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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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MARIUS UND DRUSUS.
men den Geschwornen zufliessen zu lassen; der Versuch aber den
gerechten Forderungen der Provinzialen auf Recht und Gerech-
tigkeit zu entsprechen reichte hin zur Verurtheilung. Die römi-
sche Regierung schien in dieselbe Abhängigkeit von dem contro-
lirenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das Rich-
tercollegium in Karthago den dortigen Rath gehalten hatte. In
furchtbarer Weise erfüllte sich Gaius Gracchus ahnungsvolles
Wort, dass mit dem Dolche seines Geschwornengesetzes die vor-
nehme Welt sich selber zerfleischen werde.

Ein Sturm auf die Rittergerichte schien unvermeidlich. Wer
in der Regierungspartei noch Sinn dafür hatte, dass das Regie-
ren nicht bloss Rechte sondern auch Pflichten in sich schliesst,
ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich em-
pfand, musste sich auflehnen gegen diese erdrückende und
entehrende politische Controle, die jede Möglichkeit rechtschaffen
zu verwalten von vorn herein abschnitt. Die scandalöse Verur-
theilung des Rutilius Rufus schien eine Aufforderung den Angriff
sofort zu beginnen und Marcus Livius Drusus, der im J. 663
Volkstribun war, betrachtete dieselbe als an sich gerichtet. Der
Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreissig Jahre zuvor zu-
nächst den Gaius Gracchus gestürzt (S. 114) und später auch
als Offizier durch die Unterwerfung der Skordisker sich einen
Namen gemacht hatte (S. 163), war Drusus gleich seinem Vater
streng conservativ gesinnt und hatte in dem Aufstand des Satur-
ninus bereits seine Gesinnung thatsächlich bewährt. Er gehörte
den Kreisen des höchsten Adels an und war Besitzer eines colos-
salen Vermögens; auch der Gesinnung nach war er ein ächter
Aristokrat -- ein energisch stolzer Mann, der es verschmähte
mit den Ehrenzeichen seiner Aemter sich zu behängen, aber auf
dem Todbette es aussprach, dass nicht bald ein Bürger wie-
derkommen werde, der ihm gleich sei; ein Mann, dem das schöne
Wort, dass der Adel verpflichtet, die Richtschnur seines Lebens
ward und blieb. Mit der ganzen ernsten Leidenschaft seines Ge-
müthes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und Feilheit
des vornehmen Pöbels; zuverlässig und sittenstreng war er bei
den geringen Leuten, denen seine Thür und sein Beutel immer
offen standen, mehr geachtet als eigentlich beliebt und trotz
seiner Jugend durch die persönliche Würde seines Charakters
von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand er
nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Muth bei Gelegenheit sei-
ner Vertheidigung in dem Prozess wegen Erpressungen den Dru-
sus öffentlich aufzufordern Hand zu legen an die Reform der

MARIUS UND DRUSUS.
men den Geschwornen zuflieſsen zu lassen; der Versuch aber den
gerechten Forderungen der Provinzialen auf Recht und Gerech-
tigkeit zu entsprechen reichte hin zur Verurtheilung. Die römi-
sche Regierung schien in dieselbe Abhängigkeit von dem contro-
lirenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das Rich-
tercollegium in Karthago den dortigen Rath gehalten hatte. In
furchtbarer Weise erfüllte sich Gaius Gracchus ahnungsvolles
Wort, daſs mit dem Dolche seines Geschwornengesetzes die vor-
nehme Welt sich selber zerfleischen werde.

Ein Sturm auf die Rittergerichte schien unvermeidlich. Wer
in der Regierungspartei noch Sinn dafür hatte, daſs das Regie-
ren nicht bloſs Rechte sondern auch Pflichten in sich schlieſst,
ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich em-
pfand, muſste sich auflehnen gegen diese erdrückende und
entehrende politische Controle, die jede Möglichkeit rechtschaffen
zu verwalten von vorn herein abschnitt. Die scandalöse Verur-
theilung des Rutilius Rufus schien eine Aufforderung den Angriff
sofort zu beginnen und Marcus Livius Drusus, der im J. 663
Volkstribun war, betrachtete dieselbe als an sich gerichtet. Der
Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreiſsig Jahre zuvor zu-
nächst den Gaius Gracchus gestürzt (S. 114) und später auch
als Offizier durch die Unterwerfung der Skordisker sich einen
Namen gemacht hatte (S. 163), war Drusus gleich seinem Vater
streng conservativ gesinnt und hatte in dem Aufstand des Satur-
ninus bereits seine Gesinnung thatsächlich bewährt. Er gehörte
den Kreisen des höchsten Adels an und war Besitzer eines colos-
salen Vermögens; auch der Gesinnung nach war er ein ächter
Aristokrat — ein energisch stolzer Mann, der es verschmähte
mit den Ehrenzeichen seiner Aemter sich zu behängen, aber auf
dem Todbette es aussprach, daſs nicht bald ein Bürger wie-
derkommen werde, der ihm gleich sei; ein Mann, dem das schöne
Wort, daſs der Adel verpflichtet, die Richtschnur seines Lebens
ward und blieb. Mit der ganzen ernsten Leidenschaft seines Ge-
müthes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und Feilheit
des vornehmen Pöbels; zuverlässig und sittenstreng war er bei
den geringen Leuten, denen seine Thür und sein Beutel immer
offen standen, mehr geachtet als eigentlich beliebt und trotz
seiner Jugend durch die persönliche Würde seines Charakters
von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand er
nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Muth bei Gelegenheit sei-
ner Vertheidigung in dem Prozeſs wegen Erpressungen den Dru-
sus öffentlich aufzufordern Hand zu legen an die Reform der

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[ 203[203]/0213] MARIUS UND DRUSUS. men den Geschwornen zuflieſsen zu lassen; der Versuch aber den gerechten Forderungen der Provinzialen auf Recht und Gerech- tigkeit zu entsprechen reichte hin zur Verurtheilung. Die römi- sche Regierung schien in dieselbe Abhängigkeit von dem contro- lirenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das Rich- tercollegium in Karthago den dortigen Rath gehalten hatte. In furchtbarer Weise erfüllte sich Gaius Gracchus ahnungsvolles Wort, daſs mit dem Dolche seines Geschwornengesetzes die vor- nehme Welt sich selber zerfleischen werde. Ein Sturm auf die Rittergerichte schien unvermeidlich. Wer in der Regierungspartei noch Sinn dafür hatte, daſs das Regie- ren nicht bloſs Rechte sondern auch Pflichten in sich schlieſst, ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich em- pfand, muſste sich auflehnen gegen diese erdrückende und entehrende politische Controle, die jede Möglichkeit rechtschaffen zu verwalten von vorn herein abschnitt. Die scandalöse Verur- theilung des Rutilius Rufus schien eine Aufforderung den Angriff sofort zu beginnen und Marcus Livius Drusus, der im J. 663 Volkstribun war, betrachtete dieselbe als an sich gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreiſsig Jahre zuvor zu- nächst den Gaius Gracchus gestürzt (S. 114) und später auch als Offizier durch die Unterwerfung der Skordisker sich einen Namen gemacht hatte (S. 163), war Drusus gleich seinem Vater streng conservativ gesinnt und hatte in dem Aufstand des Satur- ninus bereits seine Gesinnung thatsächlich bewährt. Er gehörte den Kreisen des höchsten Adels an und war Besitzer eines colos- salen Vermögens; auch der Gesinnung nach war er ein ächter Aristokrat — ein energisch stolzer Mann, der es verschmähte mit den Ehrenzeichen seiner Aemter sich zu behängen, aber auf dem Todbette es aussprach, daſs nicht bald ein Bürger wie- derkommen werde, der ihm gleich sei; ein Mann, dem das schöne Wort, daſs der Adel verpflichtet, die Richtschnur seines Lebens ward und blieb. Mit der ganzen ernsten Leidenschaft seines Ge- müthes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und Feilheit des vornehmen Pöbels; zuverlässig und sittenstreng war er bei den geringen Leuten, denen seine Thür und sein Beutel immer offen standen, mehr geachtet als eigentlich beliebt und trotz seiner Jugend durch die persönliche Würde seines Charakters von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand er nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Muth bei Gelegenheit sei- ner Vertheidigung in dem Prozeſs wegen Erpressungen den Dru- sus öffentlich aufzufordern Hand zu legen an die Reform der

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 203[203]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/213>, abgerufen am 26.11.2024.