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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VI.
Geschwornenordnung; er so wie der berühmte Redner Lucius
Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die
Miturheber seiner Anträge. Indess die Masse der regierenden
Aristokratie dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus und Cras-
sus. Es fehlte im Senat nicht an entschiedenen Anhängern der
Capitalistenpartei, unter denen namentlich sich bemerklich mach-
ten der derzeitige Consul Lucius Marcius Philippus, der wie
früher die Sache der Demokratie (S. 126) so jetzt die des Rit-
terstandes mit Eifer und Klugheit verfocht, und der verwegene
und rücksichtslose Quintus Caepio, den zunächst die persönliche
Feindschaft gegen Drusus und Scaurus zur Opposition bestimm-
ten. Allein gefährlicher als diese entschiedenen Gegner war die
feige und faule Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen
lieber allein geplündert hätte, aber am Ende auch nicht viel da-
wider hatte, mit den Rittern die Beute zu theilen, und statt den
Ernst und die Gefahren des Kampfes gegen die übermüthigen
Capitalisten zu übernehmen es viel billiger und bequemer fand
sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen
Fussfall oder auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen.
Nur der Erfolg konnte zeigen, wie weit es gelingen werde, diese
Masse mit fortzureissen, ohne die es nun einmal nicht möglich
war zum Ziele zu gelangen.

Drusus entwarf den Antrag die Geschwornenstellen den
Bürgern vom Rittercensus zu entziehen und sie dem Senat zu-
rückzugeben, welcher zugleich durch Aufnahme von 300 neuen
Mitgliedern in den Stand gesetzt werden sollte den vermehrten
Obliegenheiten zu genügen; es sollte ausserdem eine eigene Cri-
minalcommission niedergesetzt werden, um die Richter, die der
Bestechlichkeit sich schuldig gemacht hätten oder schuldig ma-
chen würden, zur Verantwortung zu ziehen. Hiemit war der
nächste Zweck erreicht die Capitalisten ihrer politischen Sonder-
rechte zu berauben und sie für die erlittene Unbill zur Verant-
wortung zu ziehen. Indess Drusus Anträge und Absichten be-
schränkten sich hierauf keineswegs; seine Vorschläge waren keine
Gelegenheitsmassregeln, sondern ein umfassender und durch-
dachter Reformplan. Er beantragte ferner die Getreideverthei-
lungen zu erhöhen und die Mehrkosten zu decken durch die
dauernde Emission einer verhältnissmässigen Zahl von kupfernen
neben den silbernen Denaren, sodann das gesammte noch unver-
theilte italische Ackerland, also namentlich die campanische Do-
mäne, und den besten Theil Siciliens zur Ansiedelung von Bür-
gercolonisten zu bestimmen; endlich ging er den italischen Bun-

VIERTES BUCH. KAPITEL VI.
Geschwornenordnung; er so wie der berühmte Redner Lucius
Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die
Miturheber seiner Anträge. Indeſs die Masse der regierenden
Aristokratie dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus und Cras-
sus. Es fehlte im Senat nicht an entschiedenen Anhängern der
Capitalistenpartei, unter denen namentlich sich bemerklich mach-
ten der derzeitige Consul Lucius Marcius Philippus, der wie
früher die Sache der Demokratie (S. 126) so jetzt die des Rit-
terstandes mit Eifer und Klugheit verfocht, und der verwegene
und rücksichtslose Quintus Caepio, den zunächst die persönliche
Feindschaft gegen Drusus und Scaurus zur Opposition bestimm-
ten. Allein gefährlicher als diese entschiedenen Gegner war die
feige und faule Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen
lieber allein geplündert hätte, aber am Ende auch nicht viel da-
wider hatte, mit den Rittern die Beute zu theilen, und statt den
Ernst und die Gefahren des Kampfes gegen die übermüthigen
Capitalisten zu übernehmen es viel billiger und bequemer fand
sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen
Fuſsfall oder auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen.
Nur der Erfolg konnte zeigen, wie weit es gelingen werde, diese
Masse mit fortzureiſsen, ohne die es nun einmal nicht möglich
war zum Ziele zu gelangen.

Drusus entwarf den Antrag die Geschwornenstellen den
Bürgern vom Rittercensus zu entziehen und sie dem Senat zu-
rückzugeben, welcher zugleich durch Aufnahme von 300 neuen
Mitgliedern in den Stand gesetzt werden sollte den vermehrten
Obliegenheiten zu genügen; es sollte auſserdem eine eigene Cri-
minalcommission niedergesetzt werden, um die Richter, die der
Bestechlichkeit sich schuldig gemacht hätten oder schuldig ma-
chen würden, zur Verantwortung zu ziehen. Hiemit war der
nächste Zweck erreicht die Capitalisten ihrer politischen Sonder-
rechte zu berauben und sie für die erlittene Unbill zur Verant-
wortung zu ziehen. Indeſs Drusus Anträge und Absichten be-
schränkten sich hierauf keineswegs; seine Vorschläge waren keine
Gelegenheitsmaſsregeln, sondern ein umfassender und durch-
dachter Reformplan. Er beantragte ferner die Getreideverthei-
lungen zu erhöhen und die Mehrkosten zu decken durch die
dauernde Emission einer verhältniſsmäſsigen Zahl von kupfernen
neben den silbernen Denaren, sodann das gesammte noch unver-
theilte italische Ackerland, also namentlich die campanische Do-
mäne, und den besten Theil Siciliens zur Ansiedelung von Bür-
gercolonisten zu bestimmen; endlich ging er den italischen Bun-

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[204/0214] VIERTES BUCH. KAPITEL VI. Geschwornenordnung; er so wie der berühmte Redner Lucius Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die Miturheber seiner Anträge. Indeſs die Masse der regierenden Aristokratie dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus und Cras- sus. Es fehlte im Senat nicht an entschiedenen Anhängern der Capitalistenpartei, unter denen namentlich sich bemerklich mach- ten der derzeitige Consul Lucius Marcius Philippus, der wie früher die Sache der Demokratie (S. 126) so jetzt die des Rit- terstandes mit Eifer und Klugheit verfocht, und der verwegene und rücksichtslose Quintus Caepio, den zunächst die persönliche Feindschaft gegen Drusus und Scaurus zur Opposition bestimm- ten. Allein gefährlicher als diese entschiedenen Gegner war die feige und faule Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen lieber allein geplündert hätte, aber am Ende auch nicht viel da- wider hatte, mit den Rittern die Beute zu theilen, und statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes gegen die übermüthigen Capitalisten zu übernehmen es viel billiger und bequemer fand sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen Fuſsfall oder auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. Nur der Erfolg konnte zeigen, wie weit es gelingen werde, diese Masse mit fortzureiſsen, ohne die es nun einmal nicht möglich war zum Ziele zu gelangen. Drusus entwarf den Antrag die Geschwornenstellen den Bürgern vom Rittercensus zu entziehen und sie dem Senat zu- rückzugeben, welcher zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand gesetzt werden sollte den vermehrten Obliegenheiten zu genügen; es sollte auſserdem eine eigene Cri- minalcommission niedergesetzt werden, um die Richter, die der Bestechlichkeit sich schuldig gemacht hätten oder schuldig ma- chen würden, zur Verantwortung zu ziehen. Hiemit war der nächste Zweck erreicht die Capitalisten ihrer politischen Sonder- rechte zu berauben und sie für die erlittene Unbill zur Verant- wortung zu ziehen. Indeſs Drusus Anträge und Absichten be- schränkten sich hierauf keineswegs; seine Vorschläge waren keine Gelegenheitsmaſsregeln, sondern ein umfassender und durch- dachter Reformplan. Er beantragte ferner die Getreideverthei- lungen zu erhöhen und die Mehrkosten zu decken durch die dauernde Emission einer verhältniſsmäſsigen Zahl von kupfernen neben den silbernen Denaren, sodann das gesammte noch unver- theilte italische Ackerland, also namentlich die campanische Do- mäne, und den besten Theil Siciliens zur Ansiedelung von Bür- gercolonisten zu bestimmen; endlich ging er den italischen Bun-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/214>, abgerufen am 02.05.2024.