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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Jch will damit nur sagen, daß wir in der einen Rich-
tung vielleicht zu weit gehen, während, nicht die Armenier,
aber die Türken in der anderen Richtung noch viel weiter
gehen.

Wenn von der Sclaverei im Orient die Rede ist, so
war dabei fast immer der himmelweite Unterschied übersehen
worden, welcher zwischen einem türkischen und einem Neger-
sclaven in Westindien statt findet. Schon der Name Sclave
in dem Sinne, welchen wir mit jenem Worte verbinden,
ist falsch. Abd heißt nicht Sclave, sondern vielmehr Die-
ner.
Abd-allah, der Diener Gottes; Abd-ul-medschid,
der Diener der Andacht u. s. w. Ein gekaufter türki-
scher Diener ist unendlich besser daran, als ein gemie-
theter.
Eben weil er das Eigenthum seines Herrn, und
dazu ein theures Eigenthum, ist, schont er ihn; er pflegt
ihn, wenn er krank ist, und hütet sich wohl, ihn durch
übertriebene Anstrengung zu Grunde zu richten. Von Ar-
beiten, wie die in den Zuckerplantagen, ist da überhaupt
nicht die Rede, so wenig, wie denn dem Türken im Allge-
meinen Mäßigung, Billigkeit und Wohlwollen gegen die
Seinigen abzusprechen sind. Bestimmt doch der Koran:
"daß Sclaven und Sclavinnen mit nicht mehr als sechs
Geißelhieben gezüchtigt werden sollen". Die Unfreiheit
eines türkischen Sclaven ist kaum größer, als die eines
glebae adscripti, ein Verhältniß, welches wir bis vor we-
nigen Jahren bei uns selbst erblickten, und welches von
einer gewissen Stufe der Kultur unzertrennlich ist. Dabei
ist aber die ganze übrige Lage des Sclaven ungleich mil-
der, als die des schollenpflichtigen Bauers.

Wenn irgend eine europäische Macht die Freilassung
aller Sclaven im Orient bewirkte, so würden diese ihr we-
nig Dank dafür wissen. Als Kind in das Haus seines
Brotherrn aufgenommen, bildet der Sclave ein Glied der
Familie. Er theilt die Mahlzeit mit den Söhnen des Hau-
ses, wie er die Arbeit in der Wirthschaft mit ihnen theilt;
diese besteht meist darin, ein Pferd zu warten, oder seinen

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Jch will damit nur ſagen, daß wir in der einen Rich-
tung vielleicht zu weit gehen, waͤhrend, nicht die Armenier,
aber die Tuͤrken in der anderen Richtung noch viel weiter
gehen.

Wenn von der Sclaverei im Orient die Rede iſt, ſo
war dabei faſt immer der himmelweite Unterſchied uͤberſehen
worden, welcher zwiſchen einem tuͤrkiſchen und einem Neger-
ſclaven in Weſtindien ſtatt findet. Schon der Name Sclave
in dem Sinne, welchen wir mit jenem Worte verbinden,
iſt falſch. Abd heißt nicht Sclave, ſondern vielmehr Die-
ner.
Abd-allah, der Diener Gottes; Abd-ul-medſchid,
der Diener der Andacht u. ſ. w. Ein gekaufter tuͤrki-
ſcher Diener iſt unendlich beſſer daran, als ein gemie-
theter.
Eben weil er das Eigenthum ſeines Herrn, und
dazu ein theures Eigenthum, iſt, ſchont er ihn; er pflegt
ihn, wenn er krank iſt, und huͤtet ſich wohl, ihn durch
uͤbertriebene Anſtrengung zu Grunde zu richten. Von Ar-
beiten, wie die in den Zuckerplantagen, iſt da uͤberhaupt
nicht die Rede, ſo wenig, wie denn dem Tuͤrken im Allge-
meinen Maͤßigung, Billigkeit und Wohlwollen gegen die
Seinigen abzuſprechen ſind. Beſtimmt doch der Koran:
„daß Sclaven und Sclavinnen mit nicht mehr als ſechs
Geißelhieben gezuͤchtigt werden ſollen“. Die Unfreiheit
eines tuͤrkiſchen Sclaven iſt kaum groͤßer, als die eines
glebae adscripti, ein Verhaͤltniß, welches wir bis vor we-
nigen Jahren bei uns ſelbſt erblickten, und welches von
einer gewiſſen Stufe der Kultur unzertrennlich iſt. Dabei
iſt aber die ganze uͤbrige Lage des Sclaven ungleich mil-
der, als die des ſchollenpflichtigen Bauers.

Wenn irgend eine europaͤiſche Macht die Freilaſſung
aller Sclaven im Orient bewirkte, ſo wuͤrden dieſe ihr we-
nig Dank dafuͤr wiſſen. Als Kind in das Haus ſeines
Brotherrn aufgenommen, bildet der Sclave ein Glied der
Familie. Er theilt die Mahlzeit mit den Soͤhnen des Hau-
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dieſe beſteht meiſt darin, ein Pferd zu warten, oder ſeinen

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[33/0043] Jch will damit nur ſagen, daß wir in der einen Rich- tung vielleicht zu weit gehen, waͤhrend, nicht die Armenier, aber die Tuͤrken in der anderen Richtung noch viel weiter gehen. Wenn von der Sclaverei im Orient die Rede iſt, ſo war dabei faſt immer der himmelweite Unterſchied uͤberſehen worden, welcher zwiſchen einem tuͤrkiſchen und einem Neger- ſclaven in Weſtindien ſtatt findet. Schon der Name Sclave in dem Sinne, welchen wir mit jenem Worte verbinden, iſt falſch. Abd heißt nicht Sclave, ſondern vielmehr Die- ner. Abd-allah, der Diener Gottes; Abd-ul-medſchid, der Diener der Andacht u. ſ. w. Ein gekaufter tuͤrki- ſcher Diener iſt unendlich beſſer daran, als ein gemie- theter. Eben weil er das Eigenthum ſeines Herrn, und dazu ein theures Eigenthum, iſt, ſchont er ihn; er pflegt ihn, wenn er krank iſt, und huͤtet ſich wohl, ihn durch uͤbertriebene Anſtrengung zu Grunde zu richten. Von Ar- beiten, wie die in den Zuckerplantagen, iſt da uͤberhaupt nicht die Rede, ſo wenig, wie denn dem Tuͤrken im Allge- meinen Maͤßigung, Billigkeit und Wohlwollen gegen die Seinigen abzuſprechen ſind. Beſtimmt doch der Koran: „daß Sclaven und Sclavinnen mit nicht mehr als ſechs Geißelhieben gezuͤchtigt werden ſollen“. Die Unfreiheit eines tuͤrkiſchen Sclaven iſt kaum groͤßer, als die eines glebae adscripti, ein Verhaͤltniß, welches wir bis vor we- nigen Jahren bei uns ſelbſt erblickten, und welches von einer gewiſſen Stufe der Kultur unzertrennlich iſt. Dabei iſt aber die ganze uͤbrige Lage des Sclaven ungleich mil- der, als die des ſchollenpflichtigen Bauers. Wenn irgend eine europaͤiſche Macht die Freilaſſung aller Sclaven im Orient bewirkte, ſo wuͤrden dieſe ihr we- nig Dank dafuͤr wiſſen. Als Kind in das Haus ſeines Brotherrn aufgenommen, bildet der Sclave ein Glied der Familie. Er theilt die Mahlzeit mit den Soͤhnen des Hau- ſes, wie er die Arbeit in der Wirthſchaft mit ihnen theilt; dieſe beſteht meiſt darin, ein Pferd zu warten, oder ſeinen 3

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/43>, abgerufen am 26.04.2024.