Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

diesen Fluren. Jn dem Maaße, wie man sich dem Schwar-
zen Meere nähert, zeigen sich die Hügel mehr und mehr
mit Sträuchern bedeckt. Bald kommt man in einen Wald
von Ahorn- und Kastanienbäumen, wo tiefe Stille herrscht;
da findet man mächtige Stämme liegen, die der Sturm
hingestreckt, und die, von Epheu überdeckt, aufs Neue be-
grünt sind; der wilde Wein steigt bis an die Gipfel der
Bäume empor, an welche nie eine Axt gelegt werden darf,
denn an diesem Walde setzen die Wolken das Trinkwasser
für Konstantinopel ab. Die Rosen- und Brombeersträucher
beschränken den Wanderer auf einem schmalen Pfade in
den Thälern; nur hin und wieder streift ein Schakal durch
die Büsche, oder ein Adler oder Mahomedsvogel stürzt er-
schrocken und krächzend von seinem Lager empor. Plötzlich
öffnen sich die Zweige und Du stehst vor einem riesenhaf-
ten Gemäuer, einem Pallast ohne Fenster und Thüren; aber
mit seltsamen Thürmen, Zinnen und Spitzen, ganz mit Mar-
mor bekleidet. Die Flügel jener Waldschlösser lehnen sich
an die Thalwände, und wenn Du diese bis zum obersten
Rand des Gemäuers auf breiten Mamorstufen ersteigst, so
erblickst Du jenseits den klaren Spiegel eines künstlichen
See's, der zwischen den bewaldeten Höhen durch den mäch-
tigen Steinwall zurückgehalten wird. Es ist eins der gro-
ßen Reservoirs, welche eine halbe Million Menschen in einer
Entfernung von vier bis fünf Meilen mit frischem Wasser
versehen. Hier fangen die Wasserleitungen an, welche auf
ihrem Zuge die Thäler auf mächtigen Bogen überschreiten,
die seit Valens, Justinians, Severus und Suleimans des
Großen Zeiten noch heute unerschüttert dastehen.

Das Neueste aus Konstantinopel ist, daß Achmet,
der Capudan-Pascha, welcher bisher Muschir der Garden
war, eine Brücke über den Hafen hat bauen lassen, die
erste, welche seit dem strengen Winter zu Kaiser Theodosius
Zeiten Galata mit Konstantinopel vereinte. Sie ist 637
Schritte lang, 25 Schritte breit, und ein ganzer Wald der
schönsten Mastbäume ist darin versenkt. Man konnte nun

dieſen Fluren. Jn dem Maaße, wie man ſich dem Schwar-
zen Meere naͤhert, zeigen ſich die Huͤgel mehr und mehr
mit Straͤuchern bedeckt. Bald kommt man in einen Wald
von Ahorn- und Kaſtanienbaͤumen, wo tiefe Stille herrſcht;
da findet man maͤchtige Staͤmme liegen, die der Sturm
hingeſtreckt, und die, von Epheu uͤberdeckt, aufs Neue be-
gruͤnt ſind; der wilde Wein ſteigt bis an die Gipfel der
Baͤume empor, an welche nie eine Axt gelegt werden darf,
denn an dieſem Walde ſetzen die Wolken das Trinkwaſſer
fuͤr Konſtantinopel ab. Die Roſen- und Brombeerſtraͤucher
beſchraͤnken den Wanderer auf einem ſchmalen Pfade in
den Thaͤlern; nur hin und wieder ſtreift ein Schakal durch
die Buͤſche, oder ein Adler oder Mahomedsvogel ſtuͤrzt er-
ſchrocken und kraͤchzend von ſeinem Lager empor. Ploͤtzlich
oͤffnen ſich die Zweige und Du ſtehſt vor einem rieſenhaf-
ten Gemaͤuer, einem Pallaſt ohne Fenſter und Thuͤren; aber
mit ſeltſamen Thuͤrmen, Zinnen und Spitzen, ganz mit Mar-
mor bekleidet. Die Fluͤgel jener Waldſchloͤſſer lehnen ſich
an die Thalwaͤnde, und wenn Du dieſe bis zum oberſten
Rand des Gemaͤuers auf breiten Mamorſtufen erſteigſt, ſo
erblickſt Du jenſeits den klaren Spiegel eines kuͤnſtlichen
See's, der zwiſchen den bewaldeten Hoͤhen durch den maͤch-
tigen Steinwall zuruͤckgehalten wird. Es iſt eins der gro-
ßen Reſervoirs, welche eine halbe Million Menſchen in einer
Entfernung von vier bis fuͤnf Meilen mit friſchem Waſſer
verſehen. Hier fangen die Waſſerleitungen an, welche auf
ihrem Zuge die Thaͤler auf maͤchtigen Bogen uͤberſchreiten,
die ſeit Valens, Juſtinians, Severus und Suleimans des
Großen Zeiten noch heute unerſchuͤttert daſtehen.

Das Neueſte aus Konſtantinopel iſt, daß Achmet,
der Capudan-Paſcha, welcher bisher Muſchir der Garden
war, eine Bruͤcke uͤber den Hafen hat bauen laſſen, die
erſte, welche ſeit dem ſtrengen Winter zu Kaiſer Theodoſius
Zeiten Galata mit Konſtantinopel vereinte. Sie iſt 637
Schritte lang, 25 Schritte breit, und ein ganzer Wald der
ſchoͤnſten Maſtbaͤume iſt darin verſenkt. Man konnte nun

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0087" n="77"/>
die&#x017F;en Fluren. Jn dem Maaße, wie man &#x017F;ich dem Schwar-<lb/>
zen Meere na&#x0364;hert, zeigen &#x017F;ich die Hu&#x0364;gel mehr und mehr<lb/>
mit Stra&#x0364;uchern bedeckt. Bald kommt man in einen Wald<lb/>
von Ahorn- und Ka&#x017F;tanienba&#x0364;umen, wo tiefe Stille herr&#x017F;cht;<lb/>
da findet man ma&#x0364;chtige Sta&#x0364;mme liegen, die der Sturm<lb/>
hinge&#x017F;treckt, und die, von Epheu u&#x0364;berdeckt, aufs Neue be-<lb/>
gru&#x0364;nt &#x017F;ind; der wilde Wein &#x017F;teigt bis an die Gipfel der<lb/>
Ba&#x0364;ume empor, an welche nie eine Axt gelegt werden darf,<lb/>
denn an die&#x017F;em Walde &#x017F;etzen die Wolken das Trinkwa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
fu&#x0364;r Kon&#x017F;tantinopel ab. Die Ro&#x017F;en- und Brombeer&#x017F;tra&#x0364;ucher<lb/>
be&#x017F;chra&#x0364;nken den Wanderer auf einem &#x017F;chmalen Pfade in<lb/>
den Tha&#x0364;lern; nur hin und wieder &#x017F;treift ein Schakal durch<lb/>
die Bu&#x0364;&#x017F;che, oder ein Adler oder Mahomedsvogel &#x017F;tu&#x0364;rzt er-<lb/>
&#x017F;chrocken und kra&#x0364;chzend von &#x017F;einem Lager empor. Plo&#x0364;tzlich<lb/>
o&#x0364;ffnen &#x017F;ich die Zweige und Du &#x017F;teh&#x017F;t vor einem rie&#x017F;enhaf-<lb/>
ten Gema&#x0364;uer, einem Palla&#x017F;t ohne Fen&#x017F;ter und Thu&#x0364;ren; aber<lb/>
mit &#x017F;elt&#x017F;amen Thu&#x0364;rmen, Zinnen und Spitzen, ganz mit Mar-<lb/>
mor bekleidet. Die Flu&#x0364;gel jener Wald&#x017F;chlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;er lehnen &#x017F;ich<lb/>
an die Thalwa&#x0364;nde, und wenn Du die&#x017F;e bis zum ober&#x017F;ten<lb/>
Rand des Gema&#x0364;uers auf breiten Mamor&#x017F;tufen er&#x017F;teig&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
erblick&#x017F;t Du jen&#x017F;eits den klaren Spiegel eines ku&#x0364;n&#x017F;tlichen<lb/>
See's, der zwi&#x017F;chen den bewaldeten Ho&#x0364;hen durch den ma&#x0364;ch-<lb/>
tigen Steinwall zuru&#x0364;ckgehalten wird. Es i&#x017F;t eins der gro-<lb/>
ßen Re&#x017F;ervoirs, welche eine halbe Million Men&#x017F;chen in einer<lb/>
Entfernung von vier bis fu&#x0364;nf Meilen mit fri&#x017F;chem Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
ver&#x017F;ehen. Hier fangen die Wa&#x017F;&#x017F;erleitungen an, welche auf<lb/>
ihrem Zuge die Tha&#x0364;ler auf ma&#x0364;chtigen Bogen u&#x0364;ber&#x017F;chreiten,<lb/>
die &#x017F;eit Valens, Ju&#x017F;tinians, Severus und Suleimans des<lb/>
Großen Zeiten noch heute uner&#x017F;chu&#x0364;ttert da&#x017F;tehen.</p><lb/>
        <p>Das Neue&#x017F;te aus Kon&#x017F;tantinopel i&#x017F;t, daß <hi rendition="#g">Achmet</hi>,<lb/>
der Capudan-Pa&#x017F;cha, welcher bisher Mu&#x017F;chir der Garden<lb/>
war, eine Bru&#x0364;cke u&#x0364;ber den Hafen hat bauen la&#x017F;&#x017F;en, die<lb/>
er&#x017F;te, welche &#x017F;eit dem &#x017F;trengen Winter zu Kai&#x017F;er Theodo&#x017F;ius<lb/>
Zeiten Galata mit Kon&#x017F;tantinopel vereinte. Sie i&#x017F;t 637<lb/>
Schritte lang, 25 Schritte breit, und ein ganzer Wald der<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Ma&#x017F;tba&#x0364;ume i&#x017F;t darin ver&#x017F;enkt. Man konnte nun<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0087] dieſen Fluren. Jn dem Maaße, wie man ſich dem Schwar- zen Meere naͤhert, zeigen ſich die Huͤgel mehr und mehr mit Straͤuchern bedeckt. Bald kommt man in einen Wald von Ahorn- und Kaſtanienbaͤumen, wo tiefe Stille herrſcht; da findet man maͤchtige Staͤmme liegen, die der Sturm hingeſtreckt, und die, von Epheu uͤberdeckt, aufs Neue be- gruͤnt ſind; der wilde Wein ſteigt bis an die Gipfel der Baͤume empor, an welche nie eine Axt gelegt werden darf, denn an dieſem Walde ſetzen die Wolken das Trinkwaſſer fuͤr Konſtantinopel ab. Die Roſen- und Brombeerſtraͤucher beſchraͤnken den Wanderer auf einem ſchmalen Pfade in den Thaͤlern; nur hin und wieder ſtreift ein Schakal durch die Buͤſche, oder ein Adler oder Mahomedsvogel ſtuͤrzt er- ſchrocken und kraͤchzend von ſeinem Lager empor. Ploͤtzlich oͤffnen ſich die Zweige und Du ſtehſt vor einem rieſenhaf- ten Gemaͤuer, einem Pallaſt ohne Fenſter und Thuͤren; aber mit ſeltſamen Thuͤrmen, Zinnen und Spitzen, ganz mit Mar- mor bekleidet. Die Fluͤgel jener Waldſchloͤſſer lehnen ſich an die Thalwaͤnde, und wenn Du dieſe bis zum oberſten Rand des Gemaͤuers auf breiten Mamorſtufen erſteigſt, ſo erblickſt Du jenſeits den klaren Spiegel eines kuͤnſtlichen See's, der zwiſchen den bewaldeten Hoͤhen durch den maͤch- tigen Steinwall zuruͤckgehalten wird. Es iſt eins der gro- ßen Reſervoirs, welche eine halbe Million Menſchen in einer Entfernung von vier bis fuͤnf Meilen mit friſchem Waſſer verſehen. Hier fangen die Waſſerleitungen an, welche auf ihrem Zuge die Thaͤler auf maͤchtigen Bogen uͤberſchreiten, die ſeit Valens, Juſtinians, Severus und Suleimans des Großen Zeiten noch heute unerſchuͤttert daſtehen. Das Neueſte aus Konſtantinopel iſt, daß Achmet, der Capudan-Paſcha, welcher bisher Muſchir der Garden war, eine Bruͤcke uͤber den Hafen hat bauen laſſen, die erſte, welche ſeit dem ſtrengen Winter zu Kaiſer Theodoſius Zeiten Galata mit Konſtantinopel vereinte. Sie iſt 637 Schritte lang, 25 Schritte breit, und ein ganzer Wald der ſchoͤnſten Maſtbaͤume iſt darin verſenkt. Man konnte nun

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/87
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/87>, abgerufen am 24.11.2024.