Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Herren, verschmitzten Dienern und wunderbaren Ereignissen
erzählt, oft aber auch die politischen Verhältnisse des Au-
genblicks mit in sein Mährchen hineinzieht und manchmal
großen Einfluß auf die Menge übt. Obwohl ich keine
Silbe verstand, so hörte und sah ich dem Mann doch mit
Vergnügen eine Weile zu. Bald sprach er wie ein vorneh-
mer Effendi, bald als Badewärter; dann ahmte er die kei-
fende Stimme einer Matrone, den Dialekt eines Armeniers,
eines Franken, eines Juden nach. Sein Publikum, das
dankbarste, das man haben kann, folgte mit der größten
Aufmerksamkeit rauchend und lachend dem Vortrag. Als
der Metach an die interessanteste Stelle gekommen, hielt er
inne und ging mit einer zinnernen Tasse umher, in welche
Jedermann einen Para warf, um sich das Ende der Ge-
schichte zu erkaufen.

13.
Der Frühling am Bosphor. -- Türkisches diploma-
tisches Mittagsessen.

Seit einigen Tagen ist es plötzlich so kalt geworden,
daß wir einheizen müssen, und erst mit der Sonnenfinster-
niß am 15. Mai hat sich der Frühling aufs Neue einge-
stellt. Die Nähe des Schwarzen Meeres macht, daß jeder
Nordwind bis zum Juni Kälte mit sich bringt. Höchst
auffallend ist die Temperatur-Verschiedenheit zwischen Pera
und Bujukdere. Obwohl dieser Sommeraufenthalt der Ge-
sandten nur drei Meilen von hier entfernt ist, so herrscht
doch stets ein Unterschied von mehreren Graden, und oft
wenn hier Südwind weht, hat man dort Nordwind. Um
so angenehmer ist der Aufenthalt von Bujukdere in der
Sommerhitze. Merkwürdig ist mir auch die Langsamkeit
gewesen, mit welcher die Vegetation sich hier entwickelt;
die Pflanzen scheinen zu wissen, daß sie sich nicht zu beei-

Herren, verſchmitzten Dienern und wunderbaren Ereigniſſen
erzaͤhlt, oft aber auch die politiſchen Verhaͤltniſſe des Au-
genblicks mit in ſein Maͤhrchen hineinzieht und manchmal
großen Einfluß auf die Menge uͤbt. Obwohl ich keine
Silbe verſtand, ſo hoͤrte und ſah ich dem Mann doch mit
Vergnuͤgen eine Weile zu. Bald ſprach er wie ein vorneh-
mer Effendi, bald als Badewaͤrter; dann ahmte er die kei-
fende Stimme einer Matrone, den Dialekt eines Armeniers,
eines Franken, eines Juden nach. Sein Publikum, das
dankbarſte, das man haben kann, folgte mit der groͤßten
Aufmerkſamkeit rauchend und lachend dem Vortrag. Als
der Metach an die intereſſanteſte Stelle gekommen, hielt er
inne und ging mit einer zinnernen Taſſe umher, in welche
Jedermann einen Para warf, um ſich das Ende der Ge-
ſchichte zu erkaufen.

13.
Der Fruͤhling am Bosphor. — Tuͤrkiſches diploma-
tiſches Mittagseſſen.

Seit einigen Tagen iſt es ploͤtzlich ſo kalt geworden,
daß wir einheizen muͤſſen, und erſt mit der Sonnenfinſter-
niß am 15. Mai hat ſich der Fruͤhling aufs Neue einge-
ſtellt. Die Naͤhe des Schwarzen Meeres macht, daß jeder
Nordwind bis zum Juni Kaͤlte mit ſich bringt. Hoͤchſt
auffallend iſt die Temperatur-Verſchiedenheit zwiſchen Pera
und Bujukdere. Obwohl dieſer Sommeraufenthalt der Ge-
ſandten nur drei Meilen von hier entfernt iſt, ſo herrſcht
doch ſtets ein Unterſchied von mehreren Graden, und oft
wenn hier Suͤdwind weht, hat man dort Nordwind. Um
ſo angenehmer iſt der Aufenthalt von Bujukdere in der
Sommerhitze. Merkwuͤrdig iſt mir auch die Langſamkeit
geweſen, mit welcher die Vegetation ſich hier entwickelt;
die Pflanzen ſcheinen zu wiſſen, daß ſie ſich nicht zu beei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0070" n="60"/>
Herren, ver&#x017F;chmitzten Dienern und wunderbaren Ereigni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
erza&#x0364;hlt, oft aber auch die politi&#x017F;chen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e des Au-<lb/>
genblicks mit in &#x017F;ein Ma&#x0364;hrchen hineinzieht und manchmal<lb/>
großen Einfluß auf die Menge u&#x0364;bt. Obwohl ich keine<lb/>
Silbe ver&#x017F;tand, &#x017F;o ho&#x0364;rte und &#x017F;ah ich dem Mann doch mit<lb/>
Vergnu&#x0364;gen eine Weile zu. Bald &#x017F;prach er wie ein vorneh-<lb/>
mer Effendi, bald als Badewa&#x0364;rter; dann ahmte er die kei-<lb/>
fende Stimme einer Matrone, den Dialekt eines Armeniers,<lb/>
eines Franken, eines Juden nach. Sein Publikum, das<lb/>
dankbar&#x017F;te, das man haben kann, folgte mit der gro&#x0364;ßten<lb/>
Aufmerk&#x017F;amkeit rauchend und lachend dem Vortrag. Als<lb/>
der Metach an die intere&#x017F;&#x017F;ante&#x017F;te Stelle gekommen, hielt er<lb/>
inne und ging mit einer zinnernen Ta&#x017F;&#x017F;e umher, in welche<lb/>
Jedermann einen Para warf, um &#x017F;ich das Ende der Ge-<lb/>
&#x017F;chichte zu erkaufen.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>13.<lb/><hi rendition="#b">Der Fru&#x0364;hling am Bosphor. &#x2014; Tu&#x0364;rki&#x017F;ches diploma-<lb/>
ti&#x017F;ches Mittagse&#x017F;&#x017F;en.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#et">Pera, den 20. Mai 1836.</hi> </dateline><lb/>
        <p>Seit einigen Tagen i&#x017F;t es plo&#x0364;tzlich &#x017F;o kalt geworden,<lb/>
daß wir einheizen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und er&#x017F;t mit der Sonnenfin&#x017F;ter-<lb/>
niß am 15. Mai hat &#x017F;ich der Fru&#x0364;hling aufs Neue einge-<lb/>
&#x017F;tellt. Die Na&#x0364;he des Schwarzen Meeres macht, daß jeder<lb/>
Nordwind bis zum Juni Ka&#x0364;lte mit &#x017F;ich bringt. Ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
auffallend i&#x017F;t die Temperatur-Ver&#x017F;chiedenheit zwi&#x017F;chen Pera<lb/>
und Bujukdere. Obwohl die&#x017F;er Sommeraufenthalt der Ge-<lb/>
&#x017F;andten nur drei Meilen von hier entfernt i&#x017F;t, &#x017F;o herr&#x017F;cht<lb/>
doch &#x017F;tets ein Unter&#x017F;chied von mehreren Graden, und oft<lb/>
wenn hier Su&#x0364;dwind weht, hat man dort Nordwind. Um<lb/>
&#x017F;o angenehmer i&#x017F;t der Aufenthalt von Bujukdere in der<lb/>
Sommerhitze. Merkwu&#x0364;rdig i&#x017F;t mir auch die Lang&#x017F;amkeit<lb/>
gewe&#x017F;en, mit welcher die Vegetation &#x017F;ich hier entwickelt;<lb/>
die Pflanzen &#x017F;cheinen zu wi&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht zu beei-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0070] Herren, verſchmitzten Dienern und wunderbaren Ereigniſſen erzaͤhlt, oft aber auch die politiſchen Verhaͤltniſſe des Au- genblicks mit in ſein Maͤhrchen hineinzieht und manchmal großen Einfluß auf die Menge uͤbt. Obwohl ich keine Silbe verſtand, ſo hoͤrte und ſah ich dem Mann doch mit Vergnuͤgen eine Weile zu. Bald ſprach er wie ein vorneh- mer Effendi, bald als Badewaͤrter; dann ahmte er die kei- fende Stimme einer Matrone, den Dialekt eines Armeniers, eines Franken, eines Juden nach. Sein Publikum, das dankbarſte, das man haben kann, folgte mit der groͤßten Aufmerkſamkeit rauchend und lachend dem Vortrag. Als der Metach an die intereſſanteſte Stelle gekommen, hielt er inne und ging mit einer zinnernen Taſſe umher, in welche Jedermann einen Para warf, um ſich das Ende der Ge- ſchichte zu erkaufen. 13. Der Fruͤhling am Bosphor. — Tuͤrkiſches diploma- tiſches Mittagseſſen. Pera, den 20. Mai 1836. Seit einigen Tagen iſt es ploͤtzlich ſo kalt geworden, daß wir einheizen muͤſſen, und erſt mit der Sonnenfinſter- niß am 15. Mai hat ſich der Fruͤhling aufs Neue einge- ſtellt. Die Naͤhe des Schwarzen Meeres macht, daß jeder Nordwind bis zum Juni Kaͤlte mit ſich bringt. Hoͤchſt auffallend iſt die Temperatur-Verſchiedenheit zwiſchen Pera und Bujukdere. Obwohl dieſer Sommeraufenthalt der Ge- ſandten nur drei Meilen von hier entfernt iſt, ſo herrſcht doch ſtets ein Unterſchied von mehreren Graden, und oft wenn hier Suͤdwind weht, hat man dort Nordwind. Um ſo angenehmer iſt der Aufenthalt von Bujukdere in der Sommerhitze. Merkwuͤrdig iſt mir auch die Langſamkeit geweſen, mit welcher die Vegetation ſich hier entwickelt; die Pflanzen ſcheinen zu wiſſen, daß ſie ſich nicht zu beei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/70
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/70>, abgerufen am 02.05.2024.