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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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in hohen Aemtern müssen sich die Briefe, welche sie in ih-
rer eigenen Sprache erhalten, vorlesen lassen; ich erinnere
mich eines Generallieutenants, welcher mit der Rohrfeder
unaufhörlich seinen Namen auf ein Blatt Papier malte; er
hatte diese Kunst eben erst von seinem Kiatib oder Schrei-
ber erlernt. Bei dieser durchaus nicht übertriebenen Schil-
derung nehme ich diejenigen Osmanly aus, welche, zum
Theil mit großem Nutzen, ihre Ausbildung in Europa er-
hielten. Jene Männer werden in Zukunft von der höch-
sten Wichtigkeit sein. Sultan Mahmud hat das Verdienst,
diese Saat ausgestreut zu haben, aber er konnte die Früchte
noch nicht ernten.

Es blieb demnach übrig, sich Raths bei den Frem-
den
zu holen; aber in der Türkei wird die beste Gabe ver-
dächtig, sobald sie aus der Hand eines Christen kommt.
Peter der Große hatte 500 Offiziere, Jngenieure, Artille-
risten, Wundärzte und Künstler für seinen Dienst persön-
lich angeworben; sie theilten seine Mühe und ernteten die
Früchte derselben. Jn Rußland konnten die Fremden ge-
haßt
sein, in der Türkei sind sie verachtet. Ein Türke
räumt unbedenklich ein, daß die Europäer seiner Nation
an Wissenschaft, Kunstfertigkeit, Reichthum, Kühnheit und
Kraft überlegen seien, ohne daß es ihm entfernt in den
Sinn käme, daß um deswillen ein Franke sich einem Mos-
lim gleichstellen dürfte; dieser unbesiegliche Stolz wurzelt in
der Religion selbst, welche dem Rechtgläubigen sogar gebie-
tet, den Gruß eines Christen: "selam aleikon" -- Heil
dir -- nicht mit dem üblichen aleikon selam, sondern nur
mit aleikon zu beantworten, was allenfalls auch: "Fluch
dir" heißen kann. Wenige Europäer werden unter so gün-
stigen Verhältnissen in der Türkei aufgetreten sein, wie wir;
die ersten Würdenträger des Reichs waren von der größ-
ten Aufmerksamkeit, sie erhoben sich bei unserm Eintritt,
wiesen uns den Platz auf dem Divan an ihrer Seite an,
und reichten uns ihre Pfeife zum Rauchen; die Obersten
räumten uns den Vortritt ein, die Offiziere waren noch

in hohen Aemtern muͤſſen ſich die Briefe, welche ſie in ih-
rer eigenen Sprache erhalten, vorleſen laſſen; ich erinnere
mich eines Generallieutenants, welcher mit der Rohrfeder
unaufhoͤrlich ſeinen Namen auf ein Blatt Papier malte; er
hatte dieſe Kunſt eben erſt von ſeinem Kiatib oder Schrei-
ber erlernt. Bei dieſer durchaus nicht uͤbertriebenen Schil-
derung nehme ich diejenigen Osmanly aus, welche, zum
Theil mit großem Nutzen, ihre Ausbildung in Europa er-
hielten. Jene Maͤnner werden in Zukunft von der hoͤch-
ſten Wichtigkeit ſein. Sultan Mahmud hat das Verdienſt,
dieſe Saat ausgeſtreut zu haben, aber er konnte die Fruͤchte
noch nicht ernten.

Es blieb demnach uͤbrig, ſich Raths bei den Frem-
den
zu holen; aber in der Tuͤrkei wird die beſte Gabe ver-
daͤchtig, ſobald ſie aus der Hand eines Chriſten kommt.
Peter der Große hatte 500 Offiziere, Jngenieure, Artille-
riſten, Wundaͤrzte und Kuͤnſtler fuͤr ſeinen Dienſt perſoͤn-
lich angeworben; ſie theilten ſeine Muͤhe und ernteten die
Fruͤchte derſelben. Jn Rußland konnten die Fremden ge-
haßt
ſein, in der Tuͤrkei ſind ſie verachtet. Ein Tuͤrke
raͤumt unbedenklich ein, daß die Europaͤer ſeiner Nation
an Wiſſenſchaft, Kunſtfertigkeit, Reichthum, Kuͤhnheit und
Kraft uͤberlegen ſeien, ohne daß es ihm entfernt in den
Sinn kaͤme, daß um deswillen ein Franke ſich einem Mos-
lim gleichſtellen duͤrfte; dieſer unbeſiegliche Stolz wurzelt in
der Religion ſelbſt, welche dem Rechtglaͤubigen ſogar gebie-
tet, den Gruß eines Chriſten: „selam aleikon“ — Heil
dir — nicht mit dem uͤblichen aleikon selam, ſondern nur
mit aleikon zu beantworten, was allenfalls auch: „Fluch
dir“ heißen kann. Wenige Europaͤer werden unter ſo guͤn-
ſtigen Verhaͤltniſſen in der Tuͤrkei aufgetreten ſein, wie wir;
die erſten Wuͤrdentraͤger des Reichs waren von der groͤß-
ten Aufmerkſamkeit, ſie erhoben ſich bei unſerm Eintritt,
wieſen uns den Platz auf dem Divan an ihrer Seite an,
und reichten uns ihre Pfeife zum Rauchen; die Oberſten
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[413/0423] in hohen Aemtern muͤſſen ſich die Briefe, welche ſie in ih- rer eigenen Sprache erhalten, vorleſen laſſen; ich erinnere mich eines Generallieutenants, welcher mit der Rohrfeder unaufhoͤrlich ſeinen Namen auf ein Blatt Papier malte; er hatte dieſe Kunſt eben erſt von ſeinem Kiatib oder Schrei- ber erlernt. Bei dieſer durchaus nicht uͤbertriebenen Schil- derung nehme ich diejenigen Osmanly aus, welche, zum Theil mit großem Nutzen, ihre Ausbildung in Europa er- hielten. Jene Maͤnner werden in Zukunft von der hoͤch- ſten Wichtigkeit ſein. Sultan Mahmud hat das Verdienſt, dieſe Saat ausgeſtreut zu haben, aber er konnte die Fruͤchte noch nicht ernten. Es blieb demnach uͤbrig, ſich Raths bei den Frem- den zu holen; aber in der Tuͤrkei wird die beſte Gabe ver- daͤchtig, ſobald ſie aus der Hand eines Chriſten kommt. Peter der Große hatte 500 Offiziere, Jngenieure, Artille- riſten, Wundaͤrzte und Kuͤnſtler fuͤr ſeinen Dienſt perſoͤn- lich angeworben; ſie theilten ſeine Muͤhe und ernteten die Fruͤchte derſelben. Jn Rußland konnten die Fremden ge- haßt ſein, in der Tuͤrkei ſind ſie verachtet. Ein Tuͤrke raͤumt unbedenklich ein, daß die Europaͤer ſeiner Nation an Wiſſenſchaft, Kunſtfertigkeit, Reichthum, Kuͤhnheit und Kraft uͤberlegen ſeien, ohne daß es ihm entfernt in den Sinn kaͤme, daß um deswillen ein Franke ſich einem Mos- lim gleichſtellen duͤrfte; dieſer unbeſiegliche Stolz wurzelt in der Religion ſelbſt, welche dem Rechtglaͤubigen ſogar gebie- tet, den Gruß eines Chriſten: „selam aleikon“ — Heil dir — nicht mit dem uͤblichen aleikon selam, ſondern nur mit aleikon zu beantworten, was allenfalls auch: „Fluch dir“ heißen kann. Wenige Europaͤer werden unter ſo guͤn- ſtigen Verhaͤltniſſen in der Tuͤrkei aufgetreten ſein, wie wir; die erſten Wuͤrdentraͤger des Reichs waren von der groͤß- ten Aufmerkſamkeit, ſie erhoben ſich bei unſerm Eintritt, wieſen uns den Platz auf dem Divan an ihrer Seite an, und reichten uns ihre Pfeife zum Rauchen; die Oberſten raͤumten uns den Vortritt ein, die Offiziere waren noch

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/423>, abgerufen am 25.11.2024.