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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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entzündet hätte, so dürften auch die Wagen erfaßt worden
sein, und die Verwüstung wäre ungeheuer gewesen; fünf-
hundert Centner Pulver wurden gerade erwartet, und ka-
men glücklicher Weise erst zwei Tage darauf an. Wir hat-
ten einen Oberst und über zweihundert Todte und Verwun-
dete zu beklagen.

Wenige Tage später brachen wir in zwei Colonnen nach
Nisib, drei Stunden östlich von Biradschik, auf, wo wir
uns lagerten und sofort verschanzten. Die Hitze war sehr
groß und stieg im Schatten bis auf 30, selbst 35 Gr. Reau-
mur; eine wahre Plage waren die Fliegen, die uns keinen
Augenblick Ruhe ließen. Jn diesem Lande sind die Bäume
selten, aber wo sie sich finden, sind sie prächtig; mein Zelt
zu Nisib steckte in einem Granatwäldchen, überragt von
mächtigen Nuß- und Aprikosen-Bäumen; Tausende von
Granaten glühten in den lichtgrünen Blättern, die Nachti-
gallen, welche hier Andelib heißen, schlugen in den Zwei-
gen, und kleine Kamäleons kletterten die Stämme auf und
ab. Aber auch an garstigem Gewürm, an Taranteln, Ohr-
würmern und Schlangen, fehlte es nicht; die Schildkröte
schob sich schwerfällig durch das Gras, und Tausende von
Johanniswürmchen funkelten in der Finsterniß.

Wir brachten in diesem Lager wieder drei Wochen zu,
eine Zeit, die für mich um so unerfreulicher war, als ich,
schon seit lange von der epidemisch gewordenen Dysenterie
erfaßt, das Lager hüten mußte, und als so Manches gegen
meinen Rath und meine Ueberzeugung geschah, was uns
dann endlich einer traurigen Katastrophe entgegen führte.

Jch habe Dir aus bekannten Gründen in meinen frü-
hern Briefen nie etwas über meine dienstliche Stellung ge-
schrieben; die Begebenheiten aber, von welchen ich sprechen
will, gehören nun der Vergangenheit an, und stehen als
eine vollendete Thatsache da.

Vollauf beschäftigt mit den dringendsten Angelegenhei-
ten des Augenblicks, war die europäische Diplomatie froh,
die orientalische Streitfrage, welche unlösbar schien, in mög-

entzuͤndet haͤtte, ſo duͤrften auch die Wagen erfaßt worden
ſein, und die Verwuͤſtung waͤre ungeheuer geweſen; fuͤnf-
hundert Centner Pulver wurden gerade erwartet, und ka-
men gluͤcklicher Weiſe erſt zwei Tage darauf an. Wir hat-
ten einen Oberſt und uͤber zweihundert Todte und Verwun-
dete zu beklagen.

Wenige Tage ſpaͤter brachen wir in zwei Colonnen nach
Niſib, drei Stunden oͤſtlich von Biradſchik, auf, wo wir
uns lagerten und ſofort verſchanzten. Die Hitze war ſehr
groß und ſtieg im Schatten bis auf 30, ſelbſt 35 Gr. Reau-
mur; eine wahre Plage waren die Fliegen, die uns keinen
Augenblick Ruhe ließen. Jn dieſem Lande ſind die Baͤume
ſelten, aber wo ſie ſich finden, ſind ſie praͤchtig; mein Zelt
zu Niſib ſteckte in einem Granatwaͤldchen, uͤberragt von
maͤchtigen Nuß- und Aprikoſen-Baͤumen; Tauſende von
Granaten gluͤhten in den lichtgruͤnen Blaͤttern, die Nachti-
gallen, welche hier Andelib heißen, ſchlugen in den Zwei-
gen, und kleine Kamaͤleons kletterten die Staͤmme auf und
ab. Aber auch an garſtigem Gewuͤrm, an Taranteln, Ohr-
wuͤrmern und Schlangen, fehlte es nicht; die Schildkroͤte
ſchob ſich ſchwerfaͤllig durch das Gras, und Tauſende von
Johanniswuͤrmchen funkelten in der Finſterniß.

Wir brachten in dieſem Lager wieder drei Wochen zu,
eine Zeit, die fuͤr mich um ſo unerfreulicher war, als ich,
ſchon ſeit lange von der epidemiſch gewordenen Dyſenterie
erfaßt, das Lager huͤten mußte, und als ſo Manches gegen
meinen Rath und meine Ueberzeugung geſchah, was uns
dann endlich einer traurigen Kataſtrophe entgegen fuͤhrte.

Jch habe Dir aus bekannten Gruͤnden in meinen fruͤ-
hern Briefen nie etwas uͤber meine dienſtliche Stellung ge-
ſchrieben; die Begebenheiten aber, von welchen ich ſprechen
will, gehoͤren nun der Vergangenheit an, und ſtehen als
eine vollendete Thatſache da.

Vollauf beſchaͤftigt mit den dringendſten Angelegenhei-
ten des Augenblicks, war die europaͤiſche Diplomatie froh,
die orientaliſche Streitfrage, welche unloͤsbar ſchien, in moͤg-

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[380/0390] entzuͤndet haͤtte, ſo duͤrften auch die Wagen erfaßt worden ſein, und die Verwuͤſtung waͤre ungeheuer geweſen; fuͤnf- hundert Centner Pulver wurden gerade erwartet, und ka- men gluͤcklicher Weiſe erſt zwei Tage darauf an. Wir hat- ten einen Oberſt und uͤber zweihundert Todte und Verwun- dete zu beklagen. Wenige Tage ſpaͤter brachen wir in zwei Colonnen nach Niſib, drei Stunden oͤſtlich von Biradſchik, auf, wo wir uns lagerten und ſofort verſchanzten. Die Hitze war ſehr groß und ſtieg im Schatten bis auf 30, ſelbſt 35 Gr. Reau- mur; eine wahre Plage waren die Fliegen, die uns keinen Augenblick Ruhe ließen. Jn dieſem Lande ſind die Baͤume ſelten, aber wo ſie ſich finden, ſind ſie praͤchtig; mein Zelt zu Niſib ſteckte in einem Granatwaͤldchen, uͤberragt von maͤchtigen Nuß- und Aprikoſen-Baͤumen; Tauſende von Granaten gluͤhten in den lichtgruͤnen Blaͤttern, die Nachti- gallen, welche hier Andelib heißen, ſchlugen in den Zwei- gen, und kleine Kamaͤleons kletterten die Staͤmme auf und ab. Aber auch an garſtigem Gewuͤrm, an Taranteln, Ohr- wuͤrmern und Schlangen, fehlte es nicht; die Schildkroͤte ſchob ſich ſchwerfaͤllig durch das Gras, und Tauſende von Johanniswuͤrmchen funkelten in der Finſterniß. Wir brachten in dieſem Lager wieder drei Wochen zu, eine Zeit, die fuͤr mich um ſo unerfreulicher war, als ich, ſchon ſeit lange von der epidemiſch gewordenen Dyſenterie erfaßt, das Lager huͤten mußte, und als ſo Manches gegen meinen Rath und meine Ueberzeugung geſchah, was uns dann endlich einer traurigen Kataſtrophe entgegen fuͤhrte. Jch habe Dir aus bekannten Gruͤnden in meinen fruͤ- hern Briefen nie etwas uͤber meine dienſtliche Stellung ge- ſchrieben; die Begebenheiten aber, von welchen ich ſprechen will, gehoͤren nun der Vergangenheit an, und ſtehen als eine vollendete Thatſache da. Vollauf beſchaͤftigt mit den dringendſten Angelegenhei- ten des Augenblicks, war die europaͤiſche Diplomatie froh, die orientaliſche Streitfrage, welche unloͤsbar ſchien, in moͤg-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/390>, abgerufen am 25.06.2024.