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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT.
haben, dafür fehlt es an jedem Beweis; vielmehr ist es glaub-
lich überliefert, dass von den civilisirten Nationen des Ostens
zuerst die Phokier es gewesen sind welche durch die ,Spalte'
(region) einfuhren in die Westsee. Die beiden Nationen, von
denen die Poener wahrscheinlich von Africa, die Griechen von
Italien herüberkamen, stiessen bald auf einander in Sicilien,
um dessen Besitz sie Jahrhunderte lang rangen, ohne dass es
der einen oder der andern gelungen wäre den Rivalen voll-
ständig zu verdrängen. Die Griechen bemächtigten sich zuerst
der nordöstlichen Spitze, wo die ältesten chalkidischen Colo-
nien Himera, Zankle, Naxos angelegt wurden; der dorischen
Einwanderung gelang es geraume Zeit hernach die grössere
östliche Hälfte der Insel zu gewinnen, wo die kaufmännischen
Etablissements der Poener einer energischen Kolonisationspoli-
tik erlagen und Syrakus, Gela, Akragas entstanden. Allein
der Nordwesten blieb im Besitz der Punier, mit den wichtigen
Häfen Soloeis und Panormos an der Nordküste, Motye an der
Africa zugewandten Spitze. Karthagos Macht, deren kräftiger
Aufschwung um die Mitte des zweiten Jahrhunderts fällt, kam
den sicilischen Poenern zu Hülfe und der Strom der griechi-
schen Einwanderung stockte nach der Anlegung von Akragas
(174 der Stadt). Bestimmter und energischer ergriff und ver-
folgte die führende Macht der punischen Nation seitdem den
Gedanken wenigstens in den Meeren westlich von Sardi-
nien und Sicilien sich nicht von den Griechen vertreiben zu
lassen, wie früher die Poener aus dem ausschliesslichen Besitz
der ganzen Westsee, dem Besitz der beiden Verbindungs-
strassen zwischen dem westlichen und dem östlichen Becken
und dem Monopol der Handelsvermittlung zwischen Orient
und Occident verdrängt worden waren. Schon um Kyros Zeit,
um 200 der Stadt eroberte der karthagische Feldherr Malchus
einen grossen Theil Sardiniens, das um die Zeit der Vertrei-
bung der römischen Könige im unbestrittenen Besitz Karthagos
sich befindet.

So consolidirt sich im südlichen Italien und im östlichen
Sicilien die hellenische, in Westsicilien und auf Sardinien die
punische Nation, beide jetzt nicht mehr sich beschränkend auf
die Anlage von Handelsfactoreien, sondern städtegründend und
länderbeherrschend. Aber indem zugleich ihre Rivalität sich
immer schärfer feststellt, scheint eben dies veranlasst zu haben,
dass das mittlere und nördliche Italien nicht colonisirt ward,
sondern unter dem Schutz jener Rivalität die einheimischen

DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT.
haben, dafür fehlt es an jedem Beweis; vielmehr ist es glaub-
lich überliefert, daſs von den civilisirten Nationen des Ostens
zuerst die Phokier es gewesen sind welche durch die ‚Spalte‘
(ϱ̔ήγιον) einfuhren in die Westsee. Die beiden Nationen, von
denen die Poener wahrscheinlich von Africa, die Griechen von
Italien herüberkamen, stieſsen bald auf einander in Sicilien,
um dessen Besitz sie Jahrhunderte lang rangen, ohne daſs es
der einen oder der andern gelungen wäre den Rivalen voll-
ständig zu verdrängen. Die Griechen bemächtigten sich zuerst
der nordöstlichen Spitze, wo die ältesten chalkidischen Colo-
nien Himera, Zankle, Naxos angelegt wurden; der dorischen
Einwanderung gelang es geraume Zeit hernach die gröſsere
östliche Hälfte der Insel zu gewinnen, wo die kaufmännischen
Etablissements der Poener einer energischen Kolonisationspoli-
tik erlagen und Syrakus, Gela, Akragas entstanden. Allein
der Nordwesten blieb im Besitz der Punier, mit den wichtigen
Häfen Soloeis und Panormos an der Nordküste, Motye an der
Africa zugewandten Spitze. Karthagos Macht, deren kräftiger
Aufschwung um die Mitte des zweiten Jahrhunderts fällt, kam
den sicilischen Poenern zu Hülfe und der Strom der griechi-
schen Einwanderung stockte nach der Anlegung von Akragas
(174 der Stadt). Bestimmter und energischer ergriff und ver-
folgte die führende Macht der punischen Nation seitdem den
Gedanken wenigstens in den Meeren westlich von Sardi-
nien und Sicilien sich nicht von den Griechen vertreiben zu
lassen, wie früher die Poener aus dem ausschlieſslichen Besitz
der ganzen Westsee, dem Besitz der beiden Verbindungs-
straſsen zwischen dem westlichen und dem östlichen Becken
und dem Monopol der Handelsvermittlung zwischen Orient
und Occident verdrängt worden waren. Schon um Kyros Zeit,
um 200 der Stadt eroberte der karthagische Feldherr Malchus
einen groſsen Theil Sardiniens, das um die Zeit der Vertrei-
bung der römischen Könige im unbestrittenen Besitz Karthagos
sich befindet.

So consolidirt sich im südlichen Italien und im östlichen
Sicilien die hellenische, in Westsicilien und auf Sardinien die
punische Nation, beide jetzt nicht mehr sich beschränkend auf
die Anlage von Handelsfactoreien, sondern städtegründend und
länderbeherrschend. Aber indem zugleich ihre Rivalität sich
immer schärfer feststellt, scheint eben dies veranlaſst zu haben,
daſs das mittlere und nördliche Italien nicht colonisirt ward,
sondern unter dem Schutz jener Rivalität die einheimischen

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[95/0109] DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT. haben, dafür fehlt es an jedem Beweis; vielmehr ist es glaub- lich überliefert, daſs von den civilisirten Nationen des Ostens zuerst die Phokier es gewesen sind welche durch die ‚Spalte‘ (ϱ̔ήγιον) einfuhren in die Westsee. Die beiden Nationen, von denen die Poener wahrscheinlich von Africa, die Griechen von Italien herüberkamen, stieſsen bald auf einander in Sicilien, um dessen Besitz sie Jahrhunderte lang rangen, ohne daſs es der einen oder der andern gelungen wäre den Rivalen voll- ständig zu verdrängen. Die Griechen bemächtigten sich zuerst der nordöstlichen Spitze, wo die ältesten chalkidischen Colo- nien Himera, Zankle, Naxos angelegt wurden; der dorischen Einwanderung gelang es geraume Zeit hernach die gröſsere östliche Hälfte der Insel zu gewinnen, wo die kaufmännischen Etablissements der Poener einer energischen Kolonisationspoli- tik erlagen und Syrakus, Gela, Akragas entstanden. Allein der Nordwesten blieb im Besitz der Punier, mit den wichtigen Häfen Soloeis und Panormos an der Nordküste, Motye an der Africa zugewandten Spitze. Karthagos Macht, deren kräftiger Aufschwung um die Mitte des zweiten Jahrhunderts fällt, kam den sicilischen Poenern zu Hülfe und der Strom der griechi- schen Einwanderung stockte nach der Anlegung von Akragas (174 der Stadt). Bestimmter und energischer ergriff und ver- folgte die führende Macht der punischen Nation seitdem den Gedanken wenigstens in den Meeren westlich von Sardi- nien und Sicilien sich nicht von den Griechen vertreiben zu lassen, wie früher die Poener aus dem ausschlieſslichen Besitz der ganzen Westsee, dem Besitz der beiden Verbindungs- straſsen zwischen dem westlichen und dem östlichen Becken und dem Monopol der Handelsvermittlung zwischen Orient und Occident verdrängt worden waren. Schon um Kyros Zeit, um 200 der Stadt eroberte der karthagische Feldherr Malchus einen groſsen Theil Sardiniens, das um die Zeit der Vertrei- bung der römischen Könige im unbestrittenen Besitz Karthagos sich befindet. So consolidirt sich im südlichen Italien und im östlichen Sicilien die hellenische, in Westsicilien und auf Sardinien die punische Nation, beide jetzt nicht mehr sich beschränkend auf die Anlage von Handelsfactoreien, sondern städtegründend und länderbeherrschend. Aber indem zugleich ihre Rivalität sich immer schärfer feststellt, scheint eben dies veranlaſst zu haben, daſs das mittlere und nördliche Italien nicht colonisirt ward, sondern unter dem Schutz jener Rivalität die einheimischen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/109>, abgerufen am 28.04.2024.