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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL X.
Nationen unabhängig blieben und eine eigene Handelspolitik
verfolgen konnten.

Als die Kaufleute aus dem Osten zuerst einfuhren in die
Westsee, trafen sie nirgends auf Segelschiffe; die Ruderbarken
der Eingebornen drohten keine Gefahr und ungehindert konn-
ten sich die Fremden auf den Inseln und Landspitzen ansie-
deln. So die Poener in Sicilien; so gleichfalls die Hellenen
längs der ganzen italischen Westküste. Spuren dieser ältesten
Fahrten sind die griechischen Namen der Insel Aethalia (Ilva,
Elba), die nächst Aenaria zu den am frühesten von Griechen
besetzten Plätzen zu gehören scheint, und vielleicht auch des
Hafenplatzes Telamon in Etrurien. Eben daraus erklärt sich
die frühe Localisirung der Odysseussagen und anderer Heim-
fahrten troischer Helden an den campanischen Gestaden; wenn
bei Formiae und Caieta die Laestrygonen hausen, wenn das
isolirte Vorgebirg von Tarracina schon bei Skylax das Grab
des Elpenor heisst, wenn schon bei Hesiodos Odysseus mit
der Kirke zwei Söhne erzeugt, den Agrios das heisst den Wil-
den und den Latinos, die ,im innersten Winkel der heiligen
Inseln' die Tyrsener beherrschen, wenn den troischen Aeneas
der König Latinus in Laurentum freundlich empfängt, so sind
das alte Schiffermährchen kymaeischer und phokischer See-
fahrer, welche der lieben Heimath auf der tyrrhenischen See
gedachten. -- Dass die Küstenbewohner, wenn die Gelegenheit
sich bot, die fremden Schiffer überfielen und plünderten, ver-
steht sich von selbst und spricht sich auch in diesen Sagen
so wie in der Wahl der ältesten Ansiedlungsplätze deutlich
aus. In diesem Verkehr mag Aethalia, die ,Feuerinsel' mit
ihren reichen Kupfer- und besonders Eisengruben die erste
Rolle gespielt und hier sich der Verkehr wie der Land- und
Seeraub concentrirt haben; um so mehr als das Schmelzen
der Metalle auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne
Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte. Auch die
Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenüberliegenden
Landspitze waren vielleicht schon den Griechen bekannt und
von ihnen in Betrieb genommen. Hier zuerst scheinen die
Küstenbewohner, lernend von den Fremden, anstatt ihrer
Flösse und Ruderbarken Segelschiffe gebaut zu haben. Bald
wurden sie gefährliche Mitbewerber auf dem neu gewon-
nenen Element: Aethalia und Populonia musste verlassen
werden und die reichen Gruben wurden nun von den Etru-
skern ausgebeutet. Aber schon beschränkten die Etrusker sich

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Nationen unabhängig blieben und eine eigene Handelspolitik
verfolgen konnten.

Als die Kaufleute aus dem Osten zuerst einfuhren in die
Westsee, trafen sie nirgends auf Segelschiffe; die Ruderbarken
der Eingebornen drohten keine Gefahr und ungehindert konn-
ten sich die Fremden auf den Inseln und Landspitzen ansie-
deln. So die Poener in Sicilien; so gleichfalls die Hellenen
längs der ganzen italischen Westküste. Spuren dieser ältesten
Fahrten sind die griechischen Namen der Insel Aethalia (Ilva,
Elba), die nächst Aenaria zu den am frühesten von Griechen
besetzten Plätzen zu gehören scheint, und vielleicht auch des
Hafenplatzes Telamon in Etrurien. Eben daraus erklärt sich
die frühe Localisirung der Odysseussagen und anderer Heim-
fahrten troischer Helden an den campanischen Gestaden; wenn
bei Formiae und Caieta die Laestrygonen hausen, wenn das
isolirte Vorgebirg von Tarracina schon bei Skylax das Grab
des Elpenor heiſst, wenn schon bei Hesiodos Odysseus mit
der Kirke zwei Söhne erzeugt, den Agrios das heiſst den Wil-
den und den Latinos, die ‚im innersten Winkel der heiligen
Inseln‘ die Tyrsener beherrschen, wenn den troischen Aeneas
der König Latinus in Laurentum freundlich empfängt, so sind
das alte Schiffermährchen kymaeischer und phokischer See-
fahrer, welche der lieben Heimath auf der tyrrhenischen See
gedachten. — Daſs die Küstenbewohner, wenn die Gelegenheit
sich bot, die fremden Schiffer überfielen und plünderten, ver-
steht sich von selbst und spricht sich auch in diesen Sagen
so wie in der Wahl der ältesten Ansiedlungsplätze deutlich
aus. In diesem Verkehr mag Aethalia, die ‚Feuerinsel‘ mit
ihren reichen Kupfer- und besonders Eisengruben die erste
Rolle gespielt und hier sich der Verkehr wie der Land- und
Seeraub concentrirt haben; um so mehr als das Schmelzen
der Metalle auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne
Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte. Auch die
Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenüberliegenden
Landspitze waren vielleicht schon den Griechen bekannt und
von ihnen in Betrieb genommen. Hier zuerst scheinen die
Küstenbewohner, lernend von den Fremden, anstatt ihrer
Flöſse und Ruderbarken Segelschiffe gebaut zu haben. Bald
wurden sie gefährliche Mitbewerber auf dem neu gewon-
nenen Element: Aethalia und Populonia muſste verlassen
werden und die reichen Gruben wurden nun von den Etru-
skern ausgebeutet. Aber schon beschränkten die Etrusker sich

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[96/0110] ERSTES BUCH. KAPITEL X. Nationen unabhängig blieben und eine eigene Handelspolitik verfolgen konnten. Als die Kaufleute aus dem Osten zuerst einfuhren in die Westsee, trafen sie nirgends auf Segelschiffe; die Ruderbarken der Eingebornen drohten keine Gefahr und ungehindert konn- ten sich die Fremden auf den Inseln und Landspitzen ansie- deln. So die Poener in Sicilien; so gleichfalls die Hellenen längs der ganzen italischen Westküste. Spuren dieser ältesten Fahrten sind die griechischen Namen der Insel Aethalia (Ilva, Elba), die nächst Aenaria zu den am frühesten von Griechen besetzten Plätzen zu gehören scheint, und vielleicht auch des Hafenplatzes Telamon in Etrurien. Eben daraus erklärt sich die frühe Localisirung der Odysseussagen und anderer Heim- fahrten troischer Helden an den campanischen Gestaden; wenn bei Formiae und Caieta die Laestrygonen hausen, wenn das isolirte Vorgebirg von Tarracina schon bei Skylax das Grab des Elpenor heiſst, wenn schon bei Hesiodos Odysseus mit der Kirke zwei Söhne erzeugt, den Agrios das heiſst den Wil- den und den Latinos, die ‚im innersten Winkel der heiligen Inseln‘ die Tyrsener beherrschen, wenn den troischen Aeneas der König Latinus in Laurentum freundlich empfängt, so sind das alte Schiffermährchen kymaeischer und phokischer See- fahrer, welche der lieben Heimath auf der tyrrhenischen See gedachten. — Daſs die Küstenbewohner, wenn die Gelegenheit sich bot, die fremden Schiffer überfielen und plünderten, ver- steht sich von selbst und spricht sich auch in diesen Sagen so wie in der Wahl der ältesten Ansiedlungsplätze deutlich aus. In diesem Verkehr mag Aethalia, die ‚Feuerinsel‘ mit ihren reichen Kupfer- und besonders Eisengruben die erste Rolle gespielt und hier sich der Verkehr wie der Land- und Seeraub concentrirt haben; um so mehr als das Schmelzen der Metalle auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte. Auch die Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenüberliegenden Landspitze waren vielleicht schon den Griechen bekannt und von ihnen in Betrieb genommen. Hier zuerst scheinen die Küstenbewohner, lernend von den Fremden, anstatt ihrer Flöſse und Ruderbarken Segelschiffe gebaut zu haben. Bald wurden sie gefährliche Mitbewerber auf dem neu gewon- nenen Element: Aethalia und Populonia muſste verlassen werden und die reichen Gruben wurden nun von den Etru- skern ausgebeutet. Aber schon beschränkten die Etrusker sich

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/110>, abgerufen am 28.04.2024.