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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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MARIUS UND DRUSUS.
desgenossen gegenüber die bestimmtesten Verpflichtungen ein
ihnen das römische Bürgerrecht zu verschaffen. So erschienen
denn hier von aristokratischer Seite eben dieselben Herrschafts-
stützen und eben dieselben Reformgedanken, auf denen Gaius
Gracchus Verfassung beruht hatte; ein seltsames und doch sehr
begreifliches Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung,
dass wie die Tyrannis gegen die Oligarchie so diese gegen die
Geldaristokratie sich stützte auf das besoldete und gewisser-
massen organisirte Proletariat; hatte die Regierung früher die
Ernährung des Proletariats auf Staatskosten als ein unvermeid-
liches Uebel hingenommen, so dachte Drusus jetzt an dem Pro-
letariat wenigstens für den Augenblick eine Waffe gegen die
Geldaristokratie zu finden. Es war nur in der Ordnung, dass der
bessere Theil der Aristokratie, eben wie ehemals auf das Acker-
gesetz des Tiberius Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle
diejenigen Reformmassregeln, die ohne die Oberhauptsfrage zu
berühren nur darauf ausgingen die alten Schäden des Staats aus-
zuheilen. In der Emigrations- und Colonisationsfrage konnte
man zwar so weit nicht gehen wie die Demokratie, da die Herr-
schaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf dem freien Schalten
mit den Provinzen und jedes dauernde militärische Commando
sie gefährdete; die Gedanken Italien und die Provinzen gleichzu-
stellen und jenseit der Alpen zu erobern vertrugen mit den con-
servativen Principien sich nicht. Allein die latinischen und selbst
die campanischen Domänen so wie Sicilien konnte der Senat
recht wohl aufopfern um den italischen Bauernstand zu heben,
und dennoch die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch
hinzukam, dass man künftigen Agitationen nicht wirksamer vor-
beugen konnte als dadurch, dass alles irgend verfügbare Land
von der Aristokratie selbst zur Auftheilung gebracht und künf-
tigen Demagogen, nach Drusus eigenem Ausdruck, nichts zu ver-
theilen übrig gelassen ward als der Gassenkoth und das Morgen-
roth. Ebenso war es für die Regierung, mochte dies nun ein
Monarch sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender Fami-
lien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum römischen
Bürgerverband gehörte; und es war sehr begreiflich, dass beider-
seits die reformirenden Männer sich in dem Gedanken begeg-
neten durch zweckmässige und rechtzeitige Erstreckung des Bür-
gerrechts die Gefahr abzuwenden, dass die Insurrection von Fre-
gellae in grösserem Massstab wiederkehre, nebenher auch an
den zahl- und einflussreichen Italikern sich Bundesgenossen
für ihre Plane zu verschaffen. So scharf in der Oberhauptsfrage

MARIUS UND DRUSUS.
desgenossen gegenüber die bestimmtesten Verpflichtungen ein
ihnen das römische Bürgerrecht zu verschaffen. So erschienen
denn hier von aristokratischer Seite eben dieselben Herrschafts-
stützen und eben dieselben Reformgedanken, auf denen Gaius
Gracchus Verfassung beruht hatte; ein seltsames und doch sehr
begreifliches Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung,
daſs wie die Tyrannis gegen die Oligarchie so diese gegen die
Geldaristokratie sich stützte auf das besoldete und gewisser-
maſsen organisirte Proletariat; hatte die Regierung früher die
Ernährung des Proletariats auf Staatskosten als ein unvermeid-
liches Uebel hingenommen, so dachte Drusus jetzt an dem Pro-
letariat wenigstens für den Augenblick eine Waffe gegen die
Geldaristokratie zu finden. Es war nur in der Ordnung, daſs der
bessere Theil der Aristokratie, eben wie ehemals auf das Acker-
gesetz des Tiberius Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle
diejenigen Reformmaſsregeln, die ohne die Oberhauptsfrage zu
berühren nur darauf ausgingen die alten Schäden des Staats aus-
zuheilen. In der Emigrations- und Colonisationsfrage konnte
man zwar so weit nicht gehen wie die Demokratie, da die Herr-
schaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf dem freien Schalten
mit den Provinzen und jedes dauernde militärische Commando
sie gefährdete; die Gedanken Italien und die Provinzen gleichzu-
stellen und jenseit der Alpen zu erobern vertrugen mit den con-
servativen Principien sich nicht. Allein die latinischen und selbst
die campanischen Domänen so wie Sicilien konnte der Senat
recht wohl aufopfern um den italischen Bauernstand zu heben,
und dennoch die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch
hinzukam, daſs man künftigen Agitationen nicht wirksamer vor-
beugen konnte als dadurch, daſs alles irgend verfügbare Land
von der Aristokratie selbst zur Auftheilung gebracht und künf-
tigen Demagogen, nach Drusus eigenem Ausdruck, nichts zu ver-
theilen übrig gelassen ward als der Gassenkoth und das Morgen-
roth. Ebenso war es für die Regierung, mochte dies nun ein
Monarch sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender Fami-
lien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum römischen
Bürgerverband gehörte; und es war sehr begreiflich, daſs beider-
seits die reformirenden Männer sich in dem Gedanken begeg-
neten durch zweckmäſsige und rechtzeitige Erstreckung des Bür-
gerrechts die Gefahr abzuwenden, daſs die Insurrection von Fre-
gellae in gröſserem Maſsstab wiederkehre, nebenher auch an
den zahl- und einfluſsreichen Italikern sich Bundesgenossen
für ihre Plane zu verschaffen. So scharf in der Oberhauptsfrage

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[205/0215] MARIUS UND DRUSUS. desgenossen gegenüber die bestimmtesten Verpflichtungen ein ihnen das römische Bürgerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier von aristokratischer Seite eben dieselben Herrschafts- stützen und eben dieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus Verfassung beruht hatte; ein seltsames und doch sehr begreifliches Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, daſs wie die Tyrannis gegen die Oligarchie so diese gegen die Geldaristokratie sich stützte auf das besoldete und gewisser- maſsen organisirte Proletariat; hatte die Regierung früher die Ernährung des Proletariats auf Staatskosten als ein unvermeid- liches Uebel hingenommen, so dachte Drusus jetzt an dem Pro- letariat wenigstens für den Augenblick eine Waffe gegen die Geldaristokratie zu finden. Es war nur in der Ordnung, daſs der bessere Theil der Aristokratie, eben wie ehemals auf das Acker- gesetz des Tiberius Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen Reformmaſsregeln, die ohne die Oberhauptsfrage zu berühren nur darauf ausgingen die alten Schäden des Staats aus- zuheilen. In der Emigrations- und Colonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen wie die Demokratie, da die Herr- schaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf dem freien Schalten mit den Provinzen und jedes dauernde militärische Commando sie gefährdete; die Gedanken Italien und die Provinzen gleichzu- stellen und jenseit der Alpen zu erobern vertrugen mit den con- servativen Principien sich nicht. Allein die latinischen und selbst die campanischen Domänen so wie Sicilien konnte der Senat recht wohl aufopfern um den italischen Bauernstand zu heben, und dennoch die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, daſs man künftigen Agitationen nicht wirksamer vor- beugen konnte als dadurch, daſs alles irgend verfügbare Land von der Aristokratie selbst zur Auftheilung gebracht und künf- tigen Demagogen, nach Drusus eigenem Ausdruck, nichts zu ver- theilen übrig gelassen ward als der Gassenkoth und das Morgen- roth. Ebenso war es für die Regierung, mochte dies nun ein Monarch sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender Fami- lien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum römischen Bürgerverband gehörte; und es war sehr begreiflich, daſs beider- seits die reformirenden Männer sich in dem Gedanken begeg- neten durch zweckmäſsige und rechtzeitige Erstreckung des Bür- gerrechts die Gefahr abzuwenden, daſs die Insurrection von Fre- gellae in gröſserem Maſsstab wiederkehre, nebenher auch an den zahl- und einfluſsreichen Italikern sich Bundesgenossen für ihre Plane zu verschaffen. So scharf in der Oberhauptsfrage

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/215>, abgerufen am 26.11.2024.