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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Wie bei allen türkischen Städten, so auch hier ver-
schwindet das prächtige Bild, sobald man in die Stadt
hinein tritt. Der kleinste deutsche Marktflecken übertrifft
Konstantinopel, Adrianopel und Brussa an Zierlichkeit der
Wohnungen, und noch mehr an Bequemlichkeit. Großartig
sind nur die Moscheen und die Hanns oder Caravanserajs,
die Fontainen und öffentlichen Bäder. Jn den ältern Zei-
ten osmanischer Monarchie durfte kein Großherr eine Mo-
schee erbauen, bevor er nicht eine Schlacht gegen die Un-
gläubigen gewonnen. Die Moscheen in Brussa stehen den
später erbauten an Größe und Schönheit nach, sie interes-
siren aber durch geschichtliche Erinnerungen, durch Namen
wie Orchan, Suleiman, Murad, kurz alle die Heroen der
Siegesperiode des Jslam. Am ausgezeichnetsten erschien
mir durch ihre Bauart die Moschee Bajazeths, türkisch
Bajasid, den die Türken Jlderim oder den Blitzstrahl nen-
nen. Das Denkmal dieses mächtigen Eroberers, der besiegt
und nach der Erzählung in einem Käfig endete, steht ein-
sam unter mächtigen Cypressen. Die größte unter den Mo-
scheen ist eine vormals christliche Kathedrale; sie bekömmt
ihr Licht von oben, indem das mittelste Gewölbe ganz of-
fen ist; der schöne asiatische Sternhimmel selbst hat sich
zur Kuppel über diesen Tempel gewölbt. Unter der mit
einem Drahtgitter geschlossenen Oeffnung befindet sich ein
weites Bassin, in welchem ein Springbrunnen sprudelt und
welches zugleich das Regenwasser aufnimmt. Jch will nicht
behaupten, daß selbst die größten Moscheen, z. B. Sultan
Selim in Adrianopel, oder Suleimanieh in Konstantinopel,
denselben Ehrfurcht erweckenden Eindruck machen, wie der
Stephan zu Wien, der Freiburger oder der Straßburger
Münster, aber jede, selbst die kleinste Moschee ist schön.
Nichts Malerisches, als die halbkugelförmige mit Blei ge-
deckte Kuppel und die schlanken weißen Minarehs, welche
sich über mächtige Platanen und Cypressen erheben. Als
die Osmanen die Provinzen des oströmischen Reichs er-
oberten, haben sie die griechische Bauart der Kirchen bei-

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Wie bei allen tuͤrkiſchen Staͤdten, ſo auch hier ver-
ſchwindet das praͤchtige Bild, ſobald man in die Stadt
hinein tritt. Der kleinſte deutſche Marktflecken uͤbertrifft
Konſtantinopel, Adrianopel und Bruſſa an Zierlichkeit der
Wohnungen, und noch mehr an Bequemlichkeit. Großartig
ſind nur die Moſcheen und die Hanns oder Caravanſerajs,
die Fontainen und oͤffentlichen Baͤder. Jn den aͤltern Zei-
ten osmaniſcher Monarchie durfte kein Großherr eine Mo-
ſchee erbauen, bevor er nicht eine Schlacht gegen die Un-
glaͤubigen gewonnen. Die Moſcheen in Bruſſa ſtehen den
ſpaͤter erbauten an Groͤße und Schoͤnheit nach, ſie intereſ-
ſiren aber durch geſchichtliche Erinnerungen, durch Namen
wie Orchan, Suleiman, Murad, kurz alle die Heroen der
Siegesperiode des Jslam. Am ausgezeichnetſten erſchien
mir durch ihre Bauart die Moſchee Bajazeths, tuͤrkiſch
Bajaſid, den die Tuͤrken Jlderim oder den Blitzſtrahl nen-
nen. Das Denkmal dieſes maͤchtigen Eroberers, der beſiegt
und nach der Erzaͤhlung in einem Kaͤfig endete, ſteht ein-
ſam unter maͤchtigen Cypreſſen. Die groͤßte unter den Mo-
ſcheen iſt eine vormals chriſtliche Kathedrale; ſie bekoͤmmt
ihr Licht von oben, indem das mittelſte Gewoͤlbe ganz of-
fen iſt; der ſchoͤne aſiatiſche Sternhimmel ſelbſt hat ſich
zur Kuppel uͤber dieſen Tempel gewoͤlbt. Unter der mit
einem Drahtgitter geſchloſſenen Oeffnung befindet ſich ein
weites Baſſin, in welchem ein Springbrunnen ſprudelt und
welches zugleich das Regenwaſſer aufnimmt. Jch will nicht
behaupten, daß ſelbſt die groͤßten Moſcheen, z. B. Sultan
Selim in Adrianopel, oder Suleimanieh in Konſtantinopel,
denſelben Ehrfurcht erweckenden Eindruck machen, wie der
Stephan zu Wien, der Freiburger oder der Straßburger
Muͤnſter, aber jede, ſelbſt die kleinſte Moſchee iſt ſchoͤn.
Nichts Maleriſches, als die halbkugelfoͤrmige mit Blei ge-
deckte Kuppel und die ſchlanken weißen Minarehs, welche
ſich uͤber maͤchtige Platanen und Cypreſſen erheben. Als
die Osmanen die Provinzen des oſtroͤmiſchen Reichs er-
oberten, haben ſie die griechiſche Bauart der Kirchen bei-

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[65/0075] Wie bei allen tuͤrkiſchen Staͤdten, ſo auch hier ver- ſchwindet das praͤchtige Bild, ſobald man in die Stadt hinein tritt. Der kleinſte deutſche Marktflecken uͤbertrifft Konſtantinopel, Adrianopel und Bruſſa an Zierlichkeit der Wohnungen, und noch mehr an Bequemlichkeit. Großartig ſind nur die Moſcheen und die Hanns oder Caravanſerajs, die Fontainen und oͤffentlichen Baͤder. Jn den aͤltern Zei- ten osmaniſcher Monarchie durfte kein Großherr eine Mo- ſchee erbauen, bevor er nicht eine Schlacht gegen die Un- glaͤubigen gewonnen. Die Moſcheen in Bruſſa ſtehen den ſpaͤter erbauten an Groͤße und Schoͤnheit nach, ſie intereſ- ſiren aber durch geſchichtliche Erinnerungen, durch Namen wie Orchan, Suleiman, Murad, kurz alle die Heroen der Siegesperiode des Jslam. Am ausgezeichnetſten erſchien mir durch ihre Bauart die Moſchee Bajazeths, tuͤrkiſch Bajaſid, den die Tuͤrken Jlderim oder den Blitzſtrahl nen- nen. Das Denkmal dieſes maͤchtigen Eroberers, der beſiegt und nach der Erzaͤhlung in einem Kaͤfig endete, ſteht ein- ſam unter maͤchtigen Cypreſſen. Die groͤßte unter den Mo- ſcheen iſt eine vormals chriſtliche Kathedrale; ſie bekoͤmmt ihr Licht von oben, indem das mittelſte Gewoͤlbe ganz of- fen iſt; der ſchoͤne aſiatiſche Sternhimmel ſelbſt hat ſich zur Kuppel uͤber dieſen Tempel gewoͤlbt. Unter der mit einem Drahtgitter geſchloſſenen Oeffnung befindet ſich ein weites Baſſin, in welchem ein Springbrunnen ſprudelt und welches zugleich das Regenwaſſer aufnimmt. Jch will nicht behaupten, daß ſelbſt die groͤßten Moſcheen, z. B. Sultan Selim in Adrianopel, oder Suleimanieh in Konſtantinopel, denſelben Ehrfurcht erweckenden Eindruck machen, wie der Stephan zu Wien, der Freiburger oder der Straßburger Muͤnſter, aber jede, ſelbſt die kleinſte Moſchee iſt ſchoͤn. Nichts Maleriſches, als die halbkugelfoͤrmige mit Blei ge- deckte Kuppel und die ſchlanken weißen Minarehs, welche ſich uͤber maͤchtige Platanen und Cypreſſen erheben. Als die Osmanen die Provinzen des oſtroͤmiſchen Reichs er- oberten, haben ſie die griechiſche Bauart der Kirchen bei- 5

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/75>, abgerufen am 01.05.2024.