gebundener Koran, dann folgten große silberne Sessel, Feuer- becken, Kisten und Kasten mit Geschmeide, goldene Vogel- bauer, und wer weiß, was sonst noch für Geräthe. Manche von diesen Stücken mögen aber wohl im Stillen in den Schatz zurückkehren, und das nächstemal, wo eine Prinzes- sin verheirathet wird, defiliren sie wieder.
Heute wurde die Prinzessin ihrem Gemahl, der sie bis jetzt noch nicht gesehen, übergeben. Voraus ritt Cavalle- rie, dann die sämmtlichen Beamten des Palais, die sämmt- lichen Pascha's, darauf der Mufti und mein Gönner, der Seraskier; hiernach folgten die beiden Söhne des Groß- herrn in einem offenen Wagen, dann der Kislaw Aya und dreißig Verschnittene, endlich in einer prachtvollen, ganz verschlossenen Kutsche die Braut. Die Kutsche nebst sechs braunen Hengsten ist ein Geschenk des russischen Kaisers. Jhr folgten einige 40 Wagen mit Sclavinnen. Der Zug bewegte sich wohl eine Meile weit zwischen lauter Men- schen fort. Man sah sehr viel schöne Pferde.
Das schönste Fest feiert jetzt jedoch der Frühling. Seit sechs Wochen haben wir ununterbrochen das schönste Wet- ter, alle Bäume stehen in Blüthe; die riesenhaften Plata- nen, welche man hier findet, breiten schon ihr Laub aus, und die Mandelbäume haben mit rothen Blüthen die Erde rings überstreut. Jch benutze auch die Zeit, die mir übrig bleibt, zu Pferde und zu Fuß in der Umgegend umherzu- streifen. Vorgestern trat ich in ein türkisches Kaffeehaus; in einem kleinen Garten, über dessen Mauern hinweg man eine prachtvolle Aussicht auf den Bosphorus und die asia- tische Küste hat, saßen mehr als hundert Männer auf nie- drigen Rohrschemeln und rauchten das Nargileh oder die Wasserpfeife. Alle hatten der schönen Gegend den Rücken zugewendet und horchten aufmerksam nach einem stattlichen Mann, der in der Mitte des Gartens stand und mit aus- drucksvollen Gebehrden einen Vortrag hielt. Es war ein berühmter Metach oder öffentlicher Erzähler, welcher Ge- schichten, wie die in tausend und eine Nacht, von dummen
gebundener Koran, dann folgten große ſilberne Seſſel, Feuer- becken, Kiſten und Kaſten mit Geſchmeide, goldene Vogel- bauer, und wer weiß, was ſonſt noch fuͤr Geraͤthe. Manche von dieſen Stuͤcken moͤgen aber wohl im Stillen in den Schatz zuruͤckkehren, und das naͤchſtemal, wo eine Prinzeſ- ſin verheirathet wird, defiliren ſie wieder.
Heute wurde die Prinzeſſin ihrem Gemahl, der ſie bis jetzt noch nicht geſehen, uͤbergeben. Voraus ritt Cavalle- rie, dann die ſaͤmmtlichen Beamten des Palais, die ſaͤmmt- lichen Paſcha's, darauf der Mufti und mein Goͤnner, der Seraskier; hiernach folgten die beiden Soͤhne des Groß- herrn in einem offenen Wagen, dann der Kislaw Aya und dreißig Verſchnittene, endlich in einer prachtvollen, ganz verſchloſſenen Kutſche die Braut. Die Kutſche nebſt ſechs braunen Hengſten iſt ein Geſchenk des ruſſiſchen Kaiſers. Jhr folgten einige 40 Wagen mit Sclavinnen. Der Zug bewegte ſich wohl eine Meile weit zwiſchen lauter Men- ſchen fort. Man ſah ſehr viel ſchoͤne Pferde.
Das ſchoͤnſte Feſt feiert jetzt jedoch der Fruͤhling. Seit ſechs Wochen haben wir ununterbrochen das ſchoͤnſte Wet- ter, alle Baͤume ſtehen in Bluͤthe; die rieſenhaften Plata- nen, welche man hier findet, breiten ſchon ihr Laub aus, und die Mandelbaͤume haben mit rothen Bluͤthen die Erde rings uͤberſtreut. Jch benutze auch die Zeit, die mir uͤbrig bleibt, zu Pferde und zu Fuß in der Umgegend umherzu- ſtreifen. Vorgeſtern trat ich in ein tuͤrkiſches Kaffeehaus; in einem kleinen Garten, uͤber deſſen Mauern hinweg man eine prachtvolle Ausſicht auf den Bosphorus und die aſia- tiſche Kuͤſte hat, ſaßen mehr als hundert Maͤnner auf nie- drigen Rohrſchemeln und rauchten das Nargileh oder die Waſſerpfeife. Alle hatten der ſchoͤnen Gegend den Ruͤcken zugewendet und horchten aufmerkſam nach einem ſtattlichen Mann, der in der Mitte des Gartens ſtand und mit aus- drucksvollen Gebehrden einen Vortrag hielt. Es war ein beruͤhmter Metach oder oͤffentlicher Erzaͤhler, welcher Ge- ſchichten, wie die in tauſend und eine Nacht, von dummen
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gebundener Koran, dann folgten große ſilberne Seſſel, Feuer-
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bauer, und wer weiß, was ſonſt noch fuͤr Geraͤthe. Manche
von dieſen Stuͤcken moͤgen aber wohl im Stillen in den
Schatz zuruͤckkehren, und das naͤchſtemal, wo eine Prinzeſ-
ſin verheirathet wird, defiliren ſie wieder.
Heute wurde die Prinzeſſin ihrem Gemahl, der ſie bis
jetzt noch nicht geſehen, uͤbergeben. Voraus ritt Cavalle-
rie, dann die ſaͤmmtlichen Beamten des Palais, die ſaͤmmt-
lichen Paſcha's, darauf der Mufti und mein Goͤnner, der
Seraskier; hiernach folgten die beiden Soͤhne des Groß-
herrn in einem offenen Wagen, dann der Kislaw Aya und
dreißig Verſchnittene, endlich in einer prachtvollen, ganz
verſchloſſenen Kutſche die Braut. Die Kutſche nebſt ſechs
braunen Hengſten iſt ein Geſchenk des ruſſiſchen Kaiſers.
Jhr folgten einige 40 Wagen mit Sclavinnen. Der Zug
bewegte ſich wohl eine Meile weit zwiſchen lauter Men-
ſchen fort. Man ſah ſehr viel ſchoͤne Pferde.
Das ſchoͤnſte Feſt feiert jetzt jedoch der Fruͤhling. Seit
ſechs Wochen haben wir ununterbrochen das ſchoͤnſte Wet-
ter, alle Baͤume ſtehen in Bluͤthe; die rieſenhaften Plata-
nen, welche man hier findet, breiten ſchon ihr Laub aus,
und die Mandelbaͤume haben mit rothen Bluͤthen die Erde
rings uͤberſtreut. Jch benutze auch die Zeit, die mir uͤbrig
bleibt, zu Pferde und zu Fuß in der Umgegend umherzu-
ſtreifen. Vorgeſtern trat ich in ein tuͤrkiſches Kaffeehaus;
in einem kleinen Garten, uͤber deſſen Mauern hinweg man
eine prachtvolle Ausſicht auf den Bosphorus und die aſia-
tiſche Kuͤſte hat, ſaßen mehr als hundert Maͤnner auf nie-
drigen Rohrſchemeln und rauchten das Nargileh oder die
Waſſerpfeife. Alle hatten der ſchoͤnen Gegend den Ruͤcken
zugewendet und horchten aufmerkſam nach einem ſtattlichen
Mann, der in der Mitte des Gartens ſtand und mit aus-
drucksvollen Gebehrden einen Vortrag hielt. Es war ein
beruͤhmter Metach oder oͤffentlicher Erzaͤhler, welcher Ge-
ſchichten, wie die in tauſend und eine Nacht, von dummen
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/69>, abgerufen am 25.11.2024.
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