pel der Göttin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem Capitol bewahrten Verzeichnisse der römischen Magistrate, die Vor- läufer der städtischen Chronik. Es wird kaum noch nöthig sein zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura), an die Anrede im Senat ,Väter und Zugeschriebene' (patres conscripti), an das hohe Alter der Orakelbücher, der Ge- schlechtsregister, des albanischen und des römischen Kalen- ders. Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Documenten hat uns die Kunde der ältesten römischen Geschichte entzogen, sondern die Unfähigkeit der späteren Historiker die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten und ihre Verkehrtheit nach Schilderung von Motiven und Cha- rakteren, nach Schlachtberichten und Revolutionserzählungen in der Tradition zu suchen, und darüber das zu verkennen, was sie dem ernsten und entsagenden Forscher nicht verwei- gert haben würde.
Werfen wir noch einen Blick zurück auf die also bezeich- nete Geschichte der italischen Schrift, so ist vor allem bemer- kenswerth die schwache und indirecte Einwirkung des helle- nischen Wesens auf die Sabeller im Gegensatz zu den west- licheren Völkern. Dass jene das Alphabet von den Etruskern, nicht von den Römern empfingen, erklärt sich wahrscheinlich daraus, dass sie das Alphabet erhielten ehe sie den Zug auf dem Rücken des Apennin antraten, die Sabiner wie die Sam- niten also schon bei ihrer Entlassung aus dem Mutterlande das Alphabet mit sich nahmen. Andererseits enthält diese Ge- schichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die An- nahme, welche die spätere der etruskischen Mystik und Alter- thumströdelei ergebene römische Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig wieder- holt, dass die römische Civilisation ihren Keim und ihren Kern aus Etrurien entlehnt habe. Wäre dies wahr, so müsste hier vor allem eine Spur davon sich zeigen; aber gerade umge- kehrt findet sich in Latium der Keim der Schreibkunst grie- chisch, der Entwicklung national; selbst das den Römern so wünschenswerthe Zeichen f ward nicht aufgenommen, ja wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker, die von den Römern wenigstens das Zeichen für 50 entlehnt haben. -- Es ist ferner charakteristisch, dass in allen italischen Stämmen die Entwicklung des griechischen Alphabets zunächst in einer Verderbung desselben besteht, gegen welche dann späterhin bei den meisten wiederum eine
ERSTES BUCH. KAPITEL XIV.
pel der Göttin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem Capitol bewahrten Verzeichnisse der römischen Magistrate, die Vor- läufer der städtischen Chronik. Es wird kaum noch nöthig sein zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura), an die Anrede im Senat ‚Väter und Zugeschriebene‘ (patres conscripti), an das hohe Alter der Orakelbücher, der Ge- schlechtsregister, des albanischen und des römischen Kalen- ders. Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Documenten hat uns die Kunde der ältesten römischen Geschichte entzogen, sondern die Unfähigkeit der späteren Historiker die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten und ihre Verkehrtheit nach Schilderung von Motiven und Cha- rakteren, nach Schlachtberichten und Revolutionserzählungen in der Tradition zu suchen, und darüber das zu verkennen, was sie dem ernsten und entsagenden Forscher nicht verwei- gert haben würde.
Werfen wir noch einen Blick zurück auf die also bezeich- nete Geschichte der italischen Schrift, so ist vor allem bemer- kenswerth die schwache und indirecte Einwirkung des helle- nischen Wesens auf die Sabeller im Gegensatz zu den west- licheren Völkern. Daſs jene das Alphabet von den Etruskern, nicht von den Römern empfingen, erklärt sich wahrscheinlich daraus, daſs sie das Alphabet erhielten ehe sie den Zug auf dem Rücken des Apennin antraten, die Sabiner wie die Sam- niten also schon bei ihrer Entlassung aus dem Mutterlande das Alphabet mit sich nahmen. Andererseits enthält diese Ge- schichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die An- nahme, welche die spätere der etruskischen Mystik und Alter- thumströdelei ergebene römische Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig wieder- holt, daſs die römische Civilisation ihren Keim und ihren Kern aus Etrurien entlehnt habe. Wäre dies wahr, so müſste hier vor allem eine Spur davon sich zeigen; aber gerade umge- kehrt findet sich in Latium der Keim der Schreibkunst grie- chisch, der Entwicklung national; selbst das den Römern so wünschenswerthe Zeichen f ward nicht aufgenommen, ja wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker, die von den Römern wenigstens das Zeichen für 50 entlehnt haben. — Es ist ferner charakteristisch, daſs in allen italischen Stämmen die Entwicklung des griechischen Alphabets zunächst in einer Verderbung desselben besteht, gegen welche dann späterhin bei den meisten wiederum eine
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0158"n="144"/><fwplace="top"type="header">ERSTES BUCH. KAPITEL XIV.</fw><lb/>
pel der Göttin der Erinnerung (<hirendition="#i">Iuno moneta</hi>) auf dem Capitol<lb/>
bewahrten Verzeichnisse der römischen Magistrate, die Vor-<lb/>
läufer der städtischen Chronik. Es wird kaum noch nöthig<lb/>
sein zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (<hirendition="#i">scriptura</hi>),<lb/>
an die Anrede im Senat ‚Väter und Zugeschriebene‘ (<hirendition="#i">patres<lb/>
conscripti</hi>), an das hohe Alter der Orakelbücher, der Ge-<lb/>
schlechtsregister, des albanischen und des römischen Kalen-<lb/>
ders. Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht einmal<lb/>
der Mangel an Documenten hat uns die Kunde der ältesten<lb/>
römischen Geschichte entzogen, sondern die Unfähigkeit der<lb/>
späteren Historiker die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten<lb/>
und ihre Verkehrtheit nach Schilderung von Motiven und Cha-<lb/>
rakteren, nach Schlachtberichten und Revolutionserzählungen<lb/>
in der Tradition zu suchen, und darüber das zu verkennen,<lb/>
was sie dem ernsten und entsagenden Forscher nicht verwei-<lb/>
gert haben würde.</p><lb/><p>Werfen wir noch einen Blick zurück auf die also bezeich-<lb/>
nete Geschichte der italischen Schrift, so ist vor allem bemer-<lb/>
kenswerth die schwache und indirecte Einwirkung des helle-<lb/>
nischen Wesens auf die Sabeller im Gegensatz zu den west-<lb/>
licheren Völkern. Daſs jene das Alphabet von den Etruskern,<lb/>
nicht von den Römern empfingen, erklärt sich wahrscheinlich<lb/>
daraus, daſs sie das Alphabet erhielten ehe sie den Zug auf<lb/>
dem Rücken des Apennin antraten, die Sabiner wie die Sam-<lb/>
niten also schon bei ihrer Entlassung aus dem Mutterlande das<lb/>
Alphabet mit sich nahmen. Andererseits enthält diese Ge-<lb/>
schichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die An-<lb/>
nahme, welche die spätere der etruskischen Mystik und Alter-<lb/>
thumströdelei ergebene römische Bildung aufgebracht hat und<lb/>
welche die neuere und neueste Forschung geduldig wieder-<lb/>
holt, daſs die römische Civilisation ihren Keim und ihren Kern<lb/>
aus Etrurien entlehnt habe. Wäre dies wahr, so müſste hier<lb/>
vor allem eine Spur davon sich zeigen; aber gerade umge-<lb/>
kehrt findet sich in Latium der Keim der Schreibkunst grie-<lb/>
chisch, der Entwicklung national; selbst das den Römern so<lb/>
wünschenswerthe Zeichen <hirendition="#i">f</hi> ward nicht aufgenommen, ja wo<lb/>
Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr<lb/>
die Etrusker, die von den Römern wenigstens das Zeichen<lb/>
für 50 entlehnt haben. — Es ist ferner charakteristisch, daſs<lb/>
in allen italischen Stämmen die Entwicklung des griechischen<lb/>
Alphabets zunächst in einer Verderbung desselben besteht,<lb/>
gegen welche dann späterhin bei den meisten wiederum eine<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[144/0158]
ERSTES BUCH. KAPITEL XIV.
pel der Göttin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem Capitol
bewahrten Verzeichnisse der römischen Magistrate, die Vor-
läufer der städtischen Chronik. Es wird kaum noch nöthig
sein zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura),
an die Anrede im Senat ‚Väter und Zugeschriebene‘ (patres
conscripti), an das hohe Alter der Orakelbücher, der Ge-
schlechtsregister, des albanischen und des römischen Kalen-
ders. Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht einmal
der Mangel an Documenten hat uns die Kunde der ältesten
römischen Geschichte entzogen, sondern die Unfähigkeit der
späteren Historiker die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten
und ihre Verkehrtheit nach Schilderung von Motiven und Cha-
rakteren, nach Schlachtberichten und Revolutionserzählungen
in der Tradition zu suchen, und darüber das zu verkennen,
was sie dem ernsten und entsagenden Forscher nicht verwei-
gert haben würde.
Werfen wir noch einen Blick zurück auf die also bezeich-
nete Geschichte der italischen Schrift, so ist vor allem bemer-
kenswerth die schwache und indirecte Einwirkung des helle-
nischen Wesens auf die Sabeller im Gegensatz zu den west-
licheren Völkern. Daſs jene das Alphabet von den Etruskern,
nicht von den Römern empfingen, erklärt sich wahrscheinlich
daraus, daſs sie das Alphabet erhielten ehe sie den Zug auf
dem Rücken des Apennin antraten, die Sabiner wie die Sam-
niten also schon bei ihrer Entlassung aus dem Mutterlande das
Alphabet mit sich nahmen. Andererseits enthält diese Ge-
schichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die An-
nahme, welche die spätere der etruskischen Mystik und Alter-
thumströdelei ergebene römische Bildung aufgebracht hat und
welche die neuere und neueste Forschung geduldig wieder-
holt, daſs die römische Civilisation ihren Keim und ihren Kern
aus Etrurien entlehnt habe. Wäre dies wahr, so müſste hier
vor allem eine Spur davon sich zeigen; aber gerade umge-
kehrt findet sich in Latium der Keim der Schreibkunst grie-
chisch, der Entwicklung national; selbst das den Römern so
wünschenswerthe Zeichen f ward nicht aufgenommen, ja wo
Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr
die Etrusker, die von den Römern wenigstens das Zeichen
für 50 entlehnt haben. — Es ist ferner charakteristisch, daſs
in allen italischen Stämmen die Entwicklung des griechischen
Alphabets zunächst in einer Verderbung desselben besteht,
gegen welche dann späterhin bei den meisten wiederum eine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/158>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.