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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL IX.
rige und kurzsichtige Consul Octavius, sich beharrlich gegen jede
Nachgiebigkeit setzte, versuchte der kriegskundigere und ver-
ständigere Metellus einen Vergleich zu Stande zu bringen; aber
seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras
beider Parteien: Cinna hiess dem Marius ein Schwächling, Metel-
lus dem Octavius ein Verräther. Auch die Soldaten und die Bür-
gerschaft fingen an zu schwanken. Jene, der Führung des un-
erprobten Octavius misstrauend, sannen Metellus an den Ober-
befehl zu übernehmen und begannen, da dieser sich weigerte,
haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu de-
sertiren. Die Stimmung der Bürgerschaft wurde täglich gedrück-
ter und schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, dass den
überlaufenden Sclaven die Freiheit zugesichert sei, strömten die-
selben schaarenweise aus der Hauptstadt in das feindliche Lager.
Es ward vorgeschlagen, dass die Regierung den Sclaven, die in
das Heer eintreten würden, die Freiheit zusichern solle, allein
Octavius widersetzte sich dieser Massregel entschieden. Die Re-
gierung konnte es sich nicht verbergen, dass sie geschlagen war
und dass nichts übrig blieb als mit den Führern der Bande wo
möglich ein Abkommen zu treffen, wie der überwältigte Wanderer
es trifft mit dem Räuberhauptmann. Boten gingen an Cinna,
allein da sie thörichter Weise Schwierigkeiten machten ihn als
Consul anzuerkennen und Cinna inzwischen sein Lager hart vor
die Stadtthore verlegte, so griff das Ueberlaufen so sehr um sich,
dass der Senat es nicht mehr wagte irgend welche Bedingungen
zu stellen, sondern sich auf die Bitte beschränkte des Blutvergies-
sens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu, aber weigerte sich sein
Versprechen eidlich zu bekräftigen; Marius, ihm zur Seite den
Verhandlungen beiwohnend, verharrte im finsteren Schweigen.

Die Thore der Hauptstadt öffneten sich. Der Consul zog ein
mit seinen Legionen; aber Marius, spöttisch erinnernd an das
Achtgesetz, weigerte sich die Stadt zu betreten, bevor das Gesetz
es ihm gestatte und eilig versammelten sich die Bürger auf dem
Markt um den cassirenden Beschluss zu fassen. So kam er denn
und mit ihm die Schreckensherrschaft. Es war beschlossen
nicht einzelne Opfer auszuwählen, sondern die namhaften Män-
ner der Optimatenpartei sämmtlich niedermachen zu lassen und
ihre Güter einzuziehen. Die Thore wurden gesperrt; fünf Tage
und fünf Nächte währte unausgesetzt die Schlächterei; einzelne
Entkommene oder Vergessene wurden auch nachher noch täg-
lich erschlagen und Monate lang ging die Blutjagd durch ganz
Italien. Der Consul Gnaeus Octavius war das erste Opfer. Sei-

VIERTES BUCH. KAPITEL IX.
rige und kurzsichtige Consul Octavius, sich beharrlich gegen jede
Nachgiebigkeit setzte, versuchte der kriegskundigere und ver-
ständigere Metellus einen Vergleich zu Stande zu bringen; aber
seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras
beider Parteien: Cinna hieſs dem Marius ein Schwächling, Metel-
lus dem Octavius ein Verräther. Auch die Soldaten und die Bür-
gerschaft fingen an zu schwanken. Jene, der Führung des un-
erprobten Octavius miſstrauend, sannen Metellus an den Ober-
befehl zu übernehmen und begannen, da dieser sich weigerte,
haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu de-
sertiren. Die Stimmung der Bürgerschaft wurde täglich gedrück-
ter und schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, daſs den
überlaufenden Sclaven die Freiheit zugesichert sei, strömten die-
selben schaarenweise aus der Hauptstadt in das feindliche Lager.
Es ward vorgeschlagen, daſs die Regierung den Sclaven, die in
das Heer eintreten würden, die Freiheit zusichern solle, allein
Octavius widersetzte sich dieser Maſsregel entschieden. Die Re-
gierung konnte es sich nicht verbergen, daſs sie geschlagen war
und daſs nichts übrig blieb als mit den Führern der Bande wo
möglich ein Abkommen zu treffen, wie der überwältigte Wanderer
es trifft mit dem Räuberhauptmann. Boten gingen an Cinna,
allein da sie thörichter Weise Schwierigkeiten machten ihn als
Consul anzuerkennen und Cinna inzwischen sein Lager hart vor
die Stadtthore verlegte, so griff das Ueberlaufen so sehr um sich,
daſs der Senat es nicht mehr wagte irgend welche Bedingungen
zu stellen, sondern sich auf die Bitte beschränkte des Blutvergies-
sens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu, aber weigerte sich sein
Versprechen eidlich zu bekräftigen; Marius, ihm zur Seite den
Verhandlungen beiwohnend, verharrte im finsteren Schweigen.

Die Thore der Hauptstadt öffneten sich. Der Consul zog ein
mit seinen Legionen; aber Marius, spöttisch erinnernd an das
Achtgesetz, weigerte sich die Stadt zu betreten, bevor das Gesetz
es ihm gestatte und eilig versammelten sich die Bürger auf dem
Markt um den cassirenden Beschluſs zu fassen. So kam er denn
und mit ihm die Schreckensherrschaft. Es war beschlossen
nicht einzelne Opfer auszuwählen, sondern die namhaften Män-
ner der Optimatenpartei sämmtlich niedermachen zu lassen und
ihre Güter einzuziehen. Die Thore wurden gesperrt; fünf Tage
und fünf Nächte währte unausgesetzt die Schlächterei; einzelne
Entkommene oder Vergessene wurden auch nachher noch täg-
lich erschlagen und Monate lang ging die Blutjagd durch ganz
Italien. Der Consul Gnaeus Octavius war das erste Opfer. Sei-

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[298/0308] VIERTES BUCH. KAPITEL IX. rige und kurzsichtige Consul Octavius, sich beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, versuchte der kriegskundigere und ver- ständigere Metellus einen Vergleich zu Stande zu bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras beider Parteien: Cinna hieſs dem Marius ein Schwächling, Metel- lus dem Octavius ein Verräther. Auch die Soldaten und die Bür- gerschaft fingen an zu schwanken. Jene, der Führung des un- erprobten Octavius miſstrauend, sannen Metellus an den Ober- befehl zu übernehmen und begannen, da dieser sich weigerte, haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu de- sertiren. Die Stimmung der Bürgerschaft wurde täglich gedrück- ter und schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, daſs den überlaufenden Sclaven die Freiheit zugesichert sei, strömten die- selben schaarenweise aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Es ward vorgeschlagen, daſs die Regierung den Sclaven, die in das Heer eintreten würden, die Freiheit zusichern solle, allein Octavius widersetzte sich dieser Maſsregel entschieden. Die Re- gierung konnte es sich nicht verbergen, daſs sie geschlagen war und daſs nichts übrig blieb als mit den Führern der Bande wo möglich ein Abkommen zu treffen, wie der überwältigte Wanderer es trifft mit dem Räuberhauptmann. Boten gingen an Cinna, allein da sie thörichter Weise Schwierigkeiten machten ihn als Consul anzuerkennen und Cinna inzwischen sein Lager hart vor die Stadtthore verlegte, so griff das Ueberlaufen so sehr um sich, daſs der Senat es nicht mehr wagte irgend welche Bedingungen zu stellen, sondern sich auf die Bitte beschränkte des Blutvergies- sens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu, aber weigerte sich sein Versprechen eidlich zu bekräftigen; Marius, ihm zur Seite den Verhandlungen beiwohnend, verharrte im finsteren Schweigen. Die Thore der Hauptstadt öffneten sich. Der Consul zog ein mit seinen Legionen; aber Marius, spöttisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte sich die Stadt zu betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte und eilig versammelten sich die Bürger auf dem Markt um den cassirenden Beschluſs zu fassen. So kam er denn und mit ihm die Schreckensherrschaft. Es war beschlossen nicht einzelne Opfer auszuwählen, sondern die namhaften Män- ner der Optimatenpartei sämmtlich niedermachen zu lassen und ihre Güter einzuziehen. Die Thore wurden gesperrt; fünf Tage und fünf Nächte währte unausgesetzt die Schlächterei; einzelne Entkommene oder Vergessene wurden auch nachher noch täg- lich erschlagen und Monate lang ging die Blutjagd durch ganz Italien. Der Consul Gnaeus Octavius war das erste Opfer. Sei-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/308>, abgerufen am 22.05.2024.