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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
über die Staaten am Mittelmeer oder die sogenannte Welt-
monarchie zu begründen, sondern einen gefährlichen Neben-
buhler unschädlich zu machen und Italien mit bequemen
Nachbaren zu umringen. Die Herrschaft über Italien hat Rom
errungen, weil es sie erstrebt hat; die Hegemonie und die
daraus entwickelte Herrschaft über das Mittelmeergebiet ist
den Römern gewissermassen ohne ihre Absicht von den Ver-
hältnissen zugeworfen worden. -- Die unmittelbaren Resultate
des Krieges waren ausserhalb Italien die Verwandlung Spa-
niens in eine römische freilich in ewiger Insurrection begrif-
fene Doppelprovinz; die Vereinigung des bis dahin dependen-
ten syrakusanischen Reiches mit der römischen Provinz Sici-
lien; die Begründung des römischen statt des karthagischen
Patronats über die bedeutendsten numidischen Häuptlinge;
endlich die Verwandlung Karthagos aus einem mächtigen Han-
delsstaat in eine wehrlose Kaufstadt; mit einem Worte Roms
unbestrittene Hegemonie über den Westen des Mittelmeerge-
biets; ferner das entschieden ausgesprochene Ineinandergreifen
des östlichen und westlichen Staatensystems, das im ersten puni-
schen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das dem-
nächst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Con-
flicte der alexandrischen Monarchien. In Italien war zunächst
das Keltenvolk, wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum
Untergang bestimmt und nur noch eine Zeitfrage war es, wann
die Execution vollzogen werden würde. Innerhalb der römischen
Eidgenossenschaft war die Folge des Krieges das schärfere Her-
vortreten der herrschenden latinischen Nation, deren inneren
Zusammenhang die trotz einzelner Schwankungen doch im
Ganzen in treuer Gemeinschaft überstandene Gefahr fester
als bisher geschlossen hatte, und die steigende Unterdrückung
der nicht latinischen oder latinisirten Landschaften, namentlich
Etruriens und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten
traf die Strafe oder vielmehr die Rache theils den mächtigsten,
theils den zugleich ältesten und letzten Bundesgenossen Hanni-
bals, die Gemeinde Capua und die Landschaft der Brettier.
Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua aus
der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt;
den gesammten Grund und Boden mit Ausnahme weniger
Besitzungen Auswärtiger oder römisch gesinnter Campaner
erklärte der Senat zur öffentlichen Domäne und gab ihn seit-
dem an kleine Leute parzellenweise in Zeitpacht. Aehnlich
wurden die Picenter am Silarus behandelt; auch ihre Haupt-

DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
über die Staaten am Mittelmeer oder die sogenannte Welt-
monarchie zu begründen, sondern einen gefährlichen Neben-
buhler unschädlich zu machen und Italien mit bequemen
Nachbaren zu umringen. Die Herrschaft über Italien hat Rom
errungen, weil es sie erstrebt hat; die Hegemonie und die
daraus entwickelte Herrschaft über das Mittelmeergebiet ist
den Römern gewissermaſsen ohne ihre Absicht von den Ver-
hältnissen zugeworfen worden. — Die unmittelbaren Resultate
des Krieges waren auſserhalb Italien die Verwandlung Spa-
niens in eine römische freilich in ewiger Insurrection begrif-
fene Doppelprovinz; die Vereinigung des bis dahin dependen-
ten syrakusanischen Reiches mit der römischen Provinz Sici-
lien; die Begründung des römischen statt des karthagischen
Patronats über die bedeutendsten numidischen Häuptlinge;
endlich die Verwandlung Karthagos aus einem mächtigen Han-
delsstaat in eine wehrlose Kaufstadt; mit einem Worte Roms
unbestrittene Hegemonie über den Westen des Mittelmeerge-
biets; ferner das entschieden ausgesprochene Ineinandergreifen
des östlichen und westlichen Staatensystems, das im ersten puni-
schen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das dem-
nächst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Con-
flicte der alexandrischen Monarchien. In Italien war zunächst
das Keltenvolk, wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum
Untergang bestimmt und nur noch eine Zeitfrage war es, wann
die Execution vollzogen werden würde. Innerhalb der römischen
Eidgenossenschaft war die Folge des Krieges das schärfere Her-
vortreten der herrschenden latinischen Nation, deren inneren
Zusammenhang die trotz einzelner Schwankungen doch im
Ganzen in treuer Gemeinschaft überstandene Gefahr fester
als bisher geschlossen hatte, und die steigende Unterdrückung
der nicht latinischen oder latinisirten Landschaften, namentlich
Etruriens und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten
traf die Strafe oder vielmehr die Rache theils den mächtigsten,
theils den zugleich ältesten und letzten Bundesgenossen Hanni-
bals, die Gemeinde Capua und die Landschaft der Brettier.
Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua aus
der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt;
den gesammten Grund und Boden mit Ausnahme weniger
Besitzungen Auswärtiger oder römisch gesinnter Campaner
erklärte der Senat zur öffentlichen Domäne und gab ihn seit-
dem an kleine Leute parzellenweise in Zeitpacht. Aehnlich
wurden die Picenter am Silarus behandelt; auch ihre Haupt-

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[480/0494] DRITTES BUCH. KAPITEL VI. über die Staaten am Mittelmeer oder die sogenannte Welt- monarchie zu begründen, sondern einen gefährlichen Neben- buhler unschädlich zu machen und Italien mit bequemen Nachbaren zu umringen. Die Herrschaft über Italien hat Rom errungen, weil es sie erstrebt hat; die Hegemonie und die daraus entwickelte Herrschaft über das Mittelmeergebiet ist den Römern gewissermaſsen ohne ihre Absicht von den Ver- hältnissen zugeworfen worden. — Die unmittelbaren Resultate des Krieges waren auſserhalb Italien die Verwandlung Spa- niens in eine römische freilich in ewiger Insurrection begrif- fene Doppelprovinz; die Vereinigung des bis dahin dependen- ten syrakusanischen Reiches mit der römischen Provinz Sici- lien; die Begründung des römischen statt des karthagischen Patronats über die bedeutendsten numidischen Häuptlinge; endlich die Verwandlung Karthagos aus einem mächtigen Han- delsstaat in eine wehrlose Kaufstadt; mit einem Worte Roms unbestrittene Hegemonie über den Westen des Mittelmeerge- biets; ferner das entschieden ausgesprochene Ineinandergreifen des östlichen und westlichen Staatensystems, das im ersten puni- schen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das dem- nächst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Con- flicte der alexandrischen Monarchien. In Italien war zunächst das Keltenvolk, wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang bestimmt und nur noch eine Zeitfrage war es, wann die Execution vollzogen werden würde. Innerhalb der römischen Eidgenossenschaft war die Folge des Krieges das schärfere Her- vortreten der herrschenden latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang die trotz einzelner Schwankungen doch im Ganzen in treuer Gemeinschaft überstandene Gefahr fester als bisher geschlossen hatte, und die steigende Unterdrückung der nicht latinischen oder latinisirten Landschaften, namentlich Etruriens und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf die Strafe oder vielmehr die Rache theils den mächtigsten, theils den zugleich ältesten und letzten Bundesgenossen Hanni- bals, die Gemeinde Capua und die Landschaft der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua aus der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; den gesammten Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen Auswärtiger oder römisch gesinnter Campaner erklärte der Senat zur öffentlichen Domäne und gab ihn seit- dem an kleine Leute parzellenweise in Zeitpacht. Aehnlich wurden die Picenter am Silarus behandelt; auch ihre Haupt-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/494>, abgerufen am 19.05.2024.