Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren Bergrücken Italiens in der Richtung von Norden nach Süden lässt sich noch deutlich verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehören der vollkommen historischen Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die latinische Wan- derung einschlug. Vermuthlich zog sie in ähnlicher Richtung an der Westküste entlang, wohl lange bevor die ersten sabel- lischen Stämme aufbrachen; der Strom überfluthet die Höhen erst wenn die Niederungen schon eingenommen sind und nur wenn die latinischen Stämme schon vorher an der Küste sassen, erklärt es sich, dass die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnügten und erst von diesen aus wo es anging sich zwischen die latinischen Völker drängten. -- Dass vom linken Ufer der Tiber bis an die volskischen Berge ein latini- scher Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und Campanien offen standen, verschmäht worden zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften zeigen, von einem den Sabellern näher als den Latinern ver- wandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Campanien vor der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrschein- lich Latiner; denn die italischen Namen Novla oder Nola (Neustadt), Campani Capua, Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind nachweislich älter als der samnitische Einfall und beweisen, dass, als Kumae
KAPITEL III.
Die Ansiedlungen der Latiner.
Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren Bergrücken Italiens in der Richtung von Norden nach Süden läſst sich noch deutlich verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehören der vollkommen historischen Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die latinische Wan- derung einschlug. Vermuthlich zog sie in ähnlicher Richtung an der Westküste entlang, wohl lange bevor die ersten sabel- lischen Stämme aufbrachen; der Strom überfluthet die Höhen erst wenn die Niederungen schon eingenommen sind und nur wenn die latinischen Stämme schon vorher an der Küste saſsen, erklärt es sich, daſs die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnügten und erst von diesen aus wo es anging sich zwischen die latinischen Völker drängten. — Daſs vom linken Ufer der Tiber bis an die volskischen Berge ein latini- scher Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und Campanien offen standen, verschmäht worden zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften zeigen, von einem den Sabellern näher als den Latinern ver- wandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Campanien vor der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrschein- lich Latiner; denn die italischen Namen Novla oder Nola (Neustadt), Campani Capua, Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind nachweislich älter als der samnitische Einfall und beweisen, daſs, als Kumae
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0036"n="[22]"/><divn="2"><head><hirendition="#g">KAPITEL</hi> III.</head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><argument><p><hirendition="#g">Die Ansiedlungen der Latiner</hi>.</p></argument><lb/><p>Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem<lb/>
mittleren Bergrücken Italiens in der Richtung von Norden<lb/>
nach Süden läſst sich noch deutlich verfolgen; ja die letzten<lb/>
Phasen desselben gehören der vollkommen historischen Zeit<lb/>
an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die latinische Wan-<lb/>
derung einschlug. Vermuthlich zog sie in ähnlicher Richtung<lb/>
an der Westküste entlang, wohl lange bevor die ersten sabel-<lb/>
lischen Stämme aufbrachen; der Strom überfluthet die Höhen<lb/>
erst wenn die Niederungen schon eingenommen sind und<lb/>
nur wenn die latinischen Stämme schon vorher an der Küste<lb/>
saſsen, erklärt es sich, daſs die Sabeller sich mit den rauheren<lb/>
Gebirgen begnügten und erst von diesen aus wo es anging<lb/>
sich zwischen die latinischen Völker drängten. — Daſs vom<lb/>
linken Ufer der Tiber bis an die volskischen Berge ein latini-<lb/>
scher Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber,<lb/>
welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen<lb/>
von Latium und Campanien offen standen, verschmäht worden<lb/>
zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften<lb/>
zeigen, von einem den Sabellern näher als den Latinern ver-<lb/>
wandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Campanien vor<lb/>
der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrschein-<lb/>
lich Latiner; denn die italischen Namen <hirendition="#i">Novla</hi> oder <hirendition="#i">Nola</hi><lb/>
(Neustadt), <hirendition="#i">Campani Capua, Volturnus</hi> (von <hirendition="#i">volvere</hi> wie<lb/><hirendition="#i">Iuturna</hi> von <hirendition="#i">iuvare), Opsci</hi> (Arbeiter) sind nachweislich älter<lb/>
als der samnitische Einfall und beweisen, daſs, als Kumae<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[22]/0036]
KAPITEL III.
Die Ansiedlungen der Latiner.
Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem
mittleren Bergrücken Italiens in der Richtung von Norden
nach Süden läſst sich noch deutlich verfolgen; ja die letzten
Phasen desselben gehören der vollkommen historischen Zeit
an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die latinische Wan-
derung einschlug. Vermuthlich zog sie in ähnlicher Richtung
an der Westküste entlang, wohl lange bevor die ersten sabel-
lischen Stämme aufbrachen; der Strom überfluthet die Höhen
erst wenn die Niederungen schon eingenommen sind und
nur wenn die latinischen Stämme schon vorher an der Küste
saſsen, erklärt es sich, daſs die Sabeller sich mit den rauheren
Gebirgen begnügten und erst von diesen aus wo es anging
sich zwischen die latinischen Völker drängten. — Daſs vom
linken Ufer der Tiber bis an die volskischen Berge ein latini-
scher Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber,
welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen
von Latium und Campanien offen standen, verschmäht worden
zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften
zeigen, von einem den Sabellern näher als den Latinern ver-
wandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Campanien vor
der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrschein-
lich Latiner; denn die italischen Namen Novla oder Nola
(Neustadt), Campani Capua, Volturnus (von volvere wie
Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind nachweislich älter
als der samnitische Einfall und beweisen, daſs, als Kumae
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. [22]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/36>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.