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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
besten organisirte Land; das Zehntensystem und die Mittelsmän-
ner warendaselbst unbekannt, die Bevölkerung zahlreich und die
Landschaft reich an Korn und Vieh.

In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formel-
ler Souveränetät und thatsächlicher Unterthänigkeit befanden sich
die africanischen, griechischen und asiatischen Staaten, welche
durch die Kriege der Römer gegen Makedonien und Syrien und
deren Consequenzen in den Kreis der römischen Hegemonie ge-
zogen worden waren. Der freie Staat bezahlt den Preis seiner
Selbstständigkeit nicht zu theuer, indem er die Leiden des Krie-
ges auf sich nimmt; der Staat, der die Selbstständigkeit einge-
büsst hat, mag wenigstens einigen Ersatz darin finden, dass der
Schutzherr ihm Ruhe schafft vor seinen Nachbarn. Allein diese
Clientelstaaten Roms hatten weder Selbstständigkeit noch Frie-
den. In Africa bestand zwischen Karthago und Numidien that-
sächlich ein ewiger Grenzkrieg. In Aegypten war zwar der Suc-
cessionsstreit der beiden Brüder Ptolemaeos Philometor und Pto-
lemaeos des Dicken durch römischen Schiedsspruch geschlichtet;
allein nichtsdestoweniger führten die neuen Herren von Aegypten
und von Kyrene Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren
nicht bloss die meisten Königreiche, Bithynien, Kappadokien, Sy-
rien, gleichfalls durch Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervor-
gerufene Interventionen der Nachbarstaaten innerlich zerrissen,
sondern es wurden auch vielfache und schwere Kriege geführt zwi-
schen den Attaliden und den Galatern, zwischen den Attaliden und
den bithynischen Königen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso
glimmten im eigentlichen Hellas die dort landüblichen zwerghaf-
ten Fehden und selbst das sonst so ruhige makedonische Land
verzehrte sich in dem inneren Hader seiner neuen demokrati-
schen Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher wie der
Beherrschten, dass die letzte Lebenskraft und der letzte Wohl-
stand der Nationen in diesen ziellosen Fehden vergeudet ward.
Die Clientelstaaten hätten einsehen müssen, dass der Staat, der
nicht gegen jeden, überhaupt nicht Krieg führen kann und dass,
da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser Staaten that-
sächlich unter römischer Garantie stand, ihnen bei jeder Diffe-
renz nur die Wahl blieb entweder mit den Nachbarn in Güte sich
zu vergleichen oder die Römer zum Schiedsspruch aufzufordern.
Wenn die achäische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um
Bundeshülfe gemahnt ward und ernstlich über deren Absendung
berathschlagte (601), so war dies einfach eine politische Posse;
der Satz, den der Führer der römischgesinnten Partei da-

2*

DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
besten organisirte Land; das Zehntensystem und die Mittelsmän-
ner warendaselbst unbekannt, die Bevölkerung zahlreich und die
Landschaft reich an Korn und Vieh.

In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formel-
ler Souveränetät und thatsächlicher Unterthänigkeit befanden sich
die africanischen, griechischen und asiatischen Staaten, welche
durch die Kriege der Römer gegen Makedonien und Syrien und
deren Consequenzen in den Kreis der römischen Hegemonie ge-
zogen worden waren. Der freie Staat bezahlt den Preis seiner
Selbstständigkeit nicht zu theuer, indem er die Leiden des Krie-
ges auf sich nimmt; der Staat, der die Selbstständigkeit einge-
büſst hat, mag wenigstens einigen Ersatz darin finden, daſs der
Schutzherr ihm Ruhe schafft vor seinen Nachbarn. Allein diese
Clientelstaaten Roms hatten weder Selbstständigkeit noch Frie-
den. In Africa bestand zwischen Karthago und Numidien that-
sächlich ein ewiger Grenzkrieg. In Aegypten war zwar der Suc-
cessionsstreit der beiden Brüder Ptolemaeos Philometor und Pto-
lemaeos des Dicken durch römischen Schiedsspruch geschlichtet;
allein nichtsdestoweniger führten die neuen Herren von Aegypten
und von Kyrene Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren
nicht bloſs die meisten Königreiche, Bithynien, Kappadokien, Sy-
rien, gleichfalls durch Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervor-
gerufene Interventionen der Nachbarstaaten innerlich zerrissen,
sondern es wurden auch vielfache und schwere Kriege geführt zwi-
schen den Attaliden und den Galatern, zwischen den Attaliden und
den bithynischen Königen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso
glimmten im eigentlichen Hellas die dort landüblichen zwerghaf-
ten Fehden und selbst das sonst so ruhige makedonische Land
verzehrte sich in dem inneren Hader seiner neuen demokrati-
schen Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher wie der
Beherrschten, daſs die letzte Lebenskraft und der letzte Wohl-
stand der Nationen in diesen ziellosen Fehden vergeudet ward.
Die Clientelstaaten hätten einsehen müssen, daſs der Staat, der
nicht gegen jeden, überhaupt nicht Krieg führen kann und daſs,
da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser Staaten that-
sächlich unter römischer Garantie stand, ihnen bei jeder Diffe-
renz nur die Wahl blieb entweder mit den Nachbarn in Güte sich
zu vergleichen oder die Römer zum Schiedsspruch aufzufordern.
Wenn die achäische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um
Bundeshülfe gemahnt ward und ernstlich über deren Absendung
berathschlagte (601), so war dies einfach eine politische Posse;
der Satz, den der Führer der römischgesinnten Partei da-

2*
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[19/0029] DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN. besten organisirte Land; das Zehntensystem und die Mittelsmän- ner warendaselbst unbekannt, die Bevölkerung zahlreich und die Landschaft reich an Korn und Vieh. In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formel- ler Souveränetät und thatsächlicher Unterthänigkeit befanden sich die africanischen, griechischen und asiatischen Staaten, welche durch die Kriege der Römer gegen Makedonien und Syrien und deren Consequenzen in den Kreis der römischen Hegemonie ge- zogen worden waren. Der freie Staat bezahlt den Preis seiner Selbstständigkeit nicht zu theuer, indem er die Leiden des Krie- ges auf sich nimmt; der Staat, der die Selbstständigkeit einge- büſst hat, mag wenigstens einigen Ersatz darin finden, daſs der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor seinen Nachbarn. Allein diese Clientelstaaten Roms hatten weder Selbstständigkeit noch Frie- den. In Africa bestand zwischen Karthago und Numidien that- sächlich ein ewiger Grenzkrieg. In Aegypten war zwar der Suc- cessionsstreit der beiden Brüder Ptolemaeos Philometor und Pto- lemaeos des Dicken durch römischen Schiedsspruch geschlichtet; allein nichtsdestoweniger führten die neuen Herren von Aegypten und von Kyrene Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren nicht bloſs die meisten Königreiche, Bithynien, Kappadokien, Sy- rien, gleichfalls durch Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervor- gerufene Interventionen der Nachbarstaaten innerlich zerrissen, sondern es wurden auch vielfache und schwere Kriege geführt zwi- schen den Attaliden und den Galatern, zwischen den Attaliden und den bithynischen Königen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso glimmten im eigentlichen Hellas die dort landüblichen zwerghaf- ten Fehden und selbst das sonst so ruhige makedonische Land verzehrte sich in dem inneren Hader seiner neuen demokrati- schen Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, daſs die letzte Lebenskraft und der letzte Wohl- stand der Nationen in diesen ziellosen Fehden vergeudet ward. Die Clientelstaaten hätten einsehen müssen, daſs der Staat, der nicht gegen jeden, überhaupt nicht Krieg führen kann und daſs, da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser Staaten that- sächlich unter römischer Garantie stand, ihnen bei jeder Diffe- renz nur die Wahl blieb entweder mit den Nachbarn in Güte sich zu vergleichen oder die Römer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn die achäische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshülfe gemahnt ward und ernstlich über deren Absendung berathschlagte (601), so war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der Führer der römischgesinnten Partei da- 2*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/29>, abgerufen am 20.04.2024.