung der Rechtsfrage von der Commission zu
fällenden Schiedsspruch nicht unbedingt compromittiren wollten,
kehrten die Commissare ohne die Sache erledigt zu haben wie-
der zurück nach Rom. Aber in einer andern Hinsicht war diese
Sendung von entscheidenden Folgen. An ihrer Spitze stand der
alte Marcus Cato, damals vielleicht der einflussreichste Mann im
Senat und als Veteran aus dem hannibalischen Kriege noch von
dem vollen Pönerhass und der vollen Pönerfurcht durchdrun-
gen. Betroffen und missgünstig sah er mit eigenen Augen den
blühenden Zustand der Erbfeinde Roms, die reiche Landschaft
und die wogenden Gassen, die gewaltigen Waffenvorräthe in den
Zeughäusern und das reiche Flottenmaterial; schon sah er im
Geiste einen zweiten Hannibal all diese Hülfsmittel gegen Rom
verwenden. In seiner ehrlichen und mannhaften, aber durchaus
bornirten Weise kam er zu dem Ergebniss, dass Rom nicht eher
gesichert sein werde, als bis Karthago vom Erdboden verschwun-
den sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese Ansicht so-
fort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Männer
der Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kümmer-
lichen Politik mit grossem Ernst und entwickelten die Blindheit
der Besorgnisse vor einer Kaufstadt, deren phönikische Bewoh-
ner mehr und mehr der kriegerischen Künste und Gedanken sich
entwöhnten, die vollkommene Verträglichkeit der Existenz dieser
reichen Handelsstadt mit der politischen Suprematie Roms. Selbst
die Umwandlung Karthagos in eine römische Provinzialstadt wäre
ausführbar, ja verglichen mit dem gegenwärtigen Zustand den
Phönikern selbst vielleicht nicht unwillkommen gewesen. Indess
Cato wollte eben nicht die Unterwerfung, sondern geradezu den
Untergang der verhassten Stadt. Seine Politik fand wie es scheint
Bundesgenossen theils an den Staatsmännern, die geneigt wa-

VIERTES BUCH. KAPITEL I.
sarien dahin entschieden, daſs die Karthager die noch in ihrem
Besitz verbliebenen Städte dieser Landschaft zu räumen und als
Entschädigung für die widerrechtliche Nutzung des Gebiets
500 Talente (860000 Thlr.) an den König zu zahlen hätten.
Die Folge war, daſs Massinissa sofort sich eines andern kartha-
gischen Bezirks an der Westgrenze des karthagischen Gebiets,
der Stadt Tusca und der groſsen Felder am Bagradas, bemäch-
tigte; den Karthagern blieb nichts übrig als abermals in Rom
einen hoffnungslosen Prozeſs anhängig zu machen. Nach lan-
gem und wahrscheinlich absichtlichem Zögern erschien in Africa
eine zweite Commission; als die Karthager von derselben eine
eingehende Erörterung verlangten und auf den ohne genaue vor-
gängige Untersuchung der Rechtsfrage von der Commission zu
fällenden Schiedsspruch nicht unbedingt compromittiren wollten,
kehrten die Commissare ohne die Sache erledigt zu haben wie-
der zurück nach Rom. Aber in einer andern Hinsicht war diese
Sendung von entscheidenden Folgen. An ihrer Spitze stand der
alte Marcus Cato, damals vielleicht der einfluſsreichste Mann im
Senat und als Veteran aus dem hannibalischen Kriege noch von
dem vollen Pönerhaſs und der vollen Pönerfurcht durchdrun-
gen. Betroffen und miſsgünstig sah er mit eigenen Augen den
blühenden Zustand der Erbfeinde Roms, die reiche Landschaft
und die wogenden Gassen, die gewaltigen Waffenvorräthe in den
Zeughäusern und das reiche Flottenmaterial; schon sah er im
Geiste einen zweiten Hannibal all diese Hülfsmittel gegen Rom
verwenden. In seiner ehrlichen und mannhaften, aber durchaus
bornirten Weise kam er zu dem Ergebniſs, daſs Rom nicht eher
gesichert sein werde, als bis Karthago vom Erdboden verschwun-
den sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese Ansicht so-
fort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Männer
der Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kümmer-
lichen Politik mit groſsem Ernst und entwickelten die Blindheit
der Besorgnisse vor einer Kaufstadt, deren phönikische Bewoh-
ner mehr und mehr der kriegerischen Künste und Gedanken sich
entwöhnten, die vollkommene Verträglichkeit der Existenz dieser
reichen Handelsstadt mit der politischen Suprematie Roms. Selbst
die Umwandlung Karthagos in eine römische Provinzialstadt wäre
ausführbar, ja verglichen mit dem gegenwärtigen Zustand den
Phönikern selbst vielleicht nicht unwillkommen gewesen. Indeſs
Cato wollte eben nicht die Unterwerfung, sondern geradezu den
Untergang der verhaſsten Stadt. Seine Politik fand wie es scheint
Bundesgenossen theils an den Staatsmännern, die geneigt wa-

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[22/0032] VIERTES BUCH. KAPITEL I. sarien dahin entschieden, daſs die Karthager die noch in ihrem Besitz verbliebenen Städte dieser Landschaft zu räumen und als Entschädigung für die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente (860000 Thlr.) an den König zu zahlen hätten. Die Folge war, daſs Massinissa sofort sich eines andern kartha- gischen Bezirks an der Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der groſsen Felder am Bagradas, bemäch- tigte; den Karthagern blieb nichts übrig als abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozeſs anhängig zu machen. Nach lan- gem und wahrscheinlich absichtlichem Zögern erschien in Africa eine zweite Commission; als die Karthager von derselben eine eingehende Erörterung verlangten und auf den ohne genaue vor- gängige Untersuchung der Rechtsfrage von der Commission zu fällenden Schiedsspruch nicht unbedingt compromittiren wollten, kehrten die Commissare ohne die Sache erledigt zu haben wie- der zurück nach Rom. Aber in einer andern Hinsicht war diese Sendung von entscheidenden Folgen. An ihrer Spitze stand der alte Marcus Cato, damals vielleicht der einfluſsreichste Mann im Senat und als Veteran aus dem hannibalischen Kriege noch von dem vollen Pönerhaſs und der vollen Pönerfurcht durchdrun- gen. Betroffen und miſsgünstig sah er mit eigenen Augen den blühenden Zustand der Erbfeinde Roms, die reiche Landschaft und die wogenden Gassen, die gewaltigen Waffenvorräthe in den Zeughäusern und das reiche Flottenmaterial; schon sah er im Geiste einen zweiten Hannibal all diese Hülfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner ehrlichen und mannhaften, aber durchaus bornirten Weise kam er zu dem Ergebniſs, daſs Rom nicht eher gesichert sein werde, als bis Karthago vom Erdboden verschwun- den sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese Ansicht so- fort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Männer der Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kümmer- lichen Politik mit groſsem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse vor einer Kaufstadt, deren phönikische Bewoh- ner mehr und mehr der kriegerischen Künste und Gedanken sich entwöhnten, die vollkommene Verträglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine römische Provinzialstadt wäre ausführbar, ja verglichen mit dem gegenwärtigen Zustand den Phönikern selbst vielleicht nicht unwillkommen gewesen. Indeſs Cato wollte eben nicht die Unterwerfung, sondern geradezu den Untergang der verhaſsten Stadt. Seine Politik fand wie es scheint Bundesgenossen theils an den Staatsmännern, die geneigt wa-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/32>, abgerufen am 26.04.2024.