Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.EMPÖRUNG DER ITALIKER. Bürger geringer war als die der italischen Bundesgenossen undauf ungefähr 400000 Bürger mindestens 500000 wahrscheinlich 600000 Bundesgenossen kamen*. Indess konnte bei einem solchen Verhältniss, so lange die Bürgerschaft einig und kein nennenswerther äusserer Feind vorhanden war, die in eine Un- zahl einzelner Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch tausendfache öffentliche und Privatverhältnisse mit Rom ver- knüpfte italische Bundesgenossenschaft zu einem gemeinschaft- lichen Handeln nimmermehr gelangen und mit mässiger Klug- heit es der Regierung nicht fehlen die schwierigen und grollen- den Unterthanenschaften theils durch die compacte Masse der Bürgerschaft, theils durch die sehr ansehnlichen Hülfsmittel, die die Provinzen darboten, theils eine Gemeinde durch die andere zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die Revolution begann Rom zu erschüttern; so wie aber diese aus- gebrochen war, griffen auch sie ein in das Treiben und Wogen der römischen Parteien, um durch die eine oder die andere die Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der Senatspartei und bei beiden gleich wenig erreicht. Sie hatten sich überzeu- gen müssen, dass zwar die besten Männer beider Parteien die Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten, dass aber diese besten Männer, Aristokraten wie Populare, gleich we- nig bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehör zu ver- schaffen vermochten. Sie hatten es mit angesehen, wie die be- gabtesten, energischsten, gefeiertsten Staatsmänner in demselben Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von * Diese Ziffern sind den Censuszahlen der Jahre 639 und 684 entnom-
men; jener ergab 394336, dieser 910000 waffenfähige Bürger (nach Phle- gon fr. 12 Müll., welchen Satz Clinton und dessen Ausschreiber fälschlich auf den Census von 668 beziehen; nach Liv. ep. 98 wurden -- nach der richtigen Lesung -- 900000 Köpfe gezählt). Der einzige zwischen diesen beiden bekannte Census von 668, der nach Hieronymus 463000 Köpfe er- gab, ist wohl nur desshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevölkerung Italiens in der Zeit von 639 bis 684 nicht angenommen werden kann und selbst die sullanischen Landanweisungen die Lücken, die der Krieg gerissen, höch- stens gedeckt haben können, so darf der Ueberschuss von reichlich 500000 Waffenfähigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte Aufnahme der Bundesgenossen zurückgeführt werden. Indess ist es möglich und sogar wahrscheinlich, dass in diesen verhängnissvollen Jahren in der That der Stand der italischen Bevölkerung vielmehr zurückging, so dass nach einem mässigen Ansatz für die Zeit des Bundesgenossenkrieges auf zwei Bürger drei Nichtbürger in Italien gerechnet werden können. EMPÖRUNG DER ITALIKER. Bürger geringer war als die der italischen Bundesgenossen undauf ungefähr 400000 Bürger mindestens 500000 wahrscheinlich 600000 Bundesgenossen kamen*. Indeſs konnte bei einem solchen Verhältniſs, so lange die Bürgerschaft einig und kein nennenswerther äuſserer Feind vorhanden war, die in eine Un- zahl einzelner Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch tausendfache öffentliche und Privatverhältnisse mit Rom ver- knüpfte italische Bundesgenossenschaft zu einem gemeinschaft- lichen Handeln nimmermehr gelangen und mit mäſsiger Klug- heit es der Regierung nicht fehlen die schwierigen und grollen- den Unterthanenschaften theils durch die compacte Masse der Bürgerschaft, theils durch die sehr ansehnlichen Hülfsmittel, die die Provinzen darboten, theils eine Gemeinde durch die andere zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die Revolution begann Rom zu erschüttern; so wie aber diese aus- gebrochen war, griffen auch sie ein in das Treiben und Wogen der römischen Parteien, um durch die eine oder die andere die Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der Senatspartei und bei beiden gleich wenig erreicht. Sie hatten sich überzeu- gen müssen, daſs zwar die besten Männer beider Parteien die Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten, daſs aber diese besten Männer, Aristokraten wie Populare, gleich we- nig bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehör zu ver- schaffen vermochten. Sie hatten es mit angesehen, wie die be- gabtesten, energischsten, gefeiertsten Staatsmänner in demselben Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von * Diese Ziffern sind den Censuszahlen der Jahre 639 und 684 entnom-
men; jener ergab 394336, dieser 910000 waffenfähige Bürger (nach Phle- gon fr. 12 Müll., welchen Satz Clinton und dessen Ausschreiber fälschlich auf den Census von 668 beziehen; nach Liv. ep. 98 wurden — nach der richtigen Lesung — 900000 Köpfe gezählt). Der einzige zwischen diesen beiden bekannte Census von 668, der nach Hieronymus 463000 Köpfe er- gab, ist wohl nur deſshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevölkerung Italiens in der Zeit von 639 bis 684 nicht angenommen werden kann und selbst die sullanischen Landanweisungen die Lücken, die der Krieg gerissen, höch- stens gedeckt haben können, so darf der Ueberschuſs von reichlich 500000 Waffenfähigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte Aufnahme der Bundesgenossen zurückgeführt werden. Indeſs ist es möglich und sogar wahrscheinlich, daſs in diesen verhängniſsvollen Jahren in der That der Stand der italischen Bevölkerung vielmehr zurückging, so daſs nach einem mäſsigen Ansatz für die Zeit des Bundesgenossenkrieges auf zwei Bürger drei Nichtbürger in Italien gerechnet werden können. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0223" n="213"/><fw place="top" type="header">EMPÖRUNG DER ITALIKER.</fw><lb/> Bürger geringer war als die der italischen Bundesgenossen und<lb/> auf ungefähr 400000 Bürger mindestens 500000 wahrscheinlich<lb/> 600000 Bundesgenossen kamen<note place="foot" n="*">Diese Ziffern sind den Censuszahlen der Jahre 639 und 684 entnom-<lb/> men; jener ergab 394336, dieser 910000 waffenfähige Bürger (nach Phle-<lb/> gon <hi rendition="#i">fr.</hi> 12 Müll., welchen Satz Clinton und dessen Ausschreiber fälschlich<lb/> auf den Census von 668 beziehen; nach Liv. <hi rendition="#i">ep.</hi> 98 wurden — nach der<lb/> richtigen Lesung — 900000 Köpfe gezählt). Der einzige zwischen diesen<lb/> beiden bekannte Census von 668, der nach Hieronymus 463000 Köpfe er-<lb/> gab, ist wohl nur deſshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der<lb/> Krise der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevölkerung Italiens in<lb/> der Zeit von 639 bis 684 nicht angenommen werden kann und selbst die<lb/> sullanischen Landanweisungen die Lücken, die der Krieg gerissen, höch-<lb/> stens gedeckt haben können, so darf der Ueberschuſs von reichlich 500000<lb/> Waffenfähigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte Aufnahme der<lb/> Bundesgenossen zurückgeführt werden. Indeſs ist es möglich und sogar<lb/> wahrscheinlich, daſs in diesen verhängniſsvollen Jahren in der That der<lb/> Stand der italischen Bevölkerung vielmehr zurückging, so daſs nach einem<lb/> mäſsigen Ansatz für die Zeit des Bundesgenossenkrieges auf zwei Bürger<lb/> drei Nichtbürger in Italien gerechnet werden können.</note>. Indeſs konnte bei einem<lb/> solchen Verhältniſs, so lange die Bürgerschaft einig und kein<lb/> nennenswerther äuſserer Feind vorhanden war, die in eine Un-<lb/> zahl einzelner Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch<lb/> tausendfache öffentliche und Privatverhältnisse mit Rom ver-<lb/> knüpfte italische Bundesgenossenschaft zu einem gemeinschaft-<lb/> lichen Handeln nimmermehr gelangen und mit mäſsiger Klug-<lb/> heit es der Regierung nicht fehlen die schwierigen und grollen-<lb/> den Unterthanenschaften theils durch die compacte Masse der<lb/> Bürgerschaft, theils durch die sehr ansehnlichen Hülfsmittel, die<lb/> die Provinzen darboten, theils eine Gemeinde durch die andere<lb/> zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die<lb/> Revolution begann Rom zu erschüttern; so wie aber diese aus-<lb/> gebrochen war, griffen auch sie ein in das Treiben und Wogen<lb/> der römischen Parteien, um durch die eine oder die andere die<lb/> Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche<lb/> Sache gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der Senatspartei<lb/> und bei beiden gleich wenig erreicht. Sie hatten sich überzeu-<lb/> gen müssen, daſs zwar die besten Männer beider Parteien die<lb/> Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten, daſs<lb/> aber diese besten Männer, Aristokraten wie Populare, gleich we-<lb/> nig bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehör zu ver-<lb/> schaffen vermochten. Sie hatten es mit angesehen, wie die be-<lb/> gabtesten, energischsten, gefeiertsten Staatsmänner in demselben<lb/> Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [213/0223]
EMPÖRUNG DER ITALIKER.
Bürger geringer war als die der italischen Bundesgenossen und
auf ungefähr 400000 Bürger mindestens 500000 wahrscheinlich
600000 Bundesgenossen kamen *. Indeſs konnte bei einem
solchen Verhältniſs, so lange die Bürgerschaft einig und kein
nennenswerther äuſserer Feind vorhanden war, die in eine Un-
zahl einzelner Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch
tausendfache öffentliche und Privatverhältnisse mit Rom ver-
knüpfte italische Bundesgenossenschaft zu einem gemeinschaft-
lichen Handeln nimmermehr gelangen und mit mäſsiger Klug-
heit es der Regierung nicht fehlen die schwierigen und grollen-
den Unterthanenschaften theils durch die compacte Masse der
Bürgerschaft, theils durch die sehr ansehnlichen Hülfsmittel, die
die Provinzen darboten, theils eine Gemeinde durch die andere
zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die
Revolution begann Rom zu erschüttern; so wie aber diese aus-
gebrochen war, griffen auch sie ein in das Treiben und Wogen
der römischen Parteien, um durch die eine oder die andere die
Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche
Sache gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der Senatspartei
und bei beiden gleich wenig erreicht. Sie hatten sich überzeu-
gen müssen, daſs zwar die besten Männer beider Parteien die
Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten, daſs
aber diese besten Männer, Aristokraten wie Populare, gleich we-
nig bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehör zu ver-
schaffen vermochten. Sie hatten es mit angesehen, wie die be-
gabtesten, energischsten, gefeiertsten Staatsmänner in demselben
Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von
* Diese Ziffern sind den Censuszahlen der Jahre 639 und 684 entnom-
men; jener ergab 394336, dieser 910000 waffenfähige Bürger (nach Phle-
gon fr. 12 Müll., welchen Satz Clinton und dessen Ausschreiber fälschlich
auf den Census von 668 beziehen; nach Liv. ep. 98 wurden — nach der
richtigen Lesung — 900000 Köpfe gezählt). Der einzige zwischen diesen
beiden bekannte Census von 668, der nach Hieronymus 463000 Köpfe er-
gab, ist wohl nur deſshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der
Krise der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevölkerung Italiens in
der Zeit von 639 bis 684 nicht angenommen werden kann und selbst die
sullanischen Landanweisungen die Lücken, die der Krieg gerissen, höch-
stens gedeckt haben können, so darf der Ueberschuſs von reichlich 500000
Waffenfähigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte Aufnahme der
Bundesgenossen zurückgeführt werden. Indeſs ist es möglich und sogar
wahrscheinlich, daſs in diesen verhängniſsvollen Jahren in der That der
Stand der italischen Bevölkerung vielmehr zurückging, so daſs nach einem
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drei Nichtbürger in Italien gerechnet werden können.
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