Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu machen vermag die Geschichte nicht allein; es muss ihr genügen die Entwicklung der Gesammtheit dar- zustellen und das Schaffen und Handeln, das Denken und Dichten des Einzelnen, so sehr auch diese von dem Zuge des Volksgeistes beherrscht werden, bei Seite zu lassen oder doch nur in den allgemeinsten Umrissen anzudeuten. Dies letztere hier und eben für diese älteste geschichtlich so gut wie ver- schollene Zeit wenigstens zu versuchen schien desswegen noth- wendig, weil die tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden von dem der alten Culturvölker trennt, sich auf diesem Gebiet allein einigermassen zum Bewusstsein bringen lässt. Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten Völkernamen und getrübten Sagen ist wie die dürren Blätter, von denen wir mühsam begreifen, dass sie einst grün gewesen sind; statt die uner- quickliche Rede durch diese säuseln zu lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner und Oenotrer, die Siculer und Pelasger zu classificiren wird es sich besser schicken zu fra- gen, wie denn das reale Volksleben des alten Italien im Rechts- verkehr, das ideale in der Religion sich ausgeprägt haben, wie man gewirthschaftet und gehandelt hat, woher die Schrift den Völkern kam und die weiteren Elemente der Bildung. So dürftig auch hier unser Wissen ist, schon für das römische Volk, mehr noch für das der Sabeller und das etruskische, so wird doch selbst die geringe und lückenvolle Kunde dem Leser
KAPITEL XI.
Recht und Gericht.
Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu machen vermag die Geschichte nicht allein; es muſs ihr genügen die Entwicklung der Gesammtheit dar- zustellen und das Schaffen und Handeln, das Denken und Dichten des Einzelnen, so sehr auch diese von dem Zuge des Volksgeistes beherrscht werden, bei Seite zu lassen oder doch nur in den allgemeinsten Umrissen anzudeuten. Dies letztere hier und eben für diese älteste geschichtlich so gut wie ver- schollene Zeit wenigstens zu versuchen schien deſswegen noth- wendig, weil die tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden von dem der alten Culturvölker trennt, sich auf diesem Gebiet allein einigermaſsen zum Bewuſstsein bringen läſst. Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten Völkernamen und getrübten Sagen ist wie die dürren Blätter, von denen wir mühsam begreifen, daſs sie einst grün gewesen sind; statt die uner- quickliche Rede durch diese säuseln zu lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner und Oenotrer, die Siculer und Pelasger zu classificiren wird es sich besser schicken zu fra- gen, wie denn das reale Volksleben des alten Italien im Rechts- verkehr, das ideale in der Religion sich ausgeprägt haben, wie man gewirthschaftet und gehandelt hat, woher die Schrift den Völkern kam und die weiteren Elemente der Bildung. So dürftig auch hier unser Wissen ist, schon für das römische Volk, mehr noch für das der Sabeller und das etruskische, so wird doch selbst die geringe und lückenvolle Kunde dem Leser
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KAPITEL XI.
Recht und Gericht.
Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit
anschaulich zu machen vermag die Geschichte nicht allein;
es muſs ihr genügen die Entwicklung der Gesammtheit dar-
zustellen und das Schaffen und Handeln, das Denken und
Dichten des Einzelnen, so sehr auch diese von dem Zuge des
Volksgeistes beherrscht werden, bei Seite zu lassen oder doch
nur in den allgemeinsten Umrissen anzudeuten. Dies letztere
hier und eben für diese älteste geschichtlich so gut wie ver-
schollene Zeit wenigstens zu versuchen schien deſswegen noth-
wendig, weil die tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden
von dem der alten Culturvölker trennt, sich auf diesem Gebiet
allein einigermaſsen zum Bewuſstsein bringen läſst. Unsere
Ueberlieferung mit ihren verwirrten Völkernamen und getrübten
Sagen ist wie die dürren Blätter, von denen wir mühsam
begreifen, daſs sie einst grün gewesen sind; statt die uner-
quickliche Rede durch diese säuseln zu lassen und die Schnitzel
der Menschheit, die Choner und Oenotrer, die Siculer und
Pelasger zu classificiren wird es sich besser schicken zu fra-
gen, wie denn das reale Volksleben des alten Italien im Rechts-
verkehr, das ideale in der Religion sich ausgeprägt haben, wie
man gewirthschaftet und gehandelt hat, woher die Schrift den
Völkern kam und die weiteren Elemente der Bildung. So
dürftig auch hier unser Wissen ist, schon für das römische
Volk, mehr noch für das der Sabeller und das etruskische, so
wird doch selbst die geringe und lückenvolle Kunde dem Leser
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. [102]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/116>, abgerufen am 23.11.2024.
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