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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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müssen alljährlich neu gestempelt werden, und allen Erzeug-
nissen des Gewerbfleißes, vom Silberzeug und Shawl bis
zu Schuhen und Hemden wird, der großherrliche Stempel
aufgedrückt. Aber das, was von diesen Steuern eingeht,
bereichert nur die, welche sie erheben. Die Reichthümer
verschwinden vor dem Blick einer habgierigen Verwaltung,
und der Beherrscher der schönsten Länder dreier Welttheile
schöpft mit dem Fasse der Danaiden.

Um ihre Bedürfnisse zu bestreiten, bleiben der Regie-
rung die Einziehung von Erbschaften, Confiscationen der
Vermögen, der Verkauf der Aemter, endlich Geschenke und
das traurige Mittel der Münzverschlechterung.

Was die Einziehung von Erbschaften der Staats-Be-
amten betrifft, so hat der jetzige Großherr erklärt, auf die-
selben verzichten zu wollen. Es ist aber dadurch mehr das
Princip anerkannt, als daß die Sache selbst in Ausübung
getreten wäre. Die Confiscationen waren früher von dem
Todesurtheil des Beraubten begleitet. Es giebt indeß jetzt
mildere Formen, um dem, welcher allzuviel Reichthümer
hat, einen Theil davon abzupressen.

Der Verkauf der Aemter bleibt die große Hauptquelle
der Staatseinnahme. Der Candidat borgt den Kaufschilling
zu hohen Procenten bei einem armenischen Handelshause,
und die Regierung überläßt diesen General-Pächtern, ihre
Provinzen zu exploitiren, wie sie wollen, um zu ihren Ko-
sten zu kommen. Dabei haben sie jedoch einen mehrbieten-
den Bewerber zu fürchten, der ihnen nicht Zeit läßt, reich
zu werden; andererseits den Fiscus, wenn sie reich gewor-
den sind. Die Provinzen wissen im Voraus, daß der neue
Pascha komme, um zu rauben; sie waffnen sich daher. Es
werden Unterhandlungen gepflogen; wo kein Abkommen ge-
troffen wird, ist Krieg, und wo es gebrochen wird, Auf-
ruhr. Sobald der Pascha sich mit den Ayans gesetzt, fürch-
tet er statt ihrer die Pforte. Er verbindet sich daher mit
andern Pascha's zu gegenseitiger Hülfsleistung, und der
Großherr muß mit den Nachbarn unterhandeln, bevor er

muͤſſen alljaͤhrlich neu geſtempelt werden, und allen Erzeug-
niſſen des Gewerbfleißes, vom Silberzeug und Shawl bis
zu Schuhen und Hemden wird, der großherrliche Stempel
aufgedruͤckt. Aber das, was von dieſen Steuern eingeht,
bereichert nur die, welche ſie erheben. Die Reichthuͤmer
verſchwinden vor dem Blick einer habgierigen Verwaltung,
und der Beherrſcher der ſchoͤnſten Laͤnder dreier Welttheile
ſchoͤpft mit dem Faſſe der Danaiden.

Um ihre Beduͤrfniſſe zu beſtreiten, bleiben der Regie-
rung die Einziehung von Erbſchaften, Confiscationen der
Vermoͤgen, der Verkauf der Aemter, endlich Geſchenke und
das traurige Mittel der Muͤnzverſchlechterung.

Was die Einziehung von Erbſchaften der Staats-Be-
amten betrifft, ſo hat der jetzige Großherr erklaͤrt, auf die-
ſelben verzichten zu wollen. Es iſt aber dadurch mehr das
Princip anerkannt, als daß die Sache ſelbſt in Ausuͤbung
getreten waͤre. Die Confiscationen waren fruͤher von dem
Todesurtheil des Beraubten begleitet. Es giebt indeß jetzt
mildere Formen, um dem, welcher allzuviel Reichthuͤmer
hat, einen Theil davon abzupreſſen.

Der Verkauf der Aemter bleibt die große Hauptquelle
der Staatseinnahme. Der Candidat borgt den Kaufſchilling
zu hohen Procenten bei einem armeniſchen Handelshauſe,
und die Regierung uͤberlaͤßt dieſen General-Paͤchtern, ihre
Provinzen zu exploitiren, wie ſie wollen, um zu ihren Ko-
ſten zu kommen. Dabei haben ſie jedoch einen mehrbieten-
den Bewerber zu fuͤrchten, der ihnen nicht Zeit laͤßt, reich
zu werden; andererſeits den Fiscus, wenn ſie reich gewor-
den ſind. Die Provinzen wiſſen im Voraus, daß der neue
Paſcha komme, um zu rauben; ſie waffnen ſich daher. Es
werden Unterhandlungen gepflogen; wo kein Abkommen ge-
troffen wird, iſt Krieg, und wo es gebrochen wird, Auf-
ruhr. Sobald der Paſcha ſich mit den Ayans geſetzt, fuͤrch-
tet er ſtatt ihrer die Pforte. Er verbindet ſich daher mit
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Großherr muß mit den Nachbarn unterhandeln, bevor er

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[48/0058] muͤſſen alljaͤhrlich neu geſtempelt werden, und allen Erzeug- niſſen des Gewerbfleißes, vom Silberzeug und Shawl bis zu Schuhen und Hemden wird, der großherrliche Stempel aufgedruͤckt. Aber das, was von dieſen Steuern eingeht, bereichert nur die, welche ſie erheben. Die Reichthuͤmer verſchwinden vor dem Blick einer habgierigen Verwaltung, und der Beherrſcher der ſchoͤnſten Laͤnder dreier Welttheile ſchoͤpft mit dem Faſſe der Danaiden. Um ihre Beduͤrfniſſe zu beſtreiten, bleiben der Regie- rung die Einziehung von Erbſchaften, Confiscationen der Vermoͤgen, der Verkauf der Aemter, endlich Geſchenke und das traurige Mittel der Muͤnzverſchlechterung. Was die Einziehung von Erbſchaften der Staats-Be- amten betrifft, ſo hat der jetzige Großherr erklaͤrt, auf die- ſelben verzichten zu wollen. Es iſt aber dadurch mehr das Princip anerkannt, als daß die Sache ſelbſt in Ausuͤbung getreten waͤre. Die Confiscationen waren fruͤher von dem Todesurtheil des Beraubten begleitet. Es giebt indeß jetzt mildere Formen, um dem, welcher allzuviel Reichthuͤmer hat, einen Theil davon abzupreſſen. Der Verkauf der Aemter bleibt die große Hauptquelle der Staatseinnahme. Der Candidat borgt den Kaufſchilling zu hohen Procenten bei einem armeniſchen Handelshauſe, und die Regierung uͤberlaͤßt dieſen General-Paͤchtern, ihre Provinzen zu exploitiren, wie ſie wollen, um zu ihren Ko- ſten zu kommen. Dabei haben ſie jedoch einen mehrbieten- den Bewerber zu fuͤrchten, der ihnen nicht Zeit laͤßt, reich zu werden; andererſeits den Fiscus, wenn ſie reich gewor- den ſind. Die Provinzen wiſſen im Voraus, daß der neue Paſcha komme, um zu rauben; ſie waffnen ſich daher. Es werden Unterhandlungen gepflogen; wo kein Abkommen ge- troffen wird, iſt Krieg, und wo es gebrochen wird, Auf- ruhr. Sobald der Paſcha ſich mit den Ayans geſetzt, fuͤrch- tet er ſtatt ihrer die Pforte. Er verbindet ſich daher mit andern Paſcha's zu gegenſeitiger Huͤlfsleiſtung, und der Großherr muß mit den Nachbarn unterhandeln, bevor er

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/58>, abgerufen am 02.05.2024.