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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL XI.
der König nicht, sondern nur das Volk; der König aber kann
dem Verurtheilten die Betretung des Gnadenweges (provoca-
tio
) gestatten oder verweigern. -- Bussen an den Staat wegen
Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhängt der König
nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher
der Name multa) von Rindern oder Schafen. Auch Ruthen-
hiebe zu erkennen steht in der Hand des Königs. -- In allen
übrigen Fällen, wo nur der Einzelne, nicht der gemeine Frie-
den verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des
Verletzten, welcher seinen Spruch (lex) dem König vorträgt
(daher lege agere und die ,Sprechtage'); der König kann
wieder entweder selbst die Sache untersuchen oder sie in
seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen.
Als die regelmässige Form der Sühnung eines solchen Unrechts
galt der Vergleich zwischen dem Verletzer und dem Verletzten;
der Staat trat nur ergänzend ein, wenn der Dieb den Be-
stohlenen, der Schädiger den Geschädigten nicht zufrieden-
stellte durch eine ausreichende Sühne (poena), wenn Jemand
sein Eigenthum vorenthalten oder seine gerechte Forderung
nicht erfüllt ward. Was in dieser Epoche als ausreichende
Sühne des Diebstahls galt, lässt sich nicht bestimmen; natürlich
schätzte der Geschädigte, doch stand wohl seit ältester Zeit dem
Richter das Recht der Ermässigung zu. Von dem auf frischer
That ergriffenen Diebe forderte der Verletzte billig Schwereres
als von dem später entdeckten, da die Erbitterung, welche
eben zu sühnen ist, gegen jenen stärker ist als gegen diesen.
Erschien das Verbrechen minderer Sühne unfähig oder war
der Dieb nicht im Stande die Schätzung zu erlegen, so
ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann zu-
gesprochen. -- Bei Schädigung (iniuria) des Körpers wie der
Sachen musste in den leichteren Fällen der Verletzte wohl
unbedingt Sühne nehmen; ging dagegen durch dieselbe ein
Glied verloren, so konnte der Verstümmelte Auge um Auge
fordern und Zahn um Zahn. -- Das Eigenthum ruht überall
direct oder indirect auf der Zutheilung einzelner Sachen an
einzelne Bürger durch den Staat, am bestimmtesten bei dem
Grundeigenthum, welches herrührt von Ausweisung einzelner
Stücke Landes an den einzelnen Bürger aus der gemeinen
Mark. Dasselbe geht frei von Hand zu Hand, jedoch so, dass
beim Kauf und Tausch immer Zug um Zug geleistet wird und
Kauf auf Credit keine Klage giebt, aber auch kein Eigenthum
überträgt. Seit das Kupfer anstatt der Schafe und Rinder der

ERSTES BUCH. KAPITEL XI.
der König nicht, sondern nur das Volk; der König aber kann
dem Verurtheilten die Betretung des Gnadenweges (provoca-
tio
) gestatten oder verweigern. — Buſsen an den Staat wegen
Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhängt der König
nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher
der Name multa) von Rindern oder Schafen. Auch Ruthen-
hiebe zu erkennen steht in der Hand des Königs. — In allen
übrigen Fällen, wo nur der Einzelne, nicht der gemeine Frie-
den verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des
Verletzten, welcher seinen Spruch (lex) dem König vorträgt
(daher lege agere und die ‚Sprechtage‘); der König kann
wieder entweder selbst die Sache untersuchen oder sie in
seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen.
Als die regelmäſsige Form der Sühnung eines solchen Unrechts
galt der Vergleich zwischen dem Verletzer und dem Verletzten;
der Staat trat nur ergänzend ein, wenn der Dieb den Be-
stohlenen, der Schädiger den Geschädigten nicht zufrieden-
stellte durch eine ausreichende Sühne (poena), wenn Jemand
sein Eigenthum vorenthalten oder seine gerechte Forderung
nicht erfüllt ward. Was in dieser Epoche als ausreichende
Sühne des Diebstahls galt, läſst sich nicht bestimmen; natürlich
schätzte der Geschädigte, doch stand wohl seit ältester Zeit dem
Richter das Recht der Ermäſsigung zu. Von dem auf frischer
That ergriffenen Diebe forderte der Verletzte billig Schwereres
als von dem später entdeckten, da die Erbitterung, welche
eben zu sühnen ist, gegen jenen stärker ist als gegen diesen.
Erschien das Verbrechen minderer Sühne unfähig oder war
der Dieb nicht im Stande die Schätzung zu erlegen, so
ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann zu-
gesprochen. — Bei Schädigung (iniuria) des Körpers wie der
Sachen muſste in den leichteren Fällen der Verletzte wohl
unbedingt Sühne nehmen; ging dagegen durch dieselbe ein
Glied verloren, so konnte der Verstümmelte Auge um Auge
fordern und Zahn um Zahn. — Das Eigenthum ruht überall
direct oder indirect auf der Zutheilung einzelner Sachen an
einzelne Bürger durch den Staat, am bestimmtesten bei dem
Grundeigenthum, welches herrührt von Ausweisung einzelner
Stücke Landes an den einzelnen Bürger aus der gemeinen
Mark. Dasselbe geht frei von Hand zu Hand, jedoch so, daſs
beim Kauf und Tausch immer Zug um Zug geleistet wird und
Kauf auf Credit keine Klage giebt, aber auch kein Eigenthum
überträgt. Seit das Kupfer anstatt der Schafe und Rinder der

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[104/0118] ERSTES BUCH. KAPITEL XI. der König nicht, sondern nur das Volk; der König aber kann dem Verurtheilten die Betretung des Gnadenweges (provoca- tio) gestatten oder verweigern. — Buſsen an den Staat wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhängt der König nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name multa) von Rindern oder Schafen. Auch Ruthen- hiebe zu erkennen steht in der Hand des Königs. — In allen übrigen Fällen, wo nur der Einzelne, nicht der gemeine Frie- den verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des Verletzten, welcher seinen Spruch (lex) dem König vorträgt (daher lege agere und die ‚Sprechtage‘); der König kann wieder entweder selbst die Sache untersuchen oder sie in seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die regelmäſsige Form der Sühnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich zwischen dem Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergänzend ein, wenn der Dieb den Be- stohlenen, der Schädiger den Geschädigten nicht zufrieden- stellte durch eine ausreichende Sühne (poena), wenn Jemand sein Eigenthum vorenthalten oder seine gerechte Forderung nicht erfüllt ward. Was in dieser Epoche als ausreichende Sühne des Diebstahls galt, läſst sich nicht bestimmen; natürlich schätzte der Geschädigte, doch stand wohl seit ältester Zeit dem Richter das Recht der Ermäſsigung zu. Von dem auf frischer That ergriffenen Diebe forderte der Verletzte billig Schwereres als von dem später entdeckten, da die Erbitterung, welche eben zu sühnen ist, gegen jenen stärker ist als gegen diesen. Erschien das Verbrechen minderer Sühne unfähig oder war der Dieb nicht im Stande die Schätzung zu erlegen, so ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann zu- gesprochen. — Bei Schädigung (iniuria) des Körpers wie der Sachen muſste in den leichteren Fällen der Verletzte wohl unbedingt Sühne nehmen; ging dagegen durch dieselbe ein Glied verloren, so konnte der Verstümmelte Auge um Auge fordern und Zahn um Zahn. — Das Eigenthum ruht überall direct oder indirect auf der Zutheilung einzelner Sachen an einzelne Bürger durch den Staat, am bestimmtesten bei dem Grundeigenthum, welches herrührt von Ausweisung einzelner Stücke Landes an den einzelnen Bürger aus der gemeinen Mark. Dasselbe geht frei von Hand zu Hand, jedoch so, daſs beim Kauf und Tausch immer Zug um Zug geleistet wird und Kauf auf Credit keine Klage giebt, aber auch kein Eigenthum überträgt. Seit das Kupfer anstatt der Schafe und Rinder der

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/118>, abgerufen am 22.11.2024.