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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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EMPÖRUNG DER ITALIKER.
Was fast unmöglich geschienen hatte, dass ein Conservativer die
reformatorischen Gedanken der Gracchen aufzunehmen und die
Gleichberechtigung der Italiker durchzufechten sich entschliesse,
war nun dennoch eingetreten; ein hocharistokratischer Mann
hatte sich entschlossen zugleich die Regierung und die Italiker
zu emancipiren und all seinen ernsten Eifer, all seine zuverlässige
Hingebung an diese hochherzigen Reformpläne zu setzen. Es
blieb nicht bei allgemeinen Verheissungen; er trat, wenn die Be-
richte nicht täuschen, an die Spitze eines Geheimbundes, dessen
Fäden durch ganz Italien liefen und dessen Mitglieder sich eid-
lich* verpflichteten zusammenzustehen für Drusus und die ge-
meinschaftliche Sache. Jubelnd vernahm man in Italien, dass
Drusus an der Spitze des Senats seine ersten Anträge durchge-
setzt habe; mit noch grösserem Jubel feierten alle Gemeinden
Italiens nicht lange darauf die Genesung des plötzlich schwer er-
krankten Tribuns. Aber wie Drusus weitere Absichten sich ent-
hüllten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen den zuge-
sagten Antrag einzubringen; er musste verschieben, musste zö-
gern, musste bald zurückweichen. Man vernahm, dass die Majo-
rität des Senats anfange unsicher zu werden und von ihrem
Führer abzufallen drohe; in rascher Folge lief durch die Gemein-
den Italiens die Kunde, dass das durchgebrachte Gesetz cassirt
sei, dass die Capitalisten unumschränkter schalteten als je, dass
der Tribun von Mörderhand getroffen, dass er todt sei (Herbst 663).

Die letzte Hoffnung durch Vertrag die Aufnahme in den rö-
mischen Bürgerverband zu erlangen ward mit Marcus Drusus den

* Die Eidesformel ist erhalten (bei Diodor V at. p. 128, wo sie durch
ein Versehen des Auszugmachers die sinnlose Ueberschrift ,Eid des Philip-
pus' trägt); sie lautet: ,Ich schwöre bei dem capitolinischen Jupiter und
,bei der römischen Vesta und bei dem angestammten Mars und bei der zeu-
,genden Sonne und bei der nährenden Erde und bei den göttlichen Grün-
,dern und Mehrern der Stadt Rom, dass mir Freund sein soll und Feind
,sein soll derselbe, der Freund und Feind ist dem Drusus; imgleichen dass
,ich weder meines eigenen noch des Lebens meiner Kinder und Aeltern
,schonen will, ausser insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen
,dieses Eides. Wenn ich aber Bürger werden sollte durch das Gesetz des
,Drusus, so will ich Rom achten als meine Heimath und Drusus als den
,grössten meiner Wohlthäter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen mei-
,ner Mitbürger als ich vermag; und schwöre ich recht, so gehe es mir wohl,
,schwöre ich falsch, so gehe es mir übel.' -- Indess wird man wohl thun
diesen Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er rührt ohne Zweifel her aus
später über diese Verschwörung in Rom aufgenommenen Criminalprozess-
acten und es bleibt fraglich, ob diese Eidesformel aus den Inculpaten her-
aus oder in sie hinein inquirirt ward.

EMPÖRUNG DER ITALIKER.
Was fast unmöglich geschienen hatte, daſs ein Conservativer die
reformatorischen Gedanken der Gracchen aufzunehmen und die
Gleichberechtigung der Italiker durchzufechten sich entschlieſse,
war nun dennoch eingetreten; ein hocharistokratischer Mann
hatte sich entschlossen zugleich die Regierung und die Italiker
zu emancipiren und all seinen ernsten Eifer, all seine zuverlässige
Hingebung an diese hochherzigen Reformpläne zu setzen. Es
blieb nicht bei allgemeinen Verheiſsungen; er trat, wenn die Be-
richte nicht täuschen, an die Spitze eines Geheimbundes, dessen
Fäden durch ganz Italien liefen und dessen Mitglieder sich eid-
lich* verpflichteten zusammenzustehen für Drusus und die ge-
meinschaftliche Sache. Jubelnd vernahm man in Italien, daſs
Drusus an der Spitze des Senats seine ersten Anträge durchge-
setzt habe; mit noch gröſserem Jubel feierten alle Gemeinden
Italiens nicht lange darauf die Genesung des plötzlich schwer er-
krankten Tribuns. Aber wie Drusus weitere Absichten sich ent-
hüllten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen den zuge-
sagten Antrag einzubringen; er muſste verschieben, muſste zö-
gern, muſste bald zurückweichen. Man vernahm, daſs die Majo-
rität des Senats anfange unsicher zu werden und von ihrem
Führer abzufallen drohe; in rascher Folge lief durch die Gemein-
den Italiens die Kunde, daſs das durchgebrachte Gesetz cassirt
sei, daſs die Capitalisten unumschränkter schalteten als je, daſs
der Tribun von Mörderhand getroffen, daſs er todt sei (Herbst 663).

Die letzte Hoffnung durch Vertrag die Aufnahme in den rö-
mischen Bürgerverband zu erlangen ward mit Marcus Drusus den

* Die Eidesformel ist erhalten (bei Diodor V at. p. 128, wo sie durch
ein Versehen des Auszugmachers die sinnlose Ueberschrift ‚Eid des Philip-
pus‘ trägt); sie lautet: ‚Ich schwöre bei dem capitolinischen Jupiter und
‚bei der römischen Vesta und bei dem angestammten Mars und bei der zeu-
‚genden Sonne und bei der nährenden Erde und bei den göttlichen Grün-
‚dern und Mehrern der Stadt Rom, daſs mir Freund sein soll und Feind
‚sein soll derselbe, der Freund und Feind ist dem Drusus; imgleichen daſs
‚ich weder meines eigenen noch des Lebens meiner Kinder und Aeltern
‚schonen will, auſser insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen
‚dieses Eides. Wenn ich aber Bürger werden sollte durch das Gesetz des
‚Drusus, so will ich Rom achten als meine Heimath und Drusus als den
‚gröſsten meiner Wohlthäter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen mei-
‚ner Mitbürger als ich vermag; und schwöre ich recht, so gehe es mir wohl,
‚schwöre ich falsch, so gehe es mir übel.‘ — Indeſs wird man wohl thun
diesen Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er rührt ohne Zweifel her aus
später über diese Verschwörung in Rom aufgenommenen Criminalprozeſs-
acten und es bleibt fraglich, ob diese Eidesformel aus den Inculpaten her-
aus oder in sie hinein inquirirt ward.
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[215/0225] EMPÖRUNG DER ITALIKER. Was fast unmöglich geschienen hatte, daſs ein Conservativer die reformatorischen Gedanken der Gracchen aufzunehmen und die Gleichberechtigung der Italiker durchzufechten sich entschlieſse, war nun dennoch eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen zugleich die Regierung und die Italiker zu emancipiren und all seinen ernsten Eifer, all seine zuverlässige Hingebung an diese hochherzigen Reformpläne zu setzen. Es blieb nicht bei allgemeinen Verheiſsungen; er trat, wenn die Be- richte nicht täuschen, an die Spitze eines Geheimbundes, dessen Fäden durch ganz Italien liefen und dessen Mitglieder sich eid- lich * verpflichteten zusammenzustehen für Drusus und die ge- meinschaftliche Sache. Jubelnd vernahm man in Italien, daſs Drusus an der Spitze des Senats seine ersten Anträge durchge- setzt habe; mit noch gröſserem Jubel feierten alle Gemeinden Italiens nicht lange darauf die Genesung des plötzlich schwer er- krankten Tribuns. Aber wie Drusus weitere Absichten sich ent- hüllten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen den zuge- sagten Antrag einzubringen; er muſste verschieben, muſste zö- gern, muſste bald zurückweichen. Man vernahm, daſs die Majo- rität des Senats anfange unsicher zu werden und von ihrem Führer abzufallen drohe; in rascher Folge lief durch die Gemein- den Italiens die Kunde, daſs das durchgebrachte Gesetz cassirt sei, daſs die Capitalisten unumschränkter schalteten als je, daſs der Tribun von Mörderhand getroffen, daſs er todt sei (Herbst 663). Die letzte Hoffnung durch Vertrag die Aufnahme in den rö- mischen Bürgerverband zu erlangen ward mit Marcus Drusus den * Die Eidesformel ist erhalten (bei Diodor V at. p. 128, wo sie durch ein Versehen des Auszugmachers die sinnlose Ueberschrift ‚Eid des Philip- pus‘ trägt); sie lautet: ‚Ich schwöre bei dem capitolinischen Jupiter und ‚bei der römischen Vesta und bei dem angestammten Mars und bei der zeu- ‚genden Sonne und bei der nährenden Erde und bei den göttlichen Grün- ‚dern und Mehrern der Stadt Rom, daſs mir Freund sein soll und Feind ‚sein soll derselbe, der Freund und Feind ist dem Drusus; imgleichen daſs ‚ich weder meines eigenen noch des Lebens meiner Kinder und Aeltern ‚schonen will, auſser insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen ‚dieses Eides. Wenn ich aber Bürger werden sollte durch das Gesetz des ‚Drusus, so will ich Rom achten als meine Heimath und Drusus als den ‚gröſsten meiner Wohlthäter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen mei- ‚ner Mitbürger als ich vermag; und schwöre ich recht, so gehe es mir wohl, ‚schwöre ich falsch, so gehe es mir übel.‘ — Indeſs wird man wohl thun diesen Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er rührt ohne Zweifel her aus später über diese Verschwörung in Rom aufgenommenen Criminalprozeſs- acten und es bleibt fraglich, ob diese Eidesformel aus den Inculpaten her- aus oder in sie hinein inquirirt ward.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/225>, abgerufen am 25.11.2024.