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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
ihrer eigenen Partei verlassen gefunden hatten und desshalb ge-
stürzt worden waren. In all den Wechselfällen der dreissigjäh-
rigen Revolution und Restauration waren Regierungen genug
ein- und abgesetzt worden, aber wie auch die Principien wandel-
bar sein mochten, die kurzsichtige Engherzigkeit sass ewig am
Steuer. Es war längst zu sehen, dass die Italiker vergeblich die
Berücksichtigung ihrer Ansprüche von den römischen Parteien
erwarteten; aber die letzten Jahre hatten dies mit so leidiger Klar-
heit herausgestellt, dass jede Illusion weichen musste. Lange hat-
ten sich die Begehren der Italiker gemischt mit denen der Revo-
lutionspartei und waren gescheitert an dem Unverstand der Mas-
sen; es konnte scheinen, als sei die Oligarchie nur den Antrag-
stellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als
sei jetzt, wo sie wieder fast unbeschränkt regierte, noch eine
Möglichkeit vorhanden, dass der intelligentere Senat die mit dem
Wesen der Oligarchie verträgliche und dem Staat heilsame Mass-
regel seinerseits aufnehmen werde. Allein statt dessen erging im
J. 659 ein consularisches Gesetz, das den Nichtbürgern aufs
strengste untersagte des Bürgerrechts sich anzumassen und den
Contravenienten mit Untersuchung und Strafe bedrohte -- ein
Gesetz, das eine grosse Anzahl der angesehensten und bei der
Gleichberechtigungsfrage am meisten interessirten Personen aus
den Reihen der Römer in die der Italiker zurückwarf und das
in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und staatsmännischen
Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit jener be-
rühmten Acte, welche den Grund legte zur Trennung Nordame-
rikas vom Mutterland, und denn auch eben wie diese die nächste
Ursache des Bürgerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer,
dass die Urheber dieses Gesetzes keineswegs zu den verstockten
und unverbesserlichen Optimaten gehörten, sondern keine an-
deren waren als der kluge allgemein verehrte Quintus Scaevola,
der freilich wie Georg Grenville von der Natur zum Rechtsge-
lehrten und vom Verhängniss zum Staatsmann bestimmt war,
und durch seine ebenso ehrenwerthe als schädliche Redlichkeit
erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den zwi-
schen Römern und Italikern mehr als irgend ein Zweiter ent-
zünden half, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und
Bundesgenosse des Drusus und überhaupt einer der gemässigt-
sten und einsichtigsten Optimaten. Inmitten der heftigen Gäh-
rung, die dies Gesetz und die daraus entstandenen zahlreichen
Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien den Italikern noch
einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus Drusus.

VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
ihrer eigenen Partei verlassen gefunden hatten und deſshalb ge-
stürzt worden waren. In all den Wechselfällen der dreiſsigjäh-
rigen Revolution und Restauration waren Regierungen genug
ein- und abgesetzt worden, aber wie auch die Principien wandel-
bar sein mochten, die kurzsichtige Engherzigkeit saſs ewig am
Steuer. Es war längst zu sehen, daſs die Italiker vergeblich die
Berücksichtigung ihrer Ansprüche von den römischen Parteien
erwarteten; aber die letzten Jahre hatten dies mit so leidiger Klar-
heit herausgestellt, daſs jede Illusion weichen muſste. Lange hat-
ten sich die Begehren der Italiker gemischt mit denen der Revo-
lutionspartei und waren gescheitert an dem Unverstand der Mas-
sen; es konnte scheinen, als sei die Oligarchie nur den Antrag-
stellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als
sei jetzt, wo sie wieder fast unbeschränkt regierte, noch eine
Möglichkeit vorhanden, daſs der intelligentere Senat die mit dem
Wesen der Oligarchie verträgliche und dem Staat heilsame Maſs-
regel seinerseits aufnehmen werde. Allein statt dessen erging im
J. 659 ein consularisches Gesetz, das den Nichtbürgern aufs
strengste untersagte des Bürgerrechts sich anzumaſsen und den
Contravenienten mit Untersuchung und Strafe bedrohte — ein
Gesetz, das eine groſse Anzahl der angesehensten und bei der
Gleichberechtigungsfrage am meisten interessirten Personen aus
den Reihen der Römer in die der Italiker zurückwarf und das
in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und staatsmännischen
Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit jener be-
rühmten Acte, welche den Grund legte zur Trennung Nordame-
rikas vom Mutterland, und denn auch eben wie diese die nächste
Ursache des Bürgerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer,
daſs die Urheber dieses Gesetzes keineswegs zu den verstockten
und unverbesserlichen Optimaten gehörten, sondern keine an-
deren waren als der kluge allgemein verehrte Quintus Scaevola,
der freilich wie Georg Grenville von der Natur zum Rechtsge-
lehrten und vom Verhängniſs zum Staatsmann bestimmt war,
und durch seine ebenso ehrenwerthe als schädliche Redlichkeit
erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den zwi-
schen Römern und Italikern mehr als irgend ein Zweiter ent-
zünden half, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und
Bundesgenosse des Drusus und überhaupt einer der gemäſsigt-
sten und einsichtigsten Optimaten. Inmitten der heftigen Gäh-
rung, die dies Gesetz und die daraus entstandenen zahlreichen
Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien den Italikern noch
einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus Drusus.

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[214/0224] VIERTES BUCH. KAPITEL VII. ihrer eigenen Partei verlassen gefunden hatten und deſshalb ge- stürzt worden waren. In all den Wechselfällen der dreiſsigjäh- rigen Revolution und Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden, aber wie auch die Principien wandel- bar sein mochten, die kurzsichtige Engherzigkeit saſs ewig am Steuer. Es war längst zu sehen, daſs die Italiker vergeblich die Berücksichtigung ihrer Ansprüche von den römischen Parteien erwarteten; aber die letzten Jahre hatten dies mit so leidiger Klar- heit herausgestellt, daſs jede Illusion weichen muſste. Lange hat- ten sich die Begehren der Italiker gemischt mit denen der Revo- lutionspartei und waren gescheitert an dem Unverstand der Mas- sen; es konnte scheinen, als sei die Oligarchie nur den Antrag- stellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als sei jetzt, wo sie wieder fast unbeschränkt regierte, noch eine Möglichkeit vorhanden, daſs der intelligentere Senat die mit dem Wesen der Oligarchie verträgliche und dem Staat heilsame Maſs- regel seinerseits aufnehmen werde. Allein statt dessen erging im J. 659 ein consularisches Gesetz, das den Nichtbürgern aufs strengste untersagte des Bürgerrechts sich anzumaſsen und den Contravenienten mit Untersuchung und Strafe bedrohte — ein Gesetz, das eine groſse Anzahl der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am meisten interessirten Personen aus den Reihen der Römer in die der Italiker zurückwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und staatsmännischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit jener be- rühmten Acte, welche den Grund legte zur Trennung Nordame- rikas vom Mutterland, und denn auch eben wie diese die nächste Ursache des Bürgerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, daſs die Urheber dieses Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten gehörten, sondern keine an- deren waren als der kluge allgemein verehrte Quintus Scaevola, der freilich wie Georg Grenville von der Natur zum Rechtsge- lehrten und vom Verhängniſs zum Staatsmann bestimmt war, und durch seine ebenso ehrenwerthe als schädliche Redlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den zwi- schen Römern und Italikern mehr als irgend ein Zweiter ent- zünden half, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des Drusus und überhaupt einer der gemäſsigt- sten und einsichtigsten Optimaten. Inmitten der heftigen Gäh- rung, die dies Gesetz und die daraus entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus Drusus.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/224>, abgerufen am 25.11.2024.