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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ANSIEDLUNGEN DER LATINER.
von den Griechen gegründet ward, ein italischer und wahr-
scheinlich latinischer Stamm, die Ausoner Campanien inne
hatten. Auch die Urbewohner der später von den Lucanern
und Brettiern bewohnten Landschaften, die eigentlichen Itali
(Bewohner des Rinderlandes) werden von den besten Beobach-
tern nicht dem iapygischen, sondern dem italischen Stamm
zugezählt; es ist nichts im Wege sie dem latinischen Stamm
beizuzählen, obwohl die frühe vor dem Beginn der staatlichen
Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisirung dieser Gegenden
und deren spätere Ueberfluthung durch samnitische Schwärme
die Spuren der älteren Nationalität gänzlich verwischt hat.
Den gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzen sehr
alte Sagen in Beziehung zu Rom; so erzählt der älteste ita-
lische Geschichtschreiber Antiochos von Syrakus, dass zum
König Morges von Italien (d. h. der brettischen Halbinsel)
ein Mann Namens Sikelos auf flüchtigem Fuss aus Rom ge-
kommen sei, und es scheinen diese Erzählungen zu beruhen
auf der von den Berichterstattern wahrgenommenen Stammes-
gleichheit der Siculer, deren es noch zu Thukydides Zeit in
Italien gab, und der Latiner. Die auffallende Verwandtschaft
einzelner dialektischer Eigenthümlichkeiten des sicilischen
Griechisch mit dem Lateinischen (moiton mutuum; patane
patina; karkaron carcer) erklärt sich zwar wohl nicht aus der
alten Sprachgleichheit der Siculer und Römer, sondern aus den
Handelsverbindungen zwischen Rom und den sicilischen Grie-
chen; glaublich ist es indess nach allen Spuren, dass nicht
bloss die latinische, sondern auch die campanische und lucani-
sche Landschaft, das eigentliche Italia zwischen den Buchten
von Tarent und Laos und die östliche Hälfte von Sicilien in
alter Zeit von verschiedenen Stämmen der latinischen Nation
bewohnt waren. -- Die Schicksale dieser Stämme waren sehr
ungleich. Die in Sicilien, Grossgriechenland und Campanien
angesiedelten kamen mit den Griechen in Berührung in einer
Epoche, wo sie deren Waffen und deren Civilisation Widerstand
zu leisten nicht vermochten und wurden entweder völlig helle-
nisiert, wie namentlich in Sicilien, oder doch so geschwächt,
dass sie der frischen Kraft der sabinischen Stämme ohne
sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die Siculer, die
Italer und Morgeten, die Ausoner nicht dazu gekommen eine
thätige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu spielen. --
Anders war es in Latium, wo griechische Colonien nicht ge-
gründet worden sind und es den Einwohnern nach harten

ANSIEDLUNGEN DER LATINER.
von den Griechen gegründet ward, ein italischer und wahr-
scheinlich latinischer Stamm, die Ausoner Campanien inne
hatten. Auch die Urbewohner der später von den Lucanern
und Brettiern bewohnten Landschaften, die eigentlichen Itali
(Bewohner des Rinderlandes) werden von den besten Beobach-
tern nicht dem iapygischen, sondern dem italischen Stamm
zugezählt; es ist nichts im Wege sie dem latinischen Stamm
beizuzählen, obwohl die frühe vor dem Beginn der staatlichen
Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisirung dieser Gegenden
und deren spätere Ueberfluthung durch samnitische Schwärme
die Spuren der älteren Nationalität gänzlich verwischt hat.
Den gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzen sehr
alte Sagen in Beziehung zu Rom; so erzählt der älteste ita-
lische Geschichtschreiber Antiochos von Syrakus, daſs zum
König Morges von Italien (d. h. der brettischen Halbinsel)
ein Mann Namens Sikelos auf flüchtigem Fuſs aus Rom ge-
kommen sei, und es scheinen diese Erzählungen zu beruhen
auf der von den Berichterstattern wahrgenommenen Stammes-
gleichheit der Siculer, deren es noch zu Thukydides Zeit in
Italien gab, und der Latiner. Die auffallende Verwandtschaft
einzelner dialektischer Eigenthümlichkeiten des sicilischen
Griechisch mit dem Lateinischen (μοῖτον mutuum; πατάνη
patina; ϰάϱϰαϱον carcer) erklärt sich zwar wohl nicht aus der
alten Sprachgleichheit der Siculer und Römer, sondern aus den
Handelsverbindungen zwischen Rom und den sicilischen Grie-
chen; glaublich ist es indeſs nach allen Spuren, daſs nicht
bloſs die latinische, sondern auch die campanische und lucani-
sche Landschaft, das eigentliche Italia zwischen den Buchten
von Tarent und Laos und die östliche Hälfte von Sicilien in
alter Zeit von verschiedenen Stämmen der latinischen Nation
bewohnt waren. — Die Schicksale dieser Stämme waren sehr
ungleich. Die in Sicilien, Groſsgriechenland und Campanien
angesiedelten kamen mit den Griechen in Berührung in einer
Epoche, wo sie deren Waffen und deren Civilisation Widerstand
zu leisten nicht vermochten und wurden entweder völlig helle-
nisiert, wie namentlich in Sicilien, oder doch so geschwächt,
daſs sie der frischen Kraft der sabinischen Stämme ohne
sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die Siculer, die
Italer und Morgeten, die Ausoner nicht dazu gekommen eine
thätige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu spielen. —
Anders war es in Latium, wo griechische Colonien nicht ge-
gründet worden sind und es den Einwohnern nach harten

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[23/0037] ANSIEDLUNGEN DER LATINER. von den Griechen gegründet ward, ein italischer und wahr- scheinlich latinischer Stamm, die Ausoner Campanien inne hatten. Auch die Urbewohner der später von den Lucanern und Brettiern bewohnten Landschaften, die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes) werden von den besten Beobach- tern nicht dem iapygischen, sondern dem italischen Stamm zugezählt; es ist nichts im Wege sie dem latinischen Stamm beizuzählen, obwohl die frühe vor dem Beginn der staatlichen Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisirung dieser Gegenden und deren spätere Ueberfluthung durch samnitische Schwärme die Spuren der älteren Nationalität gänzlich verwischt hat. Den gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzen sehr alte Sagen in Beziehung zu Rom; so erzählt der älteste ita- lische Geschichtschreiber Antiochos von Syrakus, daſs zum König Morges von Italien (d. h. der brettischen Halbinsel) ein Mann Namens Sikelos auf flüchtigem Fuſs aus Rom ge- kommen sei, und es scheinen diese Erzählungen zu beruhen auf der von den Berichterstattern wahrgenommenen Stammes- gleichheit der Siculer, deren es noch zu Thukydides Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die auffallende Verwandtschaft einzelner dialektischer Eigenthümlichkeiten des sicilischen Griechisch mit dem Lateinischen (μοῖτον mutuum; πατάνη patina; ϰάϱϰαϱον carcer) erklärt sich zwar wohl nicht aus der alten Sprachgleichheit der Siculer und Römer, sondern aus den Handelsverbindungen zwischen Rom und den sicilischen Grie- chen; glaublich ist es indeſs nach allen Spuren, daſs nicht bloſs die latinische, sondern auch die campanische und lucani- sche Landschaft, das eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und die östliche Hälfte von Sicilien in alter Zeit von verschiedenen Stämmen der latinischen Nation bewohnt waren. — Die Schicksale dieser Stämme waren sehr ungleich. Die in Sicilien, Groſsgriechenland und Campanien angesiedelten kamen mit den Griechen in Berührung in einer Epoche, wo sie deren Waffen und deren Civilisation Widerstand zu leisten nicht vermochten und wurden entweder völlig helle- nisiert, wie namentlich in Sicilien, oder doch so geschwächt, daſs sie der frischen Kraft der sabinischen Stämme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die Siculer, die Italer und Morgeten, die Ausoner nicht dazu gekommen eine thätige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu spielen. — Anders war es in Latium, wo griechische Colonien nicht ge- gründet worden sind und es den Einwohnern nach harten

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/37>, abgerufen am 28.11.2024.