Dieser Punkt ist einer der schönsten, die ich gesehen; der klare Meerspiegel endet hier zwischen hohen und steilen Ge- birgen, die nur gerade Platz für das Städtchen und die Olivenwälder lassen. Die Dämmerung ist in diesem Lande außerordentlich kurz, und es war Nacht, ehe wir das Thor des Städtchens erreichten, aber was für eine Nacht! -- Obwohl es gerade Neumond war, so unterschied man doch die Gegenstände aus großer Ferne, und der Abendstern leuch- tet hier so hell, daß sein Licht die Objekte Schatten werfen läßt. -- Schon um 3 Uhr Morgens saßen wir wieder im Sattel und ritten desselben Weges, den einst Walther von Habenichts mit 12,000 Kreuzfahrern gezogen, durch eine Thalsenkung nach Osten zwischen hohen Bergen. Diese waren mit Olivenbäumen besetzt und die blühenden Büsche ganz mit Nachtigallen angefüllt. Mit Sonnenuntergang erreichten wir einen großen ausgedehnten See. Die rie- senhaften Mauern und Thürme am entgegengesetzten Ende schützten einst eine mächtige Stadt, um die man sich in den Kreuzzügen gestritten. Heute umschließen sie nur ein paar elende Hütten und Schutthaufen, die vor Jahrhun- derten Nicäa waren. Dort war es, wo eine Versammlung von hundert gelehrten Bischöfen das Mysterium der Drei- einigkeit erklärte, und beschloß, diejenigen zu verbrennen, die ihrer Meinung nicht wären. Was würden die stolzen Prälaten dazu gesagt haben, hätte man ihnen prophezeiht, daß ihre reiche mächtige Stadt ein Trümmerhaufen, ihre Kathedrale die Ruine einer türkischen Moschee werden sollte, daß das Reich der griechischen Kaiser erlöschen, daß nicht nur ihre Auslegung, sondern selbst ihr Glaube in diesen Ländern verschwinden, und hunderte von Meilen rings um- her und durch hunderte von Jahren nur der Name des Kameeltreibers von Medina genannt werden würde.
Die Moslems, welche alle Bilder verabscheuen, haben überall die Malerei der griechischen Kirchen weiß übertüncht. Jn der Kathedrale von Nicäa, wo das berühmte Concilium gehalten wurde, schimmert an der Stelle des Hochaltars
Dieſer Punkt iſt einer der ſchoͤnſten, die ich geſehen; der klare Meerſpiegel endet hier zwiſchen hohen und ſteilen Ge- birgen, die nur gerade Platz fuͤr das Staͤdtchen und die Olivenwaͤlder laſſen. Die Daͤmmerung iſt in dieſem Lande außerordentlich kurz, und es war Nacht, ehe wir das Thor des Staͤdtchens erreichten, aber was fuͤr eine Nacht! — Obwohl es gerade Neumond war, ſo unterſchied man doch die Gegenſtaͤnde aus großer Ferne, und der Abendſtern leuch- tet hier ſo hell, daß ſein Licht die Objekte Schatten werfen laͤßt. — Schon um 3 Uhr Morgens ſaßen wir wieder im Sattel und ritten deſſelben Weges, den einſt Walther von Habenichts mit 12,000 Kreuzfahrern gezogen, durch eine Thalſenkung nach Oſten zwiſchen hohen Bergen. Dieſe waren mit Olivenbaͤumen beſetzt und die bluͤhenden Buͤſche ganz mit Nachtigallen angefuͤllt. Mit Sonnenuntergang erreichten wir einen großen ausgedehnten See. Die rie- ſenhaften Mauern und Thuͤrme am entgegengeſetzten Ende ſchuͤtzten einſt eine maͤchtige Stadt, um die man ſich in den Kreuzzuͤgen geſtritten. Heute umſchließen ſie nur ein paar elende Huͤtten und Schutthaufen, die vor Jahrhun- derten Nicaͤa waren. Dort war es, wo eine Verſammlung von hundert gelehrten Biſchoͤfen das Myſterium der Drei- einigkeit erklaͤrte, und beſchloß, diejenigen zu verbrennen, die ihrer Meinung nicht waͤren. Was wuͤrden die ſtolzen Praͤlaten dazu geſagt haben, haͤtte man ihnen prophezeiht, daß ihre reiche maͤchtige Stadt ein Truͤmmerhaufen, ihre Kathedrale die Ruine einer tuͤrkiſchen Moſchee werden ſollte, daß das Reich der griechiſchen Kaiſer erloͤſchen, daß nicht nur ihre Auslegung, ſondern ſelbſt ihr Glaube in dieſen Laͤndern verſchwinden, und hunderte von Meilen rings um- her und durch hunderte von Jahren nur der Name des Kameeltreibers von Medina genannt werden wuͤrde.
Die Moslems, welche alle Bilder verabſcheuen, haben uͤberall die Malerei der griechiſchen Kirchen weiß uͤbertuͤncht. Jn der Kathedrale von Nicaͤa, wo das beruͤhmte Concilium gehalten wurde, ſchimmert an der Stelle des Hochaltars
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0077"n="67"/>
Dieſer Punkt iſt einer der ſchoͤnſten, die ich geſehen; der<lb/>
klare Meerſpiegel endet hier zwiſchen hohen und ſteilen Ge-<lb/>
birgen, die nur gerade Platz fuͤr das Staͤdtchen und die<lb/>
Olivenwaͤlder laſſen. Die Daͤmmerung iſt in dieſem Lande<lb/>
außerordentlich kurz, und es war Nacht, ehe wir das Thor<lb/>
des Staͤdtchens erreichten, aber was fuͤr eine Nacht! —<lb/>
Obwohl es gerade Neumond war, ſo unterſchied man doch<lb/>
die Gegenſtaͤnde aus großer Ferne, und der Abendſtern leuch-<lb/>
tet hier ſo hell, daß ſein Licht die Objekte Schatten werfen<lb/>
laͤßt. — Schon um 3 Uhr Morgens ſaßen wir wieder im<lb/>
Sattel und ritten deſſelben Weges, den einſt Walther von<lb/>
Habenichts mit 12,000 Kreuzfahrern gezogen, durch eine<lb/>
Thalſenkung nach Oſten zwiſchen hohen Bergen. Dieſe<lb/>
waren mit Olivenbaͤumen beſetzt und die bluͤhenden Buͤſche<lb/>
ganz mit Nachtigallen angefuͤllt. Mit Sonnenuntergang<lb/>
erreichten wir einen großen ausgedehnten See. Die rie-<lb/>ſenhaften Mauern und Thuͤrme am entgegengeſetzten Ende<lb/>ſchuͤtzten einſt eine maͤchtige Stadt, um die man ſich in<lb/>
den Kreuzzuͤgen geſtritten. Heute umſchließen ſie nur ein<lb/>
paar elende Huͤtten und Schutthaufen, die vor Jahrhun-<lb/>
derten Nicaͤa waren. Dort war es, wo eine Verſammlung<lb/>
von hundert gelehrten Biſchoͤfen das Myſterium der Drei-<lb/>
einigkeit erklaͤrte, und beſchloß, diejenigen zu verbrennen,<lb/>
die ihrer Meinung nicht waͤren. Was wuͤrden die ſtolzen<lb/>
Praͤlaten dazu geſagt haben, haͤtte man ihnen prophezeiht,<lb/>
daß ihre reiche maͤchtige Stadt ein Truͤmmerhaufen, ihre<lb/>
Kathedrale die Ruine einer tuͤrkiſchen Moſchee werden ſollte,<lb/>
daß das Reich der griechiſchen Kaiſer erloͤſchen, daß nicht<lb/>
nur ihre Auslegung, ſondern ſelbſt ihr Glaube in dieſen<lb/>
Laͤndern verſchwinden, und hunderte von Meilen rings um-<lb/>
her und durch hunderte von Jahren nur der Name des<lb/>
Kameeltreibers von Medina genannt werden wuͤrde.</p><lb/><p>Die Moslems, welche alle Bilder verabſcheuen, haben<lb/>
uͤberall die Malerei der griechiſchen Kirchen weiß uͤbertuͤncht.<lb/>
Jn der Kathedrale von Nicaͤa, wo das beruͤhmte Concilium<lb/>
gehalten wurde, ſchimmert an der Stelle des Hochaltars<lb/></p></div></body></text></TEI>
[67/0077]
Dieſer Punkt iſt einer der ſchoͤnſten, die ich geſehen; der
klare Meerſpiegel endet hier zwiſchen hohen und ſteilen Ge-
birgen, die nur gerade Platz fuͤr das Staͤdtchen und die
Olivenwaͤlder laſſen. Die Daͤmmerung iſt in dieſem Lande
außerordentlich kurz, und es war Nacht, ehe wir das Thor
des Staͤdtchens erreichten, aber was fuͤr eine Nacht! —
Obwohl es gerade Neumond war, ſo unterſchied man doch
die Gegenſtaͤnde aus großer Ferne, und der Abendſtern leuch-
tet hier ſo hell, daß ſein Licht die Objekte Schatten werfen
laͤßt. — Schon um 3 Uhr Morgens ſaßen wir wieder im
Sattel und ritten deſſelben Weges, den einſt Walther von
Habenichts mit 12,000 Kreuzfahrern gezogen, durch eine
Thalſenkung nach Oſten zwiſchen hohen Bergen. Dieſe
waren mit Olivenbaͤumen beſetzt und die bluͤhenden Buͤſche
ganz mit Nachtigallen angefuͤllt. Mit Sonnenuntergang
erreichten wir einen großen ausgedehnten See. Die rie-
ſenhaften Mauern und Thuͤrme am entgegengeſetzten Ende
ſchuͤtzten einſt eine maͤchtige Stadt, um die man ſich in
den Kreuzzuͤgen geſtritten. Heute umſchließen ſie nur ein
paar elende Huͤtten und Schutthaufen, die vor Jahrhun-
derten Nicaͤa waren. Dort war es, wo eine Verſammlung
von hundert gelehrten Biſchoͤfen das Myſterium der Drei-
einigkeit erklaͤrte, und beſchloß, diejenigen zu verbrennen,
die ihrer Meinung nicht waͤren. Was wuͤrden die ſtolzen
Praͤlaten dazu geſagt haben, haͤtte man ihnen prophezeiht,
daß ihre reiche maͤchtige Stadt ein Truͤmmerhaufen, ihre
Kathedrale die Ruine einer tuͤrkiſchen Moſchee werden ſollte,
daß das Reich der griechiſchen Kaiſer erloͤſchen, daß nicht
nur ihre Auslegung, ſondern ſelbſt ihr Glaube in dieſen
Laͤndern verſchwinden, und hunderte von Meilen rings um-
her und durch hunderte von Jahren nur der Name des
Kameeltreibers von Medina genannt werden wuͤrde.
Die Moslems, welche alle Bilder verabſcheuen, haben
uͤberall die Malerei der griechiſchen Kirchen weiß uͤbertuͤncht.
Jn der Kathedrale von Nicaͤa, wo das beruͤhmte Concilium
gehalten wurde, ſchimmert an der Stelle des Hochaltars
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/77>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.