Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.HANNIBALISCHER KRIEG. ten, und nicht die adlichen und hochsinnigen, die auch inseiner Natur lagen. Nicht das Bedenken der etwaigen Abbe- rufung oder des möglichen Glückswechsels noch die Besorg- niss vor dem allerdings nicht fernliegenden Ausbruch des makedonischen Krieges haben den sicheren und zuversicht- lichen Mann, dem bisher noch alles unbegreiflich gelungen war, gehindert die Execution an der unglücklichen Stadt zu vollziehen, die funfzig Jahre später seinem Adoptivenkel aufge- tragen wurde und die wohl schon jetzt gleich vollzogen werden konnte. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die beiden grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die politische Entscheidung stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um dort der ungestümen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnäckig- keit und dem Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verständige Schranken zu setzen; der Seelenadel und die staatsmännische Begabung der hohen Gegner zeigt sich nicht minder in Hannibals grossartiger Fügung in das Unvermeid- liche als in Scipios weisem Zurücktreten von dem Ueberflüs- sigen und Schmählichen des Sieges. Sollte er, der hochher- zige und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, was es denn dem Vaterlande nütze, nachdem die politische Macht der Karthagerstadt vernichtet war, diesen uralten Sitz des Han- dels und Ackerbaus völlig zu verderben und einen der Grund- pfeiler der damaligen Civilisation frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht gekommen, wo die ersten Männer Roms sich hergaben zu Henkern der Civilisation der Nachbarn und mit einer müssigen Thräne die ewige Schande der Nation von sich abzuwaschen leichtfertig glaubten. So war der zweite punische, oder wie die Römer ihn HANNIBALISCHER KRIEG. ten, und nicht die adlichen und hochsinnigen, die auch inseiner Natur lagen. Nicht das Bedenken der etwaigen Abbe- rufung oder des möglichen Glückswechsels noch die Besorg- niſs vor dem allerdings nicht fernliegenden Ausbruch des makedonischen Krieges haben den sicheren und zuversicht- lichen Mann, dem bisher noch alles unbegreiflich gelungen war, gehindert die Execution an der unglücklichen Stadt zu vollziehen, die funfzig Jahre später seinem Adoptivenkel aufge- tragen wurde und die wohl schon jetzt gleich vollzogen werden konnte. Es ist viel wahrscheinlicher, daſs die beiden groſsen Feldherren, bei denen jetzt auch die politische Entscheidung stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um dort der ungestümen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnäckig- keit und dem Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verständige Schranken zu setzen; der Seelenadel und die staatsmännische Begabung der hohen Gegner zeigt sich nicht minder in Hannibals groſsartiger Fügung in das Unvermeid- liche als in Scipios weisem Zurücktreten von dem Ueberflüs- sigen und Schmählichen des Sieges. Sollte er, der hochher- zige und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, was es denn dem Vaterlande nütze, nachdem die politische Macht der Karthagerstadt vernichtet war, diesen uralten Sitz des Han- dels und Ackerbaus völlig zu verderben und einen der Grund- pfeiler der damaligen Civilisation frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht gekommen, wo die ersten Männer Roms sich hergaben zu Henkern der Civilisation der Nachbarn und mit einer müssigen Thräne die ewige Schande der Nation von sich abzuwaschen leichtfertig glaubten. So war der zweite punische, oder wie die Römer ihn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0493" n="479"/><fw place="top" type="header">HANNIBALISCHER KRIEG.</fw><lb/> ten, und nicht die adlichen und hochsinnigen, die auch in<lb/> seiner Natur lagen. Nicht das Bedenken der etwaigen Abbe-<lb/> rufung oder des möglichen Glückswechsels noch die Besorg-<lb/> niſs vor dem allerdings nicht fernliegenden Ausbruch des<lb/> makedonischen Krieges haben den sicheren und zuversicht-<lb/> lichen Mann, dem bisher noch alles unbegreiflich gelungen<lb/> war, gehindert die Execution an der unglücklichen Stadt zu<lb/> vollziehen, die funfzig Jahre später seinem Adoptivenkel aufge-<lb/> tragen wurde und die wohl schon jetzt gleich vollzogen werden<lb/> konnte. Es ist viel wahrscheinlicher, daſs die beiden groſsen<lb/> Feldherren, bei denen jetzt auch die politische Entscheidung<lb/> stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um dort<lb/> der ungestümen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnäckig-<lb/> keit und dem Unverstand der Ueberwundenen gerechte und<lb/> verständige Schranken zu setzen; der Seelenadel und die<lb/> staatsmännische Begabung der hohen Gegner zeigt sich nicht<lb/> minder in Hannibals groſsartiger Fügung in das Unvermeid-<lb/> liche als in Scipios weisem Zurücktreten von dem Ueberflüs-<lb/> sigen und Schmählichen des Sieges. Sollte er, der hochher-<lb/> zige und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, was<lb/> es denn dem Vaterlande nütze, nachdem die politische Macht<lb/> der Karthagerstadt vernichtet war, diesen uralten Sitz des Han-<lb/> dels und Ackerbaus völlig zu verderben und einen der Grund-<lb/> pfeiler der damaligen Civilisation frevelhaft niederzuwerfen? Die<lb/> Zeit war noch nicht gekommen, wo die ersten Männer Roms<lb/> sich hergaben zu Henkern der Civilisation der Nachbarn und<lb/> mit einer müssigen Thräne die ewige Schande der Nation von<lb/> sich abzuwaschen leichtfertig glaubten.</p><lb/> <p>So war der zweite punische, oder wie die Römer ihn<lb/> richtiger nennen, der hannibalische Krieg beendigt, nachdem<lb/> er siebzehn Jahre vom Bosporos bis zu den Säulen des Her-<lb/> kules die Inseln und Landschaften verheert hatte. Hatte Rom<lb/> bis auf diesen Krieg sein politisches Ziel nicht höher gesteckt<lb/> als bis zu der Beherrschung des Festlandes der italischen<lb/> Halbinsel innerhalb seiner natürlichen Grenzen und der itali-<lb/> schen Inseln und Meere, so war man durch die Ergebnisse<lb/> des Krieges viel weiter geführt worden, als es in dem ur-<lb/> sprünglichen Plan lag; in welcher Hinsicht namentlich Beach-<lb/> tung verdient, wie fast zufällig Rom zu dem Besitz von Spa-<lb/> nien gelangte. Es ist mehr als wahrscheinlich und wird durch<lb/> die Behandlung Africas deutlich bewiesen, daſs man den Krieg<lb/> begann und beschloſs mit dem Gedanken nicht die Herrschaft<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [479/0493]
HANNIBALISCHER KRIEG.
ten, und nicht die adlichen und hochsinnigen, die auch in
seiner Natur lagen. Nicht das Bedenken der etwaigen Abbe-
rufung oder des möglichen Glückswechsels noch die Besorg-
niſs vor dem allerdings nicht fernliegenden Ausbruch des
makedonischen Krieges haben den sicheren und zuversicht-
lichen Mann, dem bisher noch alles unbegreiflich gelungen
war, gehindert die Execution an der unglücklichen Stadt zu
vollziehen, die funfzig Jahre später seinem Adoptivenkel aufge-
tragen wurde und die wohl schon jetzt gleich vollzogen werden
konnte. Es ist viel wahrscheinlicher, daſs die beiden groſsen
Feldherren, bei denen jetzt auch die politische Entscheidung
stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um dort
der ungestümen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnäckig-
keit und dem Unverstand der Ueberwundenen gerechte und
verständige Schranken zu setzen; der Seelenadel und die
staatsmännische Begabung der hohen Gegner zeigt sich nicht
minder in Hannibals groſsartiger Fügung in das Unvermeid-
liche als in Scipios weisem Zurücktreten von dem Ueberflüs-
sigen und Schmählichen des Sieges. Sollte er, der hochher-
zige und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, was
es denn dem Vaterlande nütze, nachdem die politische Macht
der Karthagerstadt vernichtet war, diesen uralten Sitz des Han-
dels und Ackerbaus völlig zu verderben und einen der Grund-
pfeiler der damaligen Civilisation frevelhaft niederzuwerfen? Die
Zeit war noch nicht gekommen, wo die ersten Männer Roms
sich hergaben zu Henkern der Civilisation der Nachbarn und
mit einer müssigen Thräne die ewige Schande der Nation von
sich abzuwaschen leichtfertig glaubten.
So war der zweite punische, oder wie die Römer ihn
richtiger nennen, der hannibalische Krieg beendigt, nachdem
er siebzehn Jahre vom Bosporos bis zu den Säulen des Her-
kules die Inseln und Landschaften verheert hatte. Hatte Rom
bis auf diesen Krieg sein politisches Ziel nicht höher gesteckt
als bis zu der Beherrschung des Festlandes der italischen
Halbinsel innerhalb seiner natürlichen Grenzen und der itali-
schen Inseln und Meere, so war man durch die Ergebnisse
des Krieges viel weiter geführt worden, als es in dem ur-
sprünglichen Plan lag; in welcher Hinsicht namentlich Beach-
tung verdient, wie fast zufällig Rom zu dem Besitz von Spa-
nien gelangte. Es ist mehr als wahrscheinlich und wird durch
die Behandlung Africas deutlich bewiesen, daſs man den Krieg
begann und beschloſs mit dem Gedanken nicht die Herrschaft
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |