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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
Italikern zu Grabe getragen. Wozu dieser conservative und ener-
gische Mann unter den günstigsten Verhältnissen seine eigene
Partei nicht hatte bestimmen können, dazu war überhaupt auf
dem Wege der Güte nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur
die Wahl entweder geduldig sich zu fügen oder den Versuch, der
vor fünfunddreissig Jahren durch die Zerstörung von Fregellae
im Keim erstickt worden war, noch einmal wo möglich mit
gesammter Hand zu wiederholen und mit den Waffen sei es Rom
zu vernichten und zu beerben, sei es wenigstens die Gleichbe-
rechtigung mit Rom zu erobern. Es war dieser letztere Ent-
schluss freilich ein Entschluss der Verzweiflung; wie die Sachen
lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen Stadtgemeinden
gegen die römische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser
erscheinen als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstädte
gegen das brittische Imperium; mit mässiger Aufmerksamkeit
und Thatkraft konnte allem Anschein nach die römische Regie-
rung dieser zweiten Schilderhebung das Schicksal der früheren
bereiten. Allein war es etwa minder ein Entschluss der Ver-
zweiflung, wenn man stillsass und die Dinge über sich kom-
men liess? Wenn man sich erinnerte, wie die Römer un-
gereizt in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu
erwarten, wo die angesehensten Männer in jeder italischen
Stadt mit Drusus in einem Einverständniss gestanden hatten,
das geradezu gegen die jetzt siegreiche Partei gerichtet und
sehr leicht als Hochverrath zu qualificiren war? Allen denen,
die an diesem Geheimbund Theil gehabt, ja allen die nur der
Theilhaberschaft verdächtigt werden konnten, blieb keine an-
dere Wahl als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter
das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, dass für eine allge-
meine Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwärtige Augen-
blick noch die günstigsten Aussichten darbot. Wir sind nicht
genau darüber unterrichtet, in wie weit die Römer die Sprengung
der grösseren italischen Eidgenossenschaften durchgeführt hat-
ten; es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Marser, die Paeligner,
vielleicht sogar die Samniten und Lucaner als Gemeindebünde,
wenn auch mit stark geschmälerten Rechten, noch damals fort-
bestanden. Die beginnende Insurrection fand noch an diesen Mas-
sen einen Stützpunct; wer aber mochte dafür bürgen, wie bald die
Römer eben darum dazu schritten diese grösseren Verbände zu
sprengen? Der Geheimbund ferner, an dessen Spitze Drusus
gestanden, hatte sein Haupt verloren, aber er bestand und ge-
währte für die politische Organisation des Aufstandes einen

VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
Italikern zu Grabe getragen. Wozu dieser conservative und ener-
gische Mann unter den günstigsten Verhältnissen seine eigene
Partei nicht hatte bestimmen können, dazu war überhaupt auf
dem Wege der Güte nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur
die Wahl entweder geduldig sich zu fügen oder den Versuch, der
vor fünfunddreiſsig Jahren durch die Zerstörung von Fregellae
im Keim erstickt worden war, noch einmal wo möglich mit
gesammter Hand zu wiederholen und mit den Waffen sei es Rom
zu vernichten und zu beerben, sei es wenigstens die Gleichbe-
rechtigung mit Rom zu erobern. Es war dieser letztere Ent-
schluſs freilich ein Entschluſs der Verzweiflung; wie die Sachen
lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen Stadtgemeinden
gegen die römische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser
erscheinen als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstädte
gegen das brittische Imperium; mit mäſsiger Aufmerksamkeit
und Thatkraft konnte allem Anschein nach die römische Regie-
rung dieser zweiten Schilderhebung das Schicksal der früheren
bereiten. Allein war es etwa minder ein Entschluſs der Ver-
zweiflung, wenn man stillsaſs und die Dinge über sich kom-
men lieſs? Wenn man sich erinnerte, wie die Römer un-
gereizt in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu
erwarten, wo die angesehensten Männer in jeder italischen
Stadt mit Drusus in einem Einverständniſs gestanden hatten,
das geradezu gegen die jetzt siegreiche Partei gerichtet und
sehr leicht als Hochverrath zu qualificiren war? Allen denen,
die an diesem Geheimbund Theil gehabt, ja allen die nur der
Theilhaberschaft verdächtigt werden konnten, blieb keine an-
dere Wahl als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter
das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, daſs für eine allge-
meine Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwärtige Augen-
blick noch die günstigsten Aussichten darbot. Wir sind nicht
genau darüber unterrichtet, in wie weit die Römer die Sprengung
der gröſseren italischen Eidgenossenschaften durchgeführt hat-
ten; es ist nicht unwahrscheinlich, daſs die Marser, die Paeligner,
vielleicht sogar die Samniten und Lucaner als Gemeindebünde,
wenn auch mit stark geschmälerten Rechten, noch damals fort-
bestanden. Die beginnende Insurrection fand noch an diesen Mas-
sen einen Stützpunct; wer aber mochte dafür bürgen, wie bald die
Römer eben darum dazu schritten diese gröſseren Verbände zu
sprengen? Der Geheimbund ferner, an dessen Spitze Drusus
gestanden, hatte sein Haupt verloren, aber er bestand und ge-
währte für die politische Organisation des Aufstandes einen

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[216/0226] VIERTES BUCH. KAPITEL VII. Italikern zu Grabe getragen. Wozu dieser conservative und ener- gische Mann unter den günstigsten Verhältnissen seine eigene Partei nicht hatte bestimmen können, dazu war überhaupt auf dem Wege der Güte nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur die Wahl entweder geduldig sich zu fügen oder den Versuch, der vor fünfunddreiſsig Jahren durch die Zerstörung von Fregellae im Keim erstickt worden war, noch einmal wo möglich mit gesammter Hand zu wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu vernichten und zu beerben, sei es wenigstens die Gleichbe- rechtigung mit Rom zu erobern. Es war dieser letztere Ent- schluſs freilich ein Entschluſs der Verzweiflung; wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen Stadtgemeinden gegen die römische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser erscheinen als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstädte gegen das brittische Imperium; mit mäſsiger Aufmerksamkeit und Thatkraft konnte allem Anschein nach die römische Regie- rung dieser zweiten Schilderhebung das Schicksal der früheren bereiten. Allein war es etwa minder ein Entschluſs der Ver- zweiflung, wenn man stillsaſs und die Dinge über sich kom- men lieſs? Wenn man sich erinnerte, wie die Römer un- gereizt in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu erwarten, wo die angesehensten Männer in jeder italischen Stadt mit Drusus in einem Einverständniſs gestanden hatten, das geradezu gegen die jetzt siegreiche Partei gerichtet und sehr leicht als Hochverrath zu qualificiren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund Theil gehabt, ja allen die nur der Theilhaberschaft verdächtigt werden konnten, blieb keine an- dere Wahl als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, daſs für eine allge- meine Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwärtige Augen- blick noch die günstigsten Aussichten darbot. Wir sind nicht genau darüber unterrichtet, in wie weit die Römer die Sprengung der gröſseren italischen Eidgenossenschaften durchgeführt hat- ten; es ist nicht unwahrscheinlich, daſs die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die Samniten und Lucaner als Gemeindebünde, wenn auch mit stark geschmälerten Rechten, noch damals fort- bestanden. Die beginnende Insurrection fand noch an diesen Mas- sen einen Stützpunct; wer aber mochte dafür bürgen, wie bald die Römer eben darum dazu schritten diese gröſseren Verbände zu sprengen? Der Geheimbund ferner, an dessen Spitze Drusus gestanden, hatte sein Haupt verloren, aber er bestand und ge- währte für die politische Organisation des Aufstandes einen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/226>, abgerufen am 25.11.2024.