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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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nem oft ausgesprochenen Grundsatz getreu lieber den Tod zu
leiden als den rechtlosen Leuten das geringste Zugeständniss zu
machen weigerte er auch jetzt sich zu fliehen und im consulari-
schen Schmuck harrte er auf dem Janiculum des Mörders, der
nicht lange säumte. Es starben Lucius Caesar (Consul 664),
der gefeierte Sieger von Acerrae; sein Bruder Gaius, dessen un-
zeitiger Ehrgeiz den sulpicischen Tumult heraufbeschworen hatte,
bekannt als Redner und Dichter und als liebenswürdiger Gesell-
schafter; Marcus Antonius (Consul 655), nach dem Tode des
Lucius Crassus unbestritten der erste Sachwalter seiner Zeit;
Publius Crassus (Consul 657), der im spanischen und im Bun-
desgenossenkrieg und noch während der Belagerung Roms mit
Auszeichnung commandirt hatte; überhaupt eine Menge der an-
gesehensten Männer der Regierungspartei, unter denen von den
gierigen Häschern namentlich die reichen mit besonderem Eifer
verfolgt wurden. Jammervoll vor allen schien der Tod des Lu-
cius Merula, der sehr wider seinen Wunsch Cinnas Nachfolger
geworden war und nun desswegen peinlich angeklagt und vor die
Comitien geladen, um der unvermeidlichen Verurtheilung zuvor-
zukommen, sich die Adern öffnete und am Altar des höchsten
Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der priesterlichen
Kopfbinde, wie es die religiöse Pflicht des sterbenden Flamen
mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod
des Quintus Catulus (Consul 652), einst in besseren Tagen in
dem herrlichsten Sieg und Triumph der Gefährte desselben Ma-
rius, der jetzt für die flehenden Verwandten seines alten Collegen
keine andere Antwort hatte als den einsilbigen Bescheid: ,er
muss sterben'. Der Urheber all dieser Unthaten war Gaius Ma-
rius. Er bezeichnete die Opfer und die Henker -- nur aus-
nahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine Rechtsform
beobachtet --; nicht selten war ein Blick oder das Stillschwei-
gen, womit er die Begrüssenden empfing, das Todesurtheil, das
stets sofort vollstreckt ward. Selbst mit dem Tode des Opfers
ruhte seine Rache nicht: er verbot die Leichen zu bestatten; er
liess -- worin freilich Sulla ihm vorangegangen war -- die Köpfe
der getödteten Senatoren an die Rednerbühne auf dem Markt-
platz heften; einzelne Leichen liess er über den Markt schleifen,
die des Gaius Caesar an der Grabstätte des vermuthlich einst von
ihm angeklagten Quintus Varius (S. 229) noch einmal durch-
bohren; er umarmte öffentlich den Menschen, der ihm, während
er bei der Tafel sass, den Kopf des Antonius überreichte, den selber
in seinem Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzu-

CINNA UND SULLA.
nem oft ausgesprochenen Grundsatz getreu lieber den Tod zu
leiden als den rechtlosen Leuten das geringste Zugeständniſs zu
machen weigerte er auch jetzt sich zu fliehen und im consulari-
schen Schmuck harrte er auf dem Janiculum des Mörders, der
nicht lange säumte. Es starben Lucius Caesar (Consul 664),
der gefeierte Sieger von Acerrae; sein Bruder Gaius, dessen un-
zeitiger Ehrgeiz den sulpicischen Tumult heraufbeschworen hatte,
bekannt als Redner und Dichter und als liebenswürdiger Gesell-
schafter; Marcus Antonius (Consul 655), nach dem Tode des
Lucius Crassus unbestritten der erste Sachwalter seiner Zeit;
Publius Crassus (Consul 657), der im spanischen und im Bun-
desgenossenkrieg und noch während der Belagerung Roms mit
Auszeichnung commandirt hatte; überhaupt eine Menge der an-
gesehensten Männer der Regierungspartei, unter denen von den
gierigen Häschern namentlich die reichen mit besonderem Eifer
verfolgt wurden. Jammervoll vor allen schien der Tod des Lu-
cius Merula, der sehr wider seinen Wunsch Cinnas Nachfolger
geworden war und nun deſswegen peinlich angeklagt und vor die
Comitien geladen, um der unvermeidlichen Verurtheilung zuvor-
zukommen, sich die Adern öffnete und am Altar des höchsten
Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der priesterlichen
Kopfbinde, wie es die religiöse Pflicht des sterbenden Flamen
mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod
des Quintus Catulus (Consul 652), einst in besseren Tagen in
dem herrlichsten Sieg und Triumph der Gefährte desselben Ma-
rius, der jetzt für die flehenden Verwandten seines alten Collegen
keine andere Antwort hatte als den einsilbigen Bescheid: ‚er
muſs sterben‘. Der Urheber all dieser Unthaten war Gaius Ma-
rius. Er bezeichnete die Opfer und die Henker — nur aus-
nahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine Rechtsform
beobachtet —; nicht selten war ein Blick oder das Stillschwei-
gen, womit er die Begrüſsenden empfing, das Todesurtheil, das
stets sofort vollstreckt ward. Selbst mit dem Tode des Opfers
ruhte seine Rache nicht: er verbot die Leichen zu bestatten; er
lieſs — worin freilich Sulla ihm vorangegangen war — die Köpfe
der getödteten Senatoren an die Rednerbühne auf dem Markt-
platz heften; einzelne Leichen lieſs er über den Markt schleifen,
die des Gaius Caesar an der Grabstätte des vermuthlich einst von
ihm angeklagten Quintus Varius (S. 229) noch einmal durch-
bohren; er umarmte öffentlich den Menschen, der ihm, während
er bei der Tafel saſs, den Kopf des Antonius überreichte, den selber
in seinem Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzu-

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[299/0309] CINNA UND SULLA. nem oft ausgesprochenen Grundsatz getreu lieber den Tod zu leiden als den rechtlosen Leuten das geringste Zugeständniſs zu machen weigerte er auch jetzt sich zu fliehen und im consulari- schen Schmuck harrte er auf dem Janiculum des Mörders, der nicht lange säumte. Es starben Lucius Caesar (Consul 664), der gefeierte Sieger von Acerrae; sein Bruder Gaius, dessen un- zeitiger Ehrgeiz den sulpicischen Tumult heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und Dichter und als liebenswürdiger Gesell- schafter; Marcus Antonius (Consul 655), nach dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der erste Sachwalter seiner Zeit; Publius Crassus (Consul 657), der im spanischen und im Bun- desgenossenkrieg und noch während der Belagerung Roms mit Auszeichnung commandirt hatte; überhaupt eine Menge der an- gesehensten Männer der Regierungspartei, unter denen von den gierigen Häschern namentlich die reichen mit besonderem Eifer verfolgt wurden. Jammervoll vor allen schien der Tod des Lu- cius Merula, der sehr wider seinen Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und nun deſswegen peinlich angeklagt und vor die Comitien geladen, um der unvermeidlichen Verurtheilung zuvor- zukommen, sich die Adern öffnete und am Altar des höchsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der priesterlichen Kopfbinde, wie es die religiöse Pflicht des sterbenden Flamen mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod des Quintus Catulus (Consul 652), einst in besseren Tagen in dem herrlichsten Sieg und Triumph der Gefährte desselben Ma- rius, der jetzt für die flehenden Verwandten seines alten Collegen keine andere Antwort hatte als den einsilbigen Bescheid: ‚er muſs sterben‘. Der Urheber all dieser Unthaten war Gaius Ma- rius. Er bezeichnete die Opfer und die Henker — nur aus- nahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine Rechtsform beobachtet —; nicht selten war ein Blick oder das Stillschwei- gen, womit er die Begrüſsenden empfing, das Todesurtheil, das stets sofort vollstreckt ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte seine Rache nicht: er verbot die Leichen zu bestatten; er lieſs — worin freilich Sulla ihm vorangegangen war — die Köpfe der getödteten Senatoren an die Rednerbühne auf dem Markt- platz heften; einzelne Leichen lieſs er über den Markt schleifen, die des Gaius Caesar an der Grabstätte des vermuthlich einst von ihm angeklagten Quintus Varius (S. 229) noch einmal durch- bohren; er umarmte öffentlich den Menschen, der ihm, während er bei der Tafel saſs, den Kopf des Antonius überreichte, den selber in seinem Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzu-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/309>, abgerufen am 21.06.2024.