gleich nahe heran, so konnte die erste Linie allerdings noch mehr leiden, die zweite aber stand schon zum Theil, die Re- serve ganz gegen den geraden Schuß gedeckt; so aber hat- ten wir schon in wenigen Minuten kaum ein einziges Ba- taillon, welches nicht durch Verluste moralisch erschüttert worden wäre. Sieben Achtel dieser Leute hatten noch nie eine Kugel sausen gehört; wenn zuweilen eine Granate in eine Colonne einschlug und dort krepirte, so stäubten ganze Compagnien vorläufig auseinander.
Der Pascha hatte mich nach dem rechten Flügel ge- sandt, um zu sehen, ob eine Vorwärts-Bewegung desselben vielleicht mit den Garden und einem Theile der Reserve auszuführen sei. Der Feind war aber für die Offensive noch viel zu weit entfernt; Hauptmann M. war beschäf- tigt, die rechte Flügel-Batterie etwas näher an den Feind zu bringen, aber auf kurze Entfernung protzte diese schon wieder ab, und ließ sich nicht abhalten, ein lebhaftes Feuer zu beginnen. Jndeß war auf dem rechten Flügel während der ersten drei Viertelstunden Alles in guter Ordnung, eben so hatte Hauptmann L. den linken Flügel verlassen, der noch näher und lebhafter angegriffen war. Einen Capi- tain, der mit seiner halben Batterie abgefahren war, hatte L. mit vorgehaltenem Pistol wieder in die Schlachtlinie zu- rück geführt. Aber bald darauf änderte sich Alles.
Als ich nach dem Centrum zum Pascha zurückkehrte, fand ich zu meinem Schrecken die Linien-Brigade, welche ich auf dem linken Flügel angestellt, in der Vertiefung der Reserve stehen; ich rief dem Commandeur des zweiten Re- giments namentlich zu, forderte ihn auf, noch einmal vor- zugehen, der Gegner ziehe sich schon zurück, es komme dar- auf an, nur noch eine halbe Stunde auszuhalten -- aber umsonst. Schon kamen einzelne Geschütze, selbst Pferde mit abgeschnittenen Strängen zurück; einige Munitionswagen waren aufgeflogen; fast alle Bataillone standen mit erho- benen Händen und beteten, wozu freilich der Commandi- rende den Befehl ertheilt haben soll. Unter dem Vorwand,
gleich nahe heran, ſo konnte die erſte Linie allerdings noch mehr leiden, die zweite aber ſtand ſchon zum Theil, die Re- ſerve ganz gegen den geraden Schuß gedeckt; ſo aber hat- ten wir ſchon in wenigen Minuten kaum ein einziges Ba- taillon, welches nicht durch Verluſte moraliſch erſchuͤttert worden waͤre. Sieben Achtel dieſer Leute hatten noch nie eine Kugel ſauſen gehoͤrt; wenn zuweilen eine Granate in eine Colonne einſchlug und dort krepirte, ſo ſtaͤubten ganze Compagnien vorlaͤufig auseinander.
Der Paſcha hatte mich nach dem rechten Fluͤgel ge- ſandt, um zu ſehen, ob eine Vorwaͤrts-Bewegung deſſelben vielleicht mit den Garden und einem Theile der Reſerve auszufuͤhren ſei. Der Feind war aber fuͤr die Offenſive noch viel zu weit entfernt; Hauptmann M. war beſchaͤf- tigt, die rechte Fluͤgel-Batterie etwas naͤher an den Feind zu bringen, aber auf kurze Entfernung protzte dieſe ſchon wieder ab, und ließ ſich nicht abhalten, ein lebhaftes Feuer zu beginnen. Jndeß war auf dem rechten Fluͤgel waͤhrend der erſten drei Viertelſtunden Alles in guter Ordnung, eben ſo hatte Hauptmann L. den linken Fluͤgel verlaſſen, der noch naͤher und lebhafter angegriffen war. Einen Capi- tain, der mit ſeiner halben Batterie abgefahren war, hatte L. mit vorgehaltenem Piſtol wieder in die Schlachtlinie zu- ruͤck gefuͤhrt. Aber bald darauf aͤnderte ſich Alles.
Als ich nach dem Centrum zum Paſcha zuruͤckkehrte, fand ich zu meinem Schrecken die Linien-Brigade, welche ich auf dem linken Fluͤgel angeſtellt, in der Vertiefung der Reſerve ſtehen; ich rief dem Commandeur des zweiten Re- giments namentlich zu, forderte ihn auf, noch einmal vor- zugehen, der Gegner ziehe ſich ſchon zuruͤck, es komme dar- auf an, nur noch eine halbe Stunde auszuhalten — aber umſonſt. Schon kamen einzelne Geſchuͤtze, ſelbſt Pferde mit abgeſchnittenen Straͤngen zuruͤck; einige Munitionswagen waren aufgeflogen; faſt alle Bataillone ſtanden mit erho- benen Haͤnden und beteten, wozu freilich der Commandi- rende den Befehl ertheilt haben ſoll. Unter dem Vorwand,
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[395/0405]
gleich nahe heran, ſo konnte die erſte Linie allerdings noch
mehr leiden, die zweite aber ſtand ſchon zum Theil, die Re-
ſerve ganz gegen den geraden Schuß gedeckt; ſo aber hat-
ten wir ſchon in wenigen Minuten kaum ein einziges Ba-
taillon, welches nicht durch Verluſte moraliſch erſchuͤttert
worden waͤre. Sieben Achtel dieſer Leute hatten noch nie
eine Kugel ſauſen gehoͤrt; wenn zuweilen eine Granate in
eine Colonne einſchlug und dort krepirte, ſo ſtaͤubten ganze
Compagnien vorlaͤufig auseinander.
Der Paſcha hatte mich nach dem rechten Fluͤgel ge-
ſandt, um zu ſehen, ob eine Vorwaͤrts-Bewegung deſſelben
vielleicht mit den Garden und einem Theile der Reſerve
auszufuͤhren ſei. Der Feind war aber fuͤr die Offenſive
noch viel zu weit entfernt; Hauptmann M. war beſchaͤf-
tigt, die rechte Fluͤgel-Batterie etwas naͤher an den Feind
zu bringen, aber auf kurze Entfernung protzte dieſe ſchon
wieder ab, und ließ ſich nicht abhalten, ein lebhaftes Feuer
zu beginnen. Jndeß war auf dem rechten Fluͤgel waͤhrend
der erſten drei Viertelſtunden Alles in guter Ordnung, eben
ſo hatte Hauptmann L. den linken Fluͤgel verlaſſen, der
noch naͤher und lebhafter angegriffen war. Einen Capi-
tain, der mit ſeiner halben Batterie abgefahren war, hatte
L. mit vorgehaltenem Piſtol wieder in die Schlachtlinie zu-
ruͤck gefuͤhrt. Aber bald darauf aͤnderte ſich Alles.
Als ich nach dem Centrum zum Paſcha zuruͤckkehrte,
fand ich zu meinem Schrecken die Linien-Brigade, welche
ich auf dem linken Fluͤgel angeſtellt, in der Vertiefung der
Reſerve ſtehen; ich rief dem Commandeur des zweiten Re-
giments namentlich zu, forderte ihn auf, noch einmal vor-
zugehen, der Gegner ziehe ſich ſchon zuruͤck, es komme dar-
auf an, nur noch eine halbe Stunde auszuhalten — aber
umſonſt. Schon kamen einzelne Geſchuͤtze, ſelbſt Pferde mit
abgeſchnittenen Straͤngen zuruͤck; einige Munitionswagen
waren aufgeflogen; faſt alle Bataillone ſtanden mit erho-
benen Haͤnden und beteten, wozu freilich der Commandi-
rende den Befehl ertheilt haben ſoll. Unter dem Vorwand,
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/405>, abgerufen am 23.11.2024.
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