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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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MASS UND SCHRIFT.
sich dagegen das latinische Alphabet auf Latium beschränkt
und im Ganzen mit geringen Veränderungen sich behauptet;
nur fielen g k und z s allmählich lautlich zusammen, wovon
dann die Folge war, dass je eins der homophonen Zeichen
(k z) aus der Schrift verschwand. Diese waren nachweislich
schon beseitigt, als man die zwölf Tafeln niederschrieb; wer
nun erwägt, dass in den ältesten Abkürzungen der Unterschied
von g c und k k noch regelmässig durchgeführt ward -- wie
denn C; Gaius, CN; Gnaeus ist, K; Kaeso, Kalendae, MERK;
merkatus -- dass also der Zeitraum, wo die Laute in der
Aussprache zusammenfielen, und vor diesem wieder der Zeit-
raum, in dem die Abkürzungen sich fixirten, weit jenseit der
Entstehung der zwölf Tafeln liegt; dass endlich zwischen der
Einführung der Schrift und der Feststellung eines conventio-
nellen Abkürzungssystems nothwendig eine bedeutende Frist
liegen muss, der wird wie für Etrurien so für Latium den
Anfang der Schreibkunst in eine Epoche hinaufrücken, die
dem Anfang der beglaubigten ägyptischen Zeitrechnung oder
dem Anfang der Siriusperiode, dem Jahre 1322 vor Christi
Geburt näher liegt als dem Jahre 776, mit dem in Griechen-
land die Olympiadenchronologie beginnt. Für das hohe Alter
der Schreibekunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und
deutliche Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Königs-
zeit ist hinreichend beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen
Gabii und Rom, den der König Tarquinius (schwerlich indess
der letzte) abschloss und der, geschrieben auf dem Fell des
dabei geopferten Stiers, in dem an Alterthümern reichen wahr-
scheinlich dem gallischen Brande entgangenen Tempel des
Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Bündnisses,
das König Servius Tullius mit Latium abschloss, und das noch
Dionysios auf einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem
Aventin sah, freilich wohl in einer nach dem Brand mit Hülfe
eines latinischen Exemplars hergestellten Copie, denn dass
man in der Königszeit schon in Metall grub, ist nicht wahr-
scheinlich. Aber schon damals ritzte man (exarare, scribere
verwandt mit scrobes) * oder malte (linere, daher littera) auf
Blätter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, album),
später auch auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen
waren die heiligen Urkunden der Samniten wie der anagnini-
schen Priesterschaft geschrieben, ebenso die ältesten im Tem-

* Ebenso altsächsisch writan, eigentlich reissen, dann schreiben.

MASS UND SCHRIFT.
sich dagegen das latinische Alphabet auf Latium beschränkt
und im Ganzen mit geringen Veränderungen sich behauptet;
nur fielen γ ϰ und ζ σ allmählich lautlich zusammen, wovon
dann die Folge war, daſs je eins der homophonen Zeichen
(ϰ ζ) aus der Schrift verschwand. Diese waren nachweislich
schon beseitigt, als man die zwölf Tafeln niederschrieb; wer
nun erwägt, daſs in den ältesten Abkürzungen der Unterschied
von γ c und ϰ k noch regelmäſsig durchgeführt ward — wie
denn C· Gaius, CN· Gnaeus ist, K· Kaeso, Kalendae, MERK·
merkatus — daſs also der Zeitraum, wo die Laute in der
Aussprache zusammenfielen, und vor diesem wieder der Zeit-
raum, in dem die Abkürzungen sich fixirten, weit jenseit der
Entstehung der zwölf Tafeln liegt; daſs endlich zwischen der
Einführung der Schrift und der Feststellung eines conventio-
nellen Abkürzungssystems nothwendig eine bedeutende Frist
liegen muſs, der wird wie für Etrurien so für Latium den
Anfang der Schreibkunst in eine Epoche hinaufrücken, die
dem Anfang der beglaubigten ägyptischen Zeitrechnung oder
dem Anfang der Siriusperiode, dem Jahre 1322 vor Christi
Geburt näher liegt als dem Jahre 776, mit dem in Griechen-
land die Olympiadenchronologie beginnt. Für das hohe Alter
der Schreibekunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und
deutliche Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Königs-
zeit ist hinreichend beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen
Gabii und Rom, den der König Tarquinius (schwerlich indeſs
der letzte) abschloſs und der, geschrieben auf dem Fell des
dabei geopferten Stiers, in dem an Alterthümern reichen wahr-
scheinlich dem gallischen Brande entgangenen Tempel des
Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Bündnisses,
das König Servius Tullius mit Latium abschloſs, und das noch
Dionysios auf einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem
Aventin sah, freilich wohl in einer nach dem Brand mit Hülfe
eines latinischen Exemplars hergestellten Copie, denn daſs
man in der Königszeit schon in Metall grub, ist nicht wahr-
scheinlich. Aber schon damals ritzte man (exarare, scribere
verwandt mit scrobes) * oder malte (linere, daher littera) auf
Blätter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, album),
später auch auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen
waren die heiligen Urkunden der Samniten wie der anagnini-
schen Priesterschaft geschrieben, ebenso die ältesten im Tem-

* Ebenso altsächsisch writan, eigentlich reiſsen, dann schreiben.
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[143/0157] MASS UND SCHRIFT. sich dagegen das latinische Alphabet auf Latium beschränkt und im Ganzen mit geringen Veränderungen sich behauptet; nur fielen γ ϰ und ζ σ allmählich lautlich zusammen, wovon dann die Folge war, daſs je eins der homophonen Zeichen (ϰ ζ) aus der Schrift verschwand. Diese waren nachweislich schon beseitigt, als man die zwölf Tafeln niederschrieb; wer nun erwägt, daſs in den ältesten Abkürzungen der Unterschied von γ c und ϰ k noch regelmäſsig durchgeführt ward — wie denn C· Gaius, CN· Gnaeus ist, K· Kaeso, Kalendae, MERK· merkatus — daſs also der Zeitraum, wo die Laute in der Aussprache zusammenfielen, und vor diesem wieder der Zeit- raum, in dem die Abkürzungen sich fixirten, weit jenseit der Entstehung der zwölf Tafeln liegt; daſs endlich zwischen der Einführung der Schrift und der Feststellung eines conventio- nellen Abkürzungssystems nothwendig eine bedeutende Frist liegen muſs, der wird wie für Etrurien so für Latium den Anfang der Schreibkunst in eine Epoche hinaufrücken, die dem Anfang der beglaubigten ägyptischen Zeitrechnung oder dem Anfang der Siriusperiode, dem Jahre 1322 vor Christi Geburt näher liegt als dem Jahre 776, mit dem in Griechen- land die Olympiadenchronologie beginnt. Für das hohe Alter der Schreibekunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Königs- zeit ist hinreichend beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den der König Tarquinius (schwerlich indeſs der letzte) abschloſs und der, geschrieben auf dem Fell des dabei geopferten Stiers, in dem an Alterthümern reichen wahr- scheinlich dem gallischen Brande entgangenen Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Bündnisses, das König Servius Tullius mit Latium abschloſs, und das noch Dionysios auf einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin sah, freilich wohl in einer nach dem Brand mit Hülfe eines latinischen Exemplars hergestellten Copie, denn daſs man in der Königszeit schon in Metall grub, ist nicht wahr- scheinlich. Aber schon damals ritzte man (exarare, scribere verwandt mit scrobes) * oder malte (linere, daher littera) auf Blätter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, album), später auch auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen Urkunden der Samniten wie der anagnini- schen Priesterschaft geschrieben, ebenso die ältesten im Tem- * Ebenso altsächsisch writan, eigentlich reiſsen, dann schreiben.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/157>, abgerufen am 24.11.2024.