Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

noch heute durch den weißen Anstrich die stolze Verheißung
I. H. S. (in hoc signo), aber quer darüber steht die Grund-
lehre des Jslam geschrieben: "Es ist kein Gott, als Gott".
Es liegt eine Lehre der Duldung in diesen verwischten Zü-
gen, und es scheint, als wenn der Himmel das Credo so
gut, als das Allah il Allah anhören wollte.

Eine der wichtigsten Angelegenheiten der ehrlichen Tür-
ken ist, was sie Kset etmek, wörtlich Laune machen, nen-
nen, d. h. an einem gemüthlichen Ort Kaffee trinken und
Taback rauchen. Einen solchen Ort par excellence fand
ich in dem Dorf, wo wir rasteten. Stelle Dir eine Pla-
tane vor, die ihre Riesenarme hundert Fuß weit fast wage-
recht ausstreckt, und unter deren dunkeln Schatten die näch-
sten Häuser ganz begraben sind. Den Fuß umgiebt eine
kleine steinerne Terrasse, unter welcher aus 27 Röhren das
Wasser armdick herausstürzt und einen starken Bach bildet.
Da sitzen die Türken nun mit untergeschlagenen Beinen
und -- schweigen.

15.
Zweite Reise nach den Dardanellen. -- Die Stein-
kugel und der jonische Fischerkahn.

Am 11. d. Mts. reisete ich mit einem österreichischen
Dampfschiff nach den Dardanellen ab, wohin Halil Pa-
scha
zu Lande über Adrianopel gegangen war. Es wur-
den einige Probeschüsse mit den großen Steinkanonen aus
Sultani-Hissar gethan. Am jenseitigen europäischen Ufer
lag ein kleines Kaik, welches man nicht bemerkt hatte;
nachdem die Ladung von mehr als 1 Ctr. sich entzündet,
schlug die vom Pulver geschwärzte ungeheure Kugel etwa
in der Mitte der Meerenge auf, und eine hohe, weißschäu-
mende Wassergarbe thürmte sich bei jedem neuen Ricochet
empor; der gewaltige Marmorklotz tanzte nun grade auf

noch heute durch den weißen Anſtrich die ſtolze Verheißung
I. H. S. (in hoc signo), aber quer daruͤber ſteht die Grund-
lehre des Jslam geſchrieben: „Es iſt kein Gott, als Gott“.
Es liegt eine Lehre der Duldung in dieſen verwiſchten Zuͤ-
gen, und es ſcheint, als wenn der Himmel das Credo ſo
gut, als das Allah il Allah anhoͤren wollte.

Eine der wichtigſten Angelegenheiten der ehrlichen Tuͤr-
ken iſt, was ſie Kset etmek, woͤrtlich Laune machen, nen-
nen, d. h. an einem gemuͤthlichen Ort Kaffee trinken und
Taback rauchen. Einen ſolchen Ort par excellence fand
ich in dem Dorf, wo wir raſteten. Stelle Dir eine Pla-
tane vor, die ihre Rieſenarme hundert Fuß weit faſt wage-
recht ausſtreckt, und unter deren dunkeln Schatten die naͤch-
ſten Haͤuſer ganz begraben ſind. Den Fuß umgiebt eine
kleine ſteinerne Terraſſe, unter welcher aus 27 Roͤhren das
Waſſer armdick herausſtuͤrzt und einen ſtarken Bach bildet.
Da ſitzen die Tuͤrken nun mit untergeſchlagenen Beinen
und — ſchweigen.

15.
Zweite Reiſe nach den Dardanellen. — Die Stein-
kugel und der joniſche Fiſcherkahn.

Am 11. d. Mts. reiſete ich mit einem oͤſterreichiſchen
Dampfſchiff nach den Dardanellen ab, wohin Halil Pa-
ſcha
zu Lande uͤber Adrianopel gegangen war. Es wur-
den einige Probeſchuͤſſe mit den großen Steinkanonen aus
Sultani-Hiſſar gethan. Am jenſeitigen europaͤiſchen Ufer
lag ein kleines Kaik, welches man nicht bemerkt hatte;
nachdem die Ladung von mehr als 1 Ctr. ſich entzuͤndet,
ſchlug die vom Pulver geſchwaͤrzte ungeheure Kugel etwa
in der Mitte der Meerenge auf, und eine hohe, weißſchaͤu-
mende Waſſergarbe thuͤrmte ſich bei jedem neuen Ricochet
empor; der gewaltige Marmorklotz tanzte nun grade auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0078" n="68"/>
noch heute durch den weißen An&#x017F;trich die &#x017F;tolze Verheißung<lb/><hi rendition="#aq">I. H. S. (in hoc signo),</hi> aber quer daru&#x0364;ber &#x017F;teht die Grund-<lb/>
lehre des Jslam ge&#x017F;chrieben: &#x201E;Es i&#x017F;t kein Gott, als Gott&#x201C;.<lb/>
Es liegt eine Lehre der Duldung in die&#x017F;en verwi&#x017F;chten Zu&#x0364;-<lb/>
gen, und es &#x017F;cheint, als wenn der Himmel das <hi rendition="#aq">Credo</hi> &#x017F;o<lb/>
gut, als das <hi rendition="#aq">Allah il Allah</hi> anho&#x0364;ren wollte.</p><lb/>
        <p>Eine der wichtig&#x017F;ten Angelegenheiten der ehrlichen Tu&#x0364;r-<lb/>
ken i&#x017F;t, was &#x017F;ie <hi rendition="#aq">Kset etmek</hi>, wo&#x0364;rtlich Laune machen, nen-<lb/>
nen, d. h. an einem gemu&#x0364;thlichen Ort Kaffee trinken und<lb/>
Taback rauchen. Einen &#x017F;olchen Ort <hi rendition="#aq">par excellence</hi> fand<lb/>
ich in dem Dorf, wo wir ra&#x017F;teten. Stelle Dir eine Pla-<lb/>
tane vor, die ihre Rie&#x017F;enarme hundert Fuß weit fa&#x017F;t wage-<lb/>
recht aus&#x017F;treckt, und unter deren dunkeln Schatten die na&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten Ha&#x0364;u&#x017F;er ganz begraben &#x017F;ind. Den Fuß umgiebt eine<lb/>
kleine &#x017F;teinerne Terra&#x017F;&#x017F;e, unter welcher aus 27 Ro&#x0364;hren das<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er armdick heraus&#x017F;tu&#x0364;rzt und einen &#x017F;tarken Bach bildet.<lb/>
Da &#x017F;itzen die Tu&#x0364;rken nun mit unterge&#x017F;chlagenen Beinen<lb/>
und &#x2014; &#x017F;chweigen.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>15.<lb/><hi rendition="#b">Zweite Rei&#x017F;e nach den Dardanellen. &#x2014; Die Stein-<lb/>
kugel und der joni&#x017F;che Fi&#x017F;cherkahn.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#et">Pera, den 19. Juli 1836.</hi> </dateline><lb/>
        <p>Am 11. d. Mts. rei&#x017F;ete ich mit einem o&#x0364;&#x017F;terreichi&#x017F;chen<lb/>
Dampf&#x017F;chiff nach den Dardanellen ab, wohin <hi rendition="#g">Halil Pa-<lb/>
&#x017F;cha</hi> zu Lande u&#x0364;ber Adrianopel gegangen war. Es wur-<lb/>
den einige Probe&#x017F;chu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e mit den großen Steinkanonen aus<lb/>
Sultani-Hi&#x017F;&#x017F;ar gethan. Am jen&#x017F;eitigen europa&#x0364;i&#x017F;chen Ufer<lb/>
lag ein kleines Kaik, welches man nicht bemerkt hatte;<lb/>
nachdem die Ladung von mehr als 1 Ctr. &#x017F;ich entzu&#x0364;ndet,<lb/>
&#x017F;chlug die vom Pulver ge&#x017F;chwa&#x0364;rzte ungeheure Kugel etwa<lb/>
in der Mitte der Meerenge auf, und eine hohe, weiß&#x017F;cha&#x0364;u-<lb/>
mende Wa&#x017F;&#x017F;ergarbe thu&#x0364;rmte &#x017F;ich bei jedem neuen Ricochet<lb/>
empor; der gewaltige Marmorklotz tanzte nun grade auf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0078] noch heute durch den weißen Anſtrich die ſtolze Verheißung I. H. S. (in hoc signo), aber quer daruͤber ſteht die Grund- lehre des Jslam geſchrieben: „Es iſt kein Gott, als Gott“. Es liegt eine Lehre der Duldung in dieſen verwiſchten Zuͤ- gen, und es ſcheint, als wenn der Himmel das Credo ſo gut, als das Allah il Allah anhoͤren wollte. Eine der wichtigſten Angelegenheiten der ehrlichen Tuͤr- ken iſt, was ſie Kset etmek, woͤrtlich Laune machen, nen- nen, d. h. an einem gemuͤthlichen Ort Kaffee trinken und Taback rauchen. Einen ſolchen Ort par excellence fand ich in dem Dorf, wo wir raſteten. Stelle Dir eine Pla- tane vor, die ihre Rieſenarme hundert Fuß weit faſt wage- recht ausſtreckt, und unter deren dunkeln Schatten die naͤch- ſten Haͤuſer ganz begraben ſind. Den Fuß umgiebt eine kleine ſteinerne Terraſſe, unter welcher aus 27 Roͤhren das Waſſer armdick herausſtuͤrzt und einen ſtarken Bach bildet. Da ſitzen die Tuͤrken nun mit untergeſchlagenen Beinen und — ſchweigen. 15. Zweite Reiſe nach den Dardanellen. — Die Stein- kugel und der joniſche Fiſcherkahn. Pera, den 19. Juli 1836. Am 11. d. Mts. reiſete ich mit einem oͤſterreichiſchen Dampfſchiff nach den Dardanellen ab, wohin Halil Pa- ſcha zu Lande uͤber Adrianopel gegangen war. Es wur- den einige Probeſchuͤſſe mit den großen Steinkanonen aus Sultani-Hiſſar gethan. Am jenſeitigen europaͤiſchen Ufer lag ein kleines Kaik, welches man nicht bemerkt hatte; nachdem die Ladung von mehr als 1 Ctr. ſich entzuͤndet, ſchlug die vom Pulver geſchwaͤrzte ungeheure Kugel etwa in der Mitte der Meerenge auf, und eine hohe, weißſchaͤu- mende Waſſergarbe thuͤrmte ſich bei jedem neuen Ricochet empor; der gewaltige Marmorklotz tanzte nun grade auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/78
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/78>, abgerufen am 24.11.2024.