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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL I.
thagischen Staatsmänner meinten die phoenikischen Unter-
thanen durch die grössere Furcht vor den empörten Libyern,
die sämmtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das
karthagische Interesse knüpfen zu können, so übertrugen
sie einen kaufmännischen Calcul dahin wo er nicht hingehört;
die Erfahrung bewies, dass die römische Symmachie trotz ihrer
scheinbar loseren Fügung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie
eine Mauer aus Felsenstücken, die karthagische dagegen wie
Spinneweben zerriss, so wie ein feindliches Heer den africa-
nischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen
von Agathokles und von Regulus und ebenso im Söldner-
krieg; von dem Geiste, der in Africa herrschte, mag Zeugniss
ablegen, dass die libyschen Frauen den Söldnern freiwillig ihren
Schmuck steuerten zum Kriege gegen Karthago. -- Finanziell
waren die karthagischen Staatseinkünfte ohne Zweifel den
römischen weit überlegen; allein dies glich zum Theil sich wie-
der aus dadurch, dass die Quellen der karthagischen Finanzen,
Tribute und Zölle, eben wenn man sie am nöthigsten brauchte,
weit eher versiegten als die römischen, und dass die kartha-
gische Kriegführung bei weitem kostspieliger war als die rö-
mische. -- Die militärischen Hülfsmittel der Römer und Kar-
thager waren sehr verschieden, jedoch in vieler Beziehung
nicht ungleich abgewogen. Die karthagische Bürgerschaft be-
trug noch bei Eroberung der Stadt 700000 Köpfe mit Ein-
schluss der Frauen und Kinder* und mochte am Ende des
fünften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie
vermochte im fünften Jahrhundert im Nothfall ein Bürgerheer
von 40000 Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein ebenso
starkes Bürgerheer hatte Rom schon im Anfang des fünften
Jahrhunderts unter gleichen Verhältnissen ins Feld geschickt;
seit den grossen Erweiterungen des Bürgergebiets im Laufe
des fünften Jahrhunderts musste die Zahl der waffenfähigen

* Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Rücksicht
auf den Raum die mögliche Einwohnerzahl auf höchstens 250000 Köpfe
berechnet. Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, na-
mentlich in einer Handelsstadt mit sechsstöckigen Häusern, ist dagegen zu
erinnern, dass die Zählung wohl politisch zu verstehen ist, nicht städtisch,
ebenso wie die römischen Censuszahlen, und dass dabei also alle Karthager
gezählt sind, mochten sie in der Stadt oder in der Umgegend wohnen oder
im unterthänigen Gebiet oder im Ausland sich aufhalten. Solcher Abwesen-
den gab es natürlich eine grosse Zahl in Karthago; wie denn ausdrücklich
berichtet wird, dass in Gades aus gleichem Grunde die Zahl der Bürger
stets weit höher war als die der ansässigen Bürgerschaft.

DRITTES BUCH. KAPITEL I.
thagischen Staatsmänner meinten die phoenikischen Unter-
thanen durch die gröſsere Furcht vor den empörten Libyern,
die sämmtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das
karthagische Interesse knüpfen zu können, so übertrugen
sie einen kaufmännischen Calcul dahin wo er nicht hingehört;
die Erfahrung bewies, daſs die römische Symmachie trotz ihrer
scheinbar loseren Fügung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie
eine Mauer aus Felsenstücken, die karthagische dagegen wie
Spinneweben zerriſs, so wie ein feindliches Heer den africa-
nischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen
von Agathokles und von Regulus und ebenso im Söldner-
krieg; von dem Geiste, der in Africa herrschte, mag Zeugniſs
ablegen, daſs die libyschen Frauen den Söldnern freiwillig ihren
Schmuck steuerten zum Kriege gegen Karthago. — Finanziell
waren die karthagischen Staatseinkünfte ohne Zweifel den
römischen weit überlegen; allein dies glich zum Theil sich wie-
der aus dadurch, daſs die Quellen der karthagischen Finanzen,
Tribute und Zölle, eben wenn man sie am nöthigsten brauchte,
weit eher versiegten als die römischen, und daſs die kartha-
gische Kriegführung bei weitem kostspieliger war als die rö-
mische. — Die militärischen Hülfsmittel der Römer und Kar-
thager waren sehr verschieden, jedoch in vieler Beziehung
nicht ungleich abgewogen. Die karthagische Bürgerschaft be-
trug noch bei Eroberung der Stadt 700000 Köpfe mit Ein-
schluſs der Frauen und Kinder* und mochte am Ende des
fünften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie
vermochte im fünften Jahrhundert im Nothfall ein Bürgerheer
von 40000 Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein ebenso
starkes Bürgerheer hatte Rom schon im Anfang des fünften
Jahrhunderts unter gleichen Verhältnissen ins Feld geschickt;
seit den groſsen Erweiterungen des Bürgergebiets im Laufe
des fünften Jahrhunderts muſste die Zahl der waffenfähigen

* Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Rücksicht
auf den Raum die mögliche Einwohnerzahl auf höchstens 250000 Köpfe
berechnet. Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, na-
mentlich in einer Handelsstadt mit sechsstöckigen Häusern, ist dagegen zu
erinnern, daſs die Zählung wohl politisch zu verstehen ist, nicht städtisch,
ebenso wie die römischen Censuszahlen, und daſs dabei also alle Karthager
gezählt sind, mochten sie in der Stadt oder in der Umgegend wohnen oder
im unterthänigen Gebiet oder im Ausland sich aufhalten. Solcher Abwesen-
den gab es natürlich eine groſse Zahl in Karthago; wie denn ausdrücklich
berichtet wird, daſs in Gades aus gleichem Grunde die Zahl der Bürger
stets weit höher war als die der ansässigen Bürgerschaft.
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[326/0340] DRITTES BUCH. KAPITEL I. thagischen Staatsmänner meinten die phoenikischen Unter- thanen durch die gröſsere Furcht vor den empörten Libyern, die sämmtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das karthagische Interesse knüpfen zu können, so übertrugen sie einen kaufmännischen Calcul dahin wo er nicht hingehört; die Erfahrung bewies, daſs die römische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren Fügung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstücken, die karthagische dagegen wie Spinneweben zerriſs, so wie ein feindliches Heer den africa- nischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen von Agathokles und von Regulus und ebenso im Söldner- krieg; von dem Geiste, der in Africa herrschte, mag Zeugniſs ablegen, daſs die libyschen Frauen den Söldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum Kriege gegen Karthago. — Finanziell waren die karthagischen Staatseinkünfte ohne Zweifel den römischen weit überlegen; allein dies glich zum Theil sich wie- der aus dadurch, daſs die Quellen der karthagischen Finanzen, Tribute und Zölle, eben wenn man sie am nöthigsten brauchte, weit eher versiegten als die römischen, und daſs die kartha- gische Kriegführung bei weitem kostspieliger war als die rö- mische. — Die militärischen Hülfsmittel der Römer und Kar- thager waren sehr verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. Die karthagische Bürgerschaft be- trug noch bei Eroberung der Stadt 700000 Köpfe mit Ein- schluſs der Frauen und Kinder * und mochte am Ende des fünften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie vermochte im fünften Jahrhundert im Nothfall ein Bürgerheer von 40000 Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein ebenso starkes Bürgerheer hatte Rom schon im Anfang des fünften Jahrhunderts unter gleichen Verhältnissen ins Feld geschickt; seit den groſsen Erweiterungen des Bürgergebiets im Laufe des fünften Jahrhunderts muſste die Zahl der waffenfähigen * Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Rücksicht auf den Raum die mögliche Einwohnerzahl auf höchstens 250000 Köpfe berechnet. Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, na- mentlich in einer Handelsstadt mit sechsstöckigen Häusern, ist dagegen zu erinnern, daſs die Zählung wohl politisch zu verstehen ist, nicht städtisch, ebenso wie die römischen Censuszahlen, und daſs dabei also alle Karthager gezählt sind, mochten sie in der Stadt oder in der Umgegend wohnen oder im unterthänigen Gebiet oder im Ausland sich aufhalten. Solcher Abwesen- den gab es natürlich eine groſse Zahl in Karthago; wie denn ausdrücklich berichtet wird, daſs in Gades aus gleichem Grunde die Zahl der Bürger stets weit höher war als die der ansässigen Bürgerschaft.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/340>, abgerufen am 13.05.2024.