Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT. Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst, sondernin der Technik demselben wohl gar überlegen waren; denn statt der dicken oft nur einseitig geprägten und regelmässig schrift- losen Silberstücke, welche um diese Zeit in dem eigentlichen Griechenland wie bei den italischen Dorern üblich waren, schlu- gen die italischen Achaeer mit grosser und selbstständiger Ge- schicklichkeit aus zwei gleichartigen theils erhaben theils vertieft geschnittenen Stempeln grosse dünne stets mit Aufschrift ver- sehene Silbermünzen, deren sorgfältig vor der Falschmünzerei jener Zeit -- Plattirung geringen Metalls mit dünnen Silber- blättern -- sich schützende Prägweise den wohlgeordneten Culturstaat verräth. -- Dennoch trug diese schnelle Blüthe keine Frucht; in der mühelosen weder durch kräftige Gegen- wehr der Eingebornen noch durch eigene schwere Arbeit auf die Probe gestellten Existenz versagte sogar den Griechen früh die Spannkraft des Körpers und des Geistes. Keiner der glänzenden Namen der griechischen Kunst und Litteratur ver- herrlicht die italischen Achaeer, während Sicilien deren un- zählige, auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische Tarent den Archytas nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Heerde der Spiess drehte, gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen liess die strenge Oligarchie nicht aufkommen, die in den einzelnen Gemeinden sich abgeschlossen und im Nothfall an der Cen- tralgewalt einen sicheren Rückhalt hatte; dagegen waren eben diese aristokratischen Elemente nicht minder gefährlich, vor allem wenn sie in den verschiedenen Gemeinden unter ein- ander sich verbündeten und sich gegenseitig aushalfen. Am bekanntesten ist die durch den Namen des Pythagoras be- zeichnete solidarische Verbindung der ,Freunde', welche die herrschende Klasse ,gleich den Göttern zu verehren', die die- nende ,gleich den Thieren zu unterwerfen' theoretisch und praktisch einschärfte, und dadurch eine furchtbare Reaction hervorrief, welche mit der Vernichtung der pythagorischen ,Freunde' und mit der Erneuerung der alten Bundesverfas- sung endigte. Allein rasende Parteifehden, sociale Missstände aller Art, praktische Anwendung unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten Civilisation hörten nicht auf in den achaeischen Gemeinden zu wüthen, bis ihre politische Macht darüber zusammenbrach. -- Es ist nicht zu verwun- dern, dass für die Civilisation Italiens die daselbst angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind als die übrigen DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT. Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst, sondernin der Technik demselben wohl gar überlegen waren; denn statt der dicken oft nur einseitig geprägten und regelmäſsig schrift- losen Silberstücke, welche um diese Zeit in dem eigentlichen Griechenland wie bei den italischen Dorern üblich waren, schlu- gen die italischen Achaeer mit groſser und selbstständiger Ge- schicklichkeit aus zwei gleichartigen theils erhaben theils vertieft geschnittenen Stempeln groſse dünne stets mit Aufschrift ver- sehene Silbermünzen, deren sorgfältig vor der Falschmünzerei jener Zeit — Plattirung geringen Metalls mit dünnen Silber- blättern — sich schützende Prägweise den wohlgeordneten Culturstaat verräth. — Dennoch trug diese schnelle Blüthe keine Frucht; in der mühelosen weder durch kräftige Gegen- wehr der Eingebornen noch durch eigene schwere Arbeit auf die Probe gestellten Existenz versagte sogar den Griechen früh die Spannkraft des Körpers und des Geistes. Keiner der glänzenden Namen der griechischen Kunst und Litteratur ver- herrlicht die italischen Achaeer, während Sicilien deren un- zählige, auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische Tarent den Archytas nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Heerde der Spieſs drehte, gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen lieſs die strenge Oligarchie nicht aufkommen, die in den einzelnen Gemeinden sich abgeschlossen und im Nothfall an der Cen- tralgewalt einen sicheren Rückhalt hatte; dagegen waren eben diese aristokratischen Elemente nicht minder gefährlich, vor allem wenn sie in den verschiedenen Gemeinden unter ein- ander sich verbündeten und sich gegenseitig aushalfen. Am bekanntesten ist die durch den Namen des Pythagoras be- zeichnete solidarische Verbindung der ‚Freunde‘, welche die herrschende Klasse ‚gleich den Göttern zu verehren‘, die die- nende ‚gleich den Thieren zu unterwerfen‘ theoretisch und praktisch einschärfte, und dadurch eine furchtbare Reaction hervorrief, welche mit der Vernichtung der pythagorischen ‚Freunde‘ und mit der Erneuerung der alten Bundesverfas- sung endigte. Allein rasende Parteifehden, sociale Miſsstände aller Art, praktische Anwendung unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten Civilisation hörten nicht auf in den achaeischen Gemeinden zu wüthen, bis ihre politische Macht darüber zusammenbrach. — Es ist nicht zu verwun- dern, daſs für die Civilisation Italiens die daselbst angesiedelten Achaeer minder einfluſsreich gewesen sind als die übrigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0105" n="91"/><fw place="top" type="header">DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT.</fw><lb/> Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst, sondern<lb/> in der Technik demselben wohl gar überlegen waren; denn statt<lb/> der dicken oft nur einseitig geprägten und regelmäſsig schrift-<lb/> losen Silberstücke, welche um diese Zeit in dem eigentlichen<lb/> Griechenland wie bei den italischen Dorern üblich waren, schlu-<lb/> gen die italischen Achaeer mit groſser und selbstständiger Ge-<lb/> schicklichkeit aus zwei gleichartigen theils erhaben theils vertieft<lb/> geschnittenen Stempeln groſse dünne stets mit Aufschrift ver-<lb/> sehene Silbermünzen, deren sorgfältig vor der Falschmünzerei<lb/> jener Zeit — Plattirung geringen Metalls mit dünnen Silber-<lb/> blättern — sich schützende Prägweise den wohlgeordneten<lb/> Culturstaat verräth. — Dennoch trug diese schnelle Blüthe<lb/> keine Frucht; in der mühelosen weder durch kräftige Gegen-<lb/> wehr der Eingebornen noch durch eigene schwere Arbeit auf<lb/> die Probe gestellten Existenz versagte sogar den Griechen früh<lb/> die Spannkraft des Körpers und des Geistes. Keiner der<lb/> glänzenden Namen der griechischen Kunst und Litteratur ver-<lb/> herrlicht die italischen Achaeer, während Sicilien deren un-<lb/> zählige, auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos,<lb/> das dorische Tarent den Archytas nennen kann; bei diesem<lb/> Volk, wo stets sich am Heerde der Spieſs drehte, gedieh<lb/> nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen lieſs die<lb/> strenge Oligarchie nicht aufkommen, die in den einzelnen<lb/> Gemeinden sich abgeschlossen und im Nothfall an der Cen-<lb/> tralgewalt einen sicheren Rückhalt hatte; dagegen waren eben<lb/> diese aristokratischen Elemente nicht minder gefährlich, vor<lb/> allem wenn sie in den verschiedenen Gemeinden unter ein-<lb/> ander sich verbündeten und sich gegenseitig aushalfen. Am<lb/> bekanntesten ist die durch den Namen des Pythagoras be-<lb/> zeichnete solidarische Verbindung der ‚Freunde‘, welche die<lb/> herrschende Klasse ‚gleich den Göttern zu verehren‘, die die-<lb/> nende ‚gleich den Thieren zu unterwerfen‘ theoretisch und<lb/> praktisch einschärfte, und dadurch eine furchtbare Reaction<lb/> hervorrief, welche mit der Vernichtung der pythagorischen<lb/> ‚Freunde‘ und mit der Erneuerung der alten Bundesverfas-<lb/> sung endigte. Allein rasende Parteifehden, sociale Miſsstände<lb/> aller Art, praktische Anwendung unpraktischer Staatsphilosophie,<lb/> kurz alle Uebel der entsittlichten Civilisation hörten nicht auf<lb/> in den achaeischen Gemeinden zu wüthen, bis ihre politische<lb/> Macht darüber zusammenbrach. — Es ist nicht zu verwun-<lb/> dern, daſs für die Civilisation Italiens die daselbst angesiedelten<lb/> Achaeer minder einfluſsreich gewesen sind als die übrigen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0105]
DIE HELLENEN UND DIE SEEHERRSCHAFT.
Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst, sondern
in der Technik demselben wohl gar überlegen waren; denn statt
der dicken oft nur einseitig geprägten und regelmäſsig schrift-
losen Silberstücke, welche um diese Zeit in dem eigentlichen
Griechenland wie bei den italischen Dorern üblich waren, schlu-
gen die italischen Achaeer mit groſser und selbstständiger Ge-
schicklichkeit aus zwei gleichartigen theils erhaben theils vertieft
geschnittenen Stempeln groſse dünne stets mit Aufschrift ver-
sehene Silbermünzen, deren sorgfältig vor der Falschmünzerei
jener Zeit — Plattirung geringen Metalls mit dünnen Silber-
blättern — sich schützende Prägweise den wohlgeordneten
Culturstaat verräth. — Dennoch trug diese schnelle Blüthe
keine Frucht; in der mühelosen weder durch kräftige Gegen-
wehr der Eingebornen noch durch eigene schwere Arbeit auf
die Probe gestellten Existenz versagte sogar den Griechen früh
die Spannkraft des Körpers und des Geistes. Keiner der
glänzenden Namen der griechischen Kunst und Litteratur ver-
herrlicht die italischen Achaeer, während Sicilien deren un-
zählige, auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos,
das dorische Tarent den Archytas nennen kann; bei diesem
Volk, wo stets sich am Heerde der Spieſs drehte, gedieh
nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen lieſs die
strenge Oligarchie nicht aufkommen, die in den einzelnen
Gemeinden sich abgeschlossen und im Nothfall an der Cen-
tralgewalt einen sicheren Rückhalt hatte; dagegen waren eben
diese aristokratischen Elemente nicht minder gefährlich, vor
allem wenn sie in den verschiedenen Gemeinden unter ein-
ander sich verbündeten und sich gegenseitig aushalfen. Am
bekanntesten ist die durch den Namen des Pythagoras be-
zeichnete solidarische Verbindung der ‚Freunde‘, welche die
herrschende Klasse ‚gleich den Göttern zu verehren‘, die die-
nende ‚gleich den Thieren zu unterwerfen‘ theoretisch und
praktisch einschärfte, und dadurch eine furchtbare Reaction
hervorrief, welche mit der Vernichtung der pythagorischen
‚Freunde‘ und mit der Erneuerung der alten Bundesverfas-
sung endigte. Allein rasende Parteifehden, sociale Miſsstände
aller Art, praktische Anwendung unpraktischer Staatsphilosophie,
kurz alle Uebel der entsittlichten Civilisation hörten nicht auf
in den achaeischen Gemeinden zu wüthen, bis ihre politische
Macht darüber zusammenbrach. — Es ist nicht zu verwun-
dern, daſs für die Civilisation Italiens die daselbst angesiedelten
Achaeer minder einfluſsreich gewesen sind als die übrigen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |