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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
Ueberraschende und Gewaltige in der griechischen Kriegfüh-
rung, das Genie des Feldherrn noch einen Sieg mehr erfech-
ten wie die von Herakleia und Ausculum, aber mit jedem
neuen Siege vernutzten sich die Mittel und es war klar, dass
die Römer sich als die Stärkeren fühlten und den endlichen Sieg
mit muthiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das
feine Kunstspiel, wie es die griechischen Fürsten verstanden;
an der vollen und gewaltigen Energie der Landwehr zer-
schellten alle strategischen Combinationen. Pyrrhos fühlte
wie die Dinge standen; überdrüssig seiner Siege und seine
Bundesgenossen verachtend ertrug er ungeduldig was die mi-
litärische Ehre ihm vorschrieb, Italien nicht zu verlassen, be-
vor er seine Schutzbefohlenen vor den Barbaren gesichert
haben würde, und gern ergriff er einen Vorwand das lästige
Gebot zu umgehen. Diesen boten ihm bald die sicilischen
Angelegenheiten.

Nach Agathokles Tode (465) fehlte es den sicilischen
Griechen an einer leitenden Macht. Während in den ein-
zelnen hellenischen Städten unfähige Demagogen und unfähige
Tyrannen einander ablösten, dehnten die Karthager, die alten
Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestört aus und nach-
dem Akragas ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekom-
men das seit Jahrhunderten standhaft verfolgte Ziel endlich
erreichen und die ganze Insel unter ihre Botmässigkeit brin-
gen zu können; sie wandten sich zum Angriff auf Syrakus.
Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und Flotten Karthago
den Besitz der Insel streitig gemacht hatte, war durch den
inneren Hader und die Schwäche des Regiments so weit ge-
bracht, dass sie ihre Rettung suchen musste in dem Schutz
ihrer Mauern und in auswärtiger Hülfe; und Niemand konnte
diese gewähren als König Pyrrhos. Er, der Tochtermann des
Agathokles; sein Sohn und Agathokles Enkel, der damals
sechzehnjährige Alexander waren die natürlichen Erben der
hochfliegenden Pläne des Herren von Syrakus; und wenn es
mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus dafür
Entschädigung finden als Hauptstadt eines westhellenischen Rei-
ches. So trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und
unter ähnlichen Bedingungen dem König Pyrrhos freiwillig die
Herrschaft entgegen (um 475) und durch eine seltene Fügung
der Dinge schien sich alles zu vereinigen zum Gelingen der
grossartigen, zunächst auf den Besitz von Tarent und Syrakus
gebauten Pläne des Epeirotenkönigs. -- Freilich war die

ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
Ueberraschende und Gewaltige in der griechischen Kriegfüh-
rung, das Genie des Feldherrn noch einen Sieg mehr erfech-
ten wie die von Herakleia und Ausculum, aber mit jedem
neuen Siege vernutzten sich die Mittel und es war klar, daſs
die Römer sich als die Stärkeren fühlten und den endlichen Sieg
mit muthiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das
feine Kunstspiel, wie es die griechischen Fürsten verstanden;
an der vollen und gewaltigen Energie der Landwehr zer-
schellten alle strategischen Combinationen. Pyrrhos fühlte
wie die Dinge standen; überdrüſsig seiner Siege und seine
Bundesgenossen verachtend ertrug er ungeduldig was die mi-
litärische Ehre ihm vorschrieb, Italien nicht zu verlassen, be-
vor er seine Schutzbefohlenen vor den Barbaren gesichert
haben würde, und gern ergriff er einen Vorwand das lästige
Gebot zu umgehen. Diesen boten ihm bald die sicilischen
Angelegenheiten.

Nach Agathokles Tode (465) fehlte es den sicilischen
Griechen an einer leitenden Macht. Während in den ein-
zelnen hellenischen Städten unfähige Demagogen und unfähige
Tyrannen einander ablösten, dehnten die Karthager, die alten
Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestört aus und nach-
dem Akragas ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekom-
men das seit Jahrhunderten standhaft verfolgte Ziel endlich
erreichen und die ganze Insel unter ihre Botmäſsigkeit brin-
gen zu können; sie wandten sich zum Angriff auf Syrakus.
Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und Flotten Karthago
den Besitz der Insel streitig gemacht hatte, war durch den
inneren Hader und die Schwäche des Regiments so weit ge-
bracht, daſs sie ihre Rettung suchen muſste in dem Schutz
ihrer Mauern und in auswärtiger Hülfe; und Niemand konnte
diese gewähren als König Pyrrhos. Er, der Tochtermann des
Agathokles; sein Sohn und Agathokles Enkel, der damals
sechzehnjährige Alexander waren die natürlichen Erben der
hochfliegenden Pläne des Herren von Syrakus; und wenn es
mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus dafür
Entschädigung finden als Hauptstadt eines westhellenischen Rei-
ches. So trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und
unter ähnlichen Bedingungen dem König Pyrrhos freiwillig die
Herrschaft entgegen (um 475) und durch eine seltene Fügung
der Dinge schien sich alles zu vereinigen zum Gelingen der
groſsartigen, zunächst auf den Besitz von Tarent und Syrakus
gebauten Pläne des Epeirotenkönigs. — Freilich war die

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[272/0286] ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. Ueberraschende und Gewaltige in der griechischen Kriegfüh- rung, das Genie des Feldherrn noch einen Sieg mehr erfech- ten wie die von Herakleia und Ausculum, aber mit jedem neuen Siege vernutzten sich die Mittel und es war klar, daſs die Römer sich als die Stärkeren fühlten und den endlichen Sieg mit muthiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel, wie es die griechischen Fürsten verstanden; an der vollen und gewaltigen Energie der Landwehr zer- schellten alle strategischen Combinationen. Pyrrhos fühlte wie die Dinge standen; überdrüſsig seiner Siege und seine Bundesgenossen verachtend ertrug er ungeduldig was die mi- litärische Ehre ihm vorschrieb, Italien nicht zu verlassen, be- vor er seine Schutzbefohlenen vor den Barbaren gesichert haben würde, und gern ergriff er einen Vorwand das lästige Gebot zu umgehen. Diesen boten ihm bald die sicilischen Angelegenheiten. Nach Agathokles Tode (465) fehlte es den sicilischen Griechen an einer leitenden Macht. Während in den ein- zelnen hellenischen Städten unfähige Demagogen und unfähige Tyrannen einander ablösten, dehnten die Karthager, die alten Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestört aus und nach- dem Akragas ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekom- men das seit Jahrhunderten standhaft verfolgte Ziel endlich erreichen und die ganze Insel unter ihre Botmäſsigkeit brin- gen zu können; sie wandten sich zum Angriff auf Syrakus. Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und Flotten Karthago den Besitz der Insel streitig gemacht hatte, war durch den inneren Hader und die Schwäche des Regiments so weit ge- bracht, daſs sie ihre Rettung suchen muſste in dem Schutz ihrer Mauern und in auswärtiger Hülfe; und Niemand konnte diese gewähren als König Pyrrhos. Er, der Tochtermann des Agathokles; sein Sohn und Agathokles Enkel, der damals sechzehnjährige Alexander waren die natürlichen Erben der hochfliegenden Pläne des Herren von Syrakus; und wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus dafür Entschädigung finden als Hauptstadt eines westhellenischen Rei- ches. So trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter ähnlichen Bedingungen dem König Pyrrhos freiwillig die Herrschaft entgegen (um 475) und durch eine seltene Fügung der Dinge schien sich alles zu vereinigen zum Gelingen der groſsartigen, zunächst auf den Besitz von Tarent und Syrakus gebauten Pläne des Epeirotenkönigs. — Freilich war die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/286>, abgerufen am 22.11.2024.