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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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KARTHAGO.
Vollbürger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit mehr
noch als der Zahl der Waffenfähigen nach war Rom in dem
Effectivstand des Bürgermilitärs überlegen. So sehr die kar-
thagische Regierung auch es sich angelegen sein liess die
Bürger zum Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie doch
weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den kräftigen Kör-
per des Landmanns geben noch die unüberwindliche Scheu
der Phoenikier vor dem Kriegswerk überwinden. Im fünften
Jahrhundert focht in den sicilischen Heeren noch eine ,heilige
Schaar' von 2500 Karthagern als Garde des Feldherrn; im
sechsten findet sich in den karthagischen Heeren, zum Bei-
spiel in dem spanischen, mit Ausnahme der Offiziere nicht
ein einziger Karthager. Dass dagegen die römischen Bauern
keineswegs bloss in den Musterrollen, sondern auch auf den
Schlachtfeldern standen, ist bekannt. Aehnlich stand es mit
den Stammverwandten der beiden Gemeinden; während die
Latiner den Römern nicht mindere Dienste leisteten als ihre
Bürgertruppen, waren die Libyphoenikier ebenso wenig kriegs-
tüchtig wie die Karthager und begreiflicher Weise noch weit
weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den
Heeren, indem die zuzugpflichtigen Städte ihre Verbindlichkeit
vermuthlich mit Geld abkauften. In dem eben erwähnten
spanischen Heer von etwa 15000 Mann bestand nur eine
einzige Reiterschaar von 450 Mann und auch diese nur zum
Theil aus Libyphoenikiern. Den Kern der karthagischen Ar-
meen bildeten die Libyer, aus deren Rekruten sich unter
tüchtigen Offizieren ein gutes Fussvolk bilden liess und deren
leichte Reiterei eine unübertroffene Truppe bildete. Dazu
kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhängigen
Völkerschaften Libyens und Spaniens und die berühmten
Schleuderer von den Balearen, deren Stellung zwischen Bun-
descontingenten und Söldnerschaaren die Mitte gehalten zu
haben scheint; endlich im Nothfall die im Ausland angewor-
bene Soldatesca. Der Zahl nach konnte ein solches Heer ohne
Mühe fast auf jede beliebige Stärke gebracht werden und auch
an Tüchtigkeit der Offiziere, an Waffenkunde und Muth fähig
sein mit dem römischen sich zu messen; allein nicht bloss
verstrich, wenn Söldner angenommen werden mussten, ehe
dieselben bereit standen eine gefährlich lange Zeit, während
die römische Miliz jeden Augenblick auszuziehen im Stande
war, sondern, was die Hauptsache ist, während die punischen
Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der Vor-

KARTHAGO.
Vollbürger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit mehr
noch als der Zahl der Waffenfähigen nach war Rom in dem
Effectivstand des Bürgermilitärs überlegen. So sehr die kar-
thagische Regierung auch es sich angelegen sein lieſs die
Bürger zum Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie doch
weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den kräftigen Kör-
per des Landmanns geben noch die unüberwindliche Scheu
der Phoenikier vor dem Kriegswerk überwinden. Im fünften
Jahrhundert focht in den sicilischen Heeren noch eine ‚heilige
Schaar‘ von 2500 Karthagern als Garde des Feldherrn; im
sechsten findet sich in den karthagischen Heeren, zum Bei-
spiel in dem spanischen, mit Ausnahme der Offiziere nicht
ein einziger Karthager. Daſs dagegen die römischen Bauern
keineswegs bloſs in den Musterrollen, sondern auch auf den
Schlachtfeldern standen, ist bekannt. Aehnlich stand es mit
den Stammverwandten der beiden Gemeinden; während die
Latiner den Römern nicht mindere Dienste leisteten als ihre
Bürgertruppen, waren die Libyphoenikier ebenso wenig kriegs-
tüchtig wie die Karthager und begreiflicher Weise noch weit
weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den
Heeren, indem die zuzugpflichtigen Städte ihre Verbindlichkeit
vermuthlich mit Geld abkauften. In dem eben erwähnten
spanischen Heer von etwa 15000 Mann bestand nur eine
einzige Reiterschaar von 450 Mann und auch diese nur zum
Theil aus Libyphoenikiern. Den Kern der karthagischen Ar-
meen bildeten die Libyer, aus deren Rekruten sich unter
tüchtigen Offizieren ein gutes Fuſsvolk bilden lieſs und deren
leichte Reiterei eine unübertroffene Truppe bildete. Dazu
kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhängigen
Völkerschaften Libyens und Spaniens und die berühmten
Schleuderer von den Balearen, deren Stellung zwischen Bun-
descontingenten und Söldnerschaaren die Mitte gehalten zu
haben scheint; endlich im Nothfall die im Ausland angewor-
bene Soldatesca. Der Zahl nach konnte ein solches Heer ohne
Mühe fast auf jede beliebige Stärke gebracht werden und auch
an Tüchtigkeit der Offiziere, an Waffenkunde und Muth fähig
sein mit dem römischen sich zu messen; allein nicht bloſs
verstrich, wenn Söldner angenommen werden muſsten, ehe
dieselben bereit standen eine gefährlich lange Zeit, während
die römische Miliz jeden Augenblick auszuziehen im Stande
war, sondern, was die Hauptsache ist, während die punischen
Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der Vor-

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[327/0341] KARTHAGO. Vollbürger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit mehr noch als der Zahl der Waffenfähigen nach war Rom in dem Effectivstand des Bürgermilitärs überlegen. So sehr die kar- thagische Regierung auch es sich angelegen sein lieſs die Bürger zum Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie doch weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den kräftigen Kör- per des Landmanns geben noch die unüberwindliche Scheu der Phoenikier vor dem Kriegswerk überwinden. Im fünften Jahrhundert focht in den sicilischen Heeren noch eine ‚heilige Schaar‘ von 2500 Karthagern als Garde des Feldherrn; im sechsten findet sich in den karthagischen Heeren, zum Bei- spiel in dem spanischen, mit Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager. Daſs dagegen die römischen Bauern keineswegs bloſs in den Musterrollen, sondern auch auf den Schlachtfeldern standen, ist bekannt. Aehnlich stand es mit den Stammverwandten der beiden Gemeinden; während die Latiner den Römern nicht mindere Dienste leisteten als ihre Bürgertruppen, waren die Libyphoenikier ebenso wenig kriegs- tüchtig wie die Karthager und begreiflicher Weise noch weit weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren, indem die zuzugpflichtigen Städte ihre Verbindlichkeit vermuthlich mit Geld abkauften. In dem eben erwähnten spanischen Heer von etwa 15000 Mann bestand nur eine einzige Reiterschaar von 450 Mann und auch diese nur zum Theil aus Libyphoenikiern. Den Kern der karthagischen Ar- meen bildeten die Libyer, aus deren Rekruten sich unter tüchtigen Offizieren ein gutes Fuſsvolk bilden lieſs und deren leichte Reiterei eine unübertroffene Truppe bildete. Dazu kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhängigen Völkerschaften Libyens und Spaniens und die berühmten Schleuderer von den Balearen, deren Stellung zwischen Bun- descontingenten und Söldnerschaaren die Mitte gehalten zu haben scheint; endlich im Nothfall die im Ausland angewor- bene Soldatesca. Der Zahl nach konnte ein solches Heer ohne Mühe fast auf jede beliebige Stärke gebracht werden und auch an Tüchtigkeit der Offiziere, an Waffenkunde und Muth fähig sein mit dem römischen sich zu messen; allein nicht bloſs verstrich, wenn Söldner angenommen werden muſsten, ehe dieselben bereit standen eine gefährlich lange Zeit, während die römische Miliz jeden Augenblick auszuziehen im Stande war, sondern, was die Hauptsache ist, während die punischen Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der Vor-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/341>, abgerufen am 25.11.2024.