Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Tschibuk, ich nicht ausgenommen. Mitten durch das Ge-
wühl zieht ein Regiment Spahi's auf Vorposten und blickt
stolz auf die irregulairen Reiter herab, die mit 14 Fuß lan-
gen Rohrlanzen und in der alten prächtigen Tracht ihre
arabischen Hengste tummeln. Wie schade, daß ich nicht
eine Camera obscura von Daguerre hier habe.

64.
Die Schlacht bei Nisib.

Du bist sehr lange ohne direkte Nachricht von mir ge-
blieben, weil in der letzten Zeit die Ereignisse sich so dräng-
ten, daß kein Augenblick zum Schreiben blieb. Jetzt sitze
ich wieder in meinem schattigen Quartier auf der Brücke
unter dem Cornelius-Kirschbaum in Asbusu; aber wie Man-
ches hat sich geändert, seit ich diesen Ort verließ.

Jn unserm festen Lager zu Biradschik standen wir so
unbeweglich den ganzen Monat Juni still, daß die Schwal-
ben anfingen, sich Nester an meinen Zeltstangen zu bauen,
und Zeit und Weile uns lang wurde. Ein furchtbares Er-
eigniß unterbrach jedoch die Einförmigkeit, als am 29. Mai
Mittags unser Pulver-Magazin mit mehr als 1000 Ctr.
fertiger Munition in die Luft flog; man hatte zur Unter-
bringung derselben ein Hann oder gewölbtes steinernes Ge-
bäude am Ufer des Murad innerhalb unserer Stellung ge-
wählt. Nur auf wiederholte Vorstellung war es mir ge-
lungen, sechzig Mann Wache aus dem innern Hof des vier-
seitigen Gebäudes zu entfernen, welche dort kochten und
rauchten; es ging aber später noch, wie bei allen türkischen
Pulver-Magazinen, so arg her, daß ich bei dem ersten
Knall keinen Augenblick zweifelhaft war, welches Unglück
uns betroffen.

Mein Zelt stand etwa tausend Schritte weit auf einer
Höhe, die Thür gegen das Hann gewendet, entfernt genug,

Tſchibuk, ich nicht ausgenommen. Mitten durch das Ge-
wuͤhl zieht ein Regiment Spahi's auf Vorpoſten und blickt
ſtolz auf die irregulairen Reiter herab, die mit 14 Fuß lan-
gen Rohrlanzen und in der alten praͤchtigen Tracht ihre
arabiſchen Hengſte tummeln. Wie ſchade, daß ich nicht
eine Camera obſcura von Daguerre hier habe.

64.
Die Schlacht bei Niſib.

Du biſt ſehr lange ohne direkte Nachricht von mir ge-
blieben, weil in der letzten Zeit die Ereigniſſe ſich ſo draͤng-
ten, daß kein Augenblick zum Schreiben blieb. Jetzt ſitze
ich wieder in meinem ſchattigen Quartier auf der Bruͤcke
unter dem Cornelius-Kirſchbaum in Asbuſu; aber wie Man-
ches hat ſich geaͤndert, ſeit ich dieſen Ort verließ.

Jn unſerm feſten Lager zu Biradſchik ſtanden wir ſo
unbeweglich den ganzen Monat Juni ſtill, daß die Schwal-
ben anfingen, ſich Neſter an meinen Zeltſtangen zu bauen,
und Zeit und Weile uns lang wurde. Ein furchtbares Er-
eigniß unterbrach jedoch die Einfoͤrmigkeit, als am 29. Mai
Mittags unſer Pulver-Magazin mit mehr als 1000 Ctr.
fertiger Munition in die Luft flog; man hatte zur Unter-
bringung derſelben ein Hann oder gewoͤlbtes ſteinernes Ge-
baͤude am Ufer des Murad innerhalb unſerer Stellung ge-
waͤhlt. Nur auf wiederholte Vorſtellung war es mir ge-
lungen, ſechzig Mann Wache aus dem innern Hof des vier-
ſeitigen Gebaͤudes zu entfernen, welche dort kochten und
rauchten; es ging aber ſpaͤter noch, wie bei allen tuͤrkiſchen
Pulver-Magazinen, ſo arg her, daß ich bei dem erſten
Knall keinen Augenblick zweifelhaft war, welches Ungluͤck
uns betroffen.

Mein Zelt ſtand etwa tauſend Schritte weit auf einer
Hoͤhe, die Thuͤr gegen das Hann gewendet, entfernt genug,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0388" n="378"/>
T&#x017F;chibuk, ich nicht ausgenommen. Mitten durch das Ge-<lb/>
wu&#x0364;hl zieht ein Regiment Spahi's auf Vorpo&#x017F;ten und blickt<lb/>
&#x017F;tolz auf die irregulairen Reiter herab, die mit 14 Fuß lan-<lb/>
gen Rohrlanzen und in der alten pra&#x0364;chtigen Tracht ihre<lb/>
arabi&#x017F;chen Heng&#x017F;te tummeln. Wie &#x017F;chade, daß ich nicht<lb/>
eine Camera ob&#x017F;cura von Daguerre hier habe.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>64.<lb/><hi rendition="#b">Die Schlacht bei Ni&#x017F;ib</hi>.</head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#et">Asbu&#x017F;u bei Malatia, den 12. Juli 1839.</hi> </dateline><lb/>
        <p>Du bi&#x017F;t &#x017F;ehr lange ohne direkte Nachricht von mir ge-<lb/>
blieben, weil in der letzten Zeit die Ereigni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich &#x017F;o dra&#x0364;ng-<lb/>
ten, daß kein Augenblick zum Schreiben blieb. Jetzt &#x017F;itze<lb/>
ich wieder in meinem &#x017F;chattigen Quartier auf der Bru&#x0364;cke<lb/>
unter dem Cornelius-Kir&#x017F;chbaum in Asbu&#x017F;u; aber wie Man-<lb/>
ches hat &#x017F;ich gea&#x0364;ndert, &#x017F;eit ich die&#x017F;en Ort verließ.</p><lb/>
        <p>Jn un&#x017F;erm fe&#x017F;ten Lager zu Birad&#x017F;chik &#x017F;tanden wir &#x017F;o<lb/>
unbeweglich den ganzen Monat Juni &#x017F;till, daß die Schwal-<lb/>
ben anfingen, &#x017F;ich Ne&#x017F;ter an meinen Zelt&#x017F;tangen zu bauen,<lb/>
und Zeit und Weile uns lang wurde. Ein furchtbares Er-<lb/>
eigniß unterbrach jedoch die Einfo&#x0364;rmigkeit, als am 29. Mai<lb/>
Mittags un&#x017F;er Pulver-Magazin mit mehr als 1000 Ctr.<lb/>
fertiger Munition in die Luft flog; man hatte zur Unter-<lb/>
bringung der&#x017F;elben ein Hann oder gewo&#x0364;lbtes &#x017F;teinernes Ge-<lb/>
ba&#x0364;ude am Ufer des Murad innerhalb un&#x017F;erer Stellung ge-<lb/>
wa&#x0364;hlt. Nur auf wiederholte Vor&#x017F;tellung war es mir ge-<lb/>
lungen, &#x017F;echzig Mann Wache aus dem innern Hof des vier-<lb/>
&#x017F;eitigen Geba&#x0364;udes zu entfernen, welche dort kochten und<lb/>
rauchten; es ging aber &#x017F;pa&#x0364;ter noch, wie bei allen tu&#x0364;rki&#x017F;chen<lb/>
Pulver-Magazinen, &#x017F;o arg her, daß ich bei dem er&#x017F;ten<lb/>
Knall keinen Augenblick zweifelhaft war, welches Unglu&#x0364;ck<lb/>
uns betroffen.</p><lb/>
        <p>Mein Zelt &#x017F;tand etwa tau&#x017F;end Schritte weit auf einer<lb/>
Ho&#x0364;he, die Thu&#x0364;r gegen das Hann gewendet, entfernt genug,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[378/0388] Tſchibuk, ich nicht ausgenommen. Mitten durch das Ge- wuͤhl zieht ein Regiment Spahi's auf Vorpoſten und blickt ſtolz auf die irregulairen Reiter herab, die mit 14 Fuß lan- gen Rohrlanzen und in der alten praͤchtigen Tracht ihre arabiſchen Hengſte tummeln. Wie ſchade, daß ich nicht eine Camera obſcura von Daguerre hier habe. 64. Die Schlacht bei Niſib. Asbuſu bei Malatia, den 12. Juli 1839. Du biſt ſehr lange ohne direkte Nachricht von mir ge- blieben, weil in der letzten Zeit die Ereigniſſe ſich ſo draͤng- ten, daß kein Augenblick zum Schreiben blieb. Jetzt ſitze ich wieder in meinem ſchattigen Quartier auf der Bruͤcke unter dem Cornelius-Kirſchbaum in Asbuſu; aber wie Man- ches hat ſich geaͤndert, ſeit ich dieſen Ort verließ. Jn unſerm feſten Lager zu Biradſchik ſtanden wir ſo unbeweglich den ganzen Monat Juni ſtill, daß die Schwal- ben anfingen, ſich Neſter an meinen Zeltſtangen zu bauen, und Zeit und Weile uns lang wurde. Ein furchtbares Er- eigniß unterbrach jedoch die Einfoͤrmigkeit, als am 29. Mai Mittags unſer Pulver-Magazin mit mehr als 1000 Ctr. fertiger Munition in die Luft flog; man hatte zur Unter- bringung derſelben ein Hann oder gewoͤlbtes ſteinernes Ge- baͤude am Ufer des Murad innerhalb unſerer Stellung ge- waͤhlt. Nur auf wiederholte Vorſtellung war es mir ge- lungen, ſechzig Mann Wache aus dem innern Hof des vier- ſeitigen Gebaͤudes zu entfernen, welche dort kochten und rauchten; es ging aber ſpaͤter noch, wie bei allen tuͤrkiſchen Pulver-Magazinen, ſo arg her, daß ich bei dem erſten Knall keinen Augenblick zweifelhaft war, welches Ungluͤck uns betroffen. Mein Zelt ſtand etwa tauſend Schritte weit auf einer Hoͤhe, die Thuͤr gegen das Hann gewendet, entfernt genug,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/388
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/388>, abgerufen am 22.11.2024.