armen Pferde fast ohne Nahrung sind. Das Herbeischaf- fen der Lebensmittel unterliegt den größten Schwierigkei- ten, und der Soldat, erschöpft vom tagelangen Waten im Kothe oder Ersteigen von Bergen, hat nur Wasser und Zwie- back zur Nahrung und schläft auf der nassen Erde ohne Obdach. Die Truppen aus Diarbekir etc. sollten ihre Zelte von uns aus Malatia erhalten, aber schon auf dem ersten Marsch blieben unsere eigenen Zelte im Schnee und Koth stecken; mein Gepäck habe ich erst am neunten Tage wie- dergefunden. Der Pascha hatte mir aufgegeben, mit Mu- stapha-Pascha zu gehen, welcher zuerst aufbrach und den schwierigsten Weg, den von Abdul-harab, einzuschlagen hatte; Ströme von Regen, die uns bis auf die Haut durchnäß- ten, und ein starker Südwind hatten den noch drei bis sechs Ellen hohen Schnee so aufgelockert, daß wir unsere Pferde, indem wir sie am Zügel führten, nur kaum noch mit durchbrachten; alles Gepäck mußte umkehren und der zweiten Colonne folgen. Wir hatten an diesem Tage zwei Todte, erreichten aber unsere Etappen, von den drei Dör- fer Abdul-harab, Bölem und Kymyrdyk, von etwa zwanzig Häusern, wurde jedes mit einem Regiment belegt. Am folgenden Tage ging ich mit Mustapha-Pascha voraus, um zu sehen, ob es nach dem eingetretenen Wetter über- haupt noch südlich einen Ausweg gäbe. Die Truppen hat- ten Ruhetag, dessen sie durchaus bedurften. Die Berge waren mit so hohem und lockerm Schnee bedeckt, daß an ein Ueberschreiten gar nicht zu denken war; wir kamen überein, eine Brücke über das Bölem-suj zu schlagen, dann diesem Wasser abwärts zu folgen bis Karikjan, wohin ich voraus ging und eine andere Brücke über das Chodjaly- suj baute. Dieser Bach war 50 bis 60 Schritt breit und ungemein reißend; ich fand eine Stelle, wo er, an einer steilen Wand anspülend, nur 16 Arschinen breit war; hohe schöne Pappeln gaben ein leichtes Mittel, und in vier und zwanzig Stunden stand die Brücke fertig. Von dort ging ich über halsbrechende Fußsteige an dem Siaret-tschai hin-
armen Pferde faſt ohne Nahrung ſind. Das Herbeiſchaf- fen der Lebensmittel unterliegt den groͤßten Schwierigkei- ten, und der Soldat, erſchoͤpft vom tagelangen Waten im Kothe oder Erſteigen von Bergen, hat nur Waſſer und Zwie- back zur Nahrung und ſchlaͤft auf der naſſen Erde ohne Obdach. Die Truppen aus Diarbekir ꝛc. ſollten ihre Zelte von uns aus Malatia erhalten, aber ſchon auf dem erſten Marſch blieben unſere eigenen Zelte im Schnee und Koth ſtecken; mein Gepaͤck habe ich erſt am neunten Tage wie- dergefunden. Der Paſcha hatte mir aufgegeben, mit Mu- ſtapha-Paſcha zu gehen, welcher zuerſt aufbrach und den ſchwierigſten Weg, den von Abdul-harab, einzuſchlagen hatte; Stroͤme von Regen, die uns bis auf die Haut durchnaͤß- ten, und ein ſtarker Suͤdwind hatten den noch drei bis ſechs Ellen hohen Schnee ſo aufgelockert, daß wir unſere Pferde, indem wir ſie am Zuͤgel fuͤhrten, nur kaum noch mit durchbrachten; alles Gepaͤck mußte umkehren und der zweiten Colonne folgen. Wir hatten an dieſem Tage zwei Todte, erreichten aber unſere Etappen, von den drei Doͤr- fer Abdul-harab, Boͤlem und Kymyrdyk, von etwa zwanzig Haͤuſern, wurde jedes mit einem Regiment belegt. Am folgenden Tage ging ich mit Muſtapha-Paſcha voraus, um zu ſehen, ob es nach dem eingetretenen Wetter uͤber- haupt noch ſuͤdlich einen Ausweg gaͤbe. Die Truppen hat- ten Ruhetag, deſſen ſie durchaus bedurften. Die Berge waren mit ſo hohem und lockerm Schnee bedeckt, daß an ein Ueberſchreiten gar nicht zu denken war; wir kamen uͤberein, eine Bruͤcke uͤber das Boͤlem-ſuj zu ſchlagen, dann dieſem Waſſer abwaͤrts zu folgen bis Karikjan, wohin ich voraus ging und eine andere Bruͤcke uͤber das Chodjaly- ſuj baute. Dieſer Bach war 50 bis 60 Schritt breit und ungemein reißend; ich fand eine Stelle, wo er, an einer ſteilen Wand anſpuͤlend, nur 16 Arſchinen breit war; hohe ſchoͤne Pappeln gaben ein leichtes Mittel, und in vier und zwanzig Stunden ſtand die Bruͤcke fertig. Von dort ging ich uͤber halsbrechende Fußſteige an dem Siaret-tſchai hin-
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armen Pferde faſt ohne Nahrung ſind. Das Herbeiſchaf-
fen der Lebensmittel unterliegt den groͤßten Schwierigkei-
ten, und der Soldat, erſchoͤpft vom tagelangen Waten im
Kothe oder Erſteigen von Bergen, hat nur Waſſer und Zwie-
back zur Nahrung und ſchlaͤft auf der naſſen Erde ohne
Obdach. Die Truppen aus Diarbekir ꝛc. ſollten ihre Zelte
von uns aus Malatia erhalten, aber ſchon auf dem erſten
Marſch blieben unſere eigenen Zelte im Schnee und Koth
ſtecken; mein Gepaͤck habe ich erſt am neunten Tage wie-
dergefunden. Der Paſcha hatte mir aufgegeben, mit Mu-
ſtapha-Paſcha zu gehen, welcher zuerſt aufbrach und den
ſchwierigſten Weg, den von Abdul-harab, einzuſchlagen hatte;
Stroͤme von Regen, die uns bis auf die Haut durchnaͤß-
ten, und ein ſtarker Suͤdwind hatten den noch drei bis
ſechs Ellen hohen Schnee ſo aufgelockert, daß wir unſere
Pferde, indem wir ſie am Zuͤgel fuͤhrten, nur kaum noch
mit durchbrachten; alles Gepaͤck mußte umkehren und der
zweiten Colonne folgen. Wir hatten an dieſem Tage zwei
Todte, erreichten aber unſere Etappen, von den drei Doͤr-
fer Abdul-harab, Boͤlem und Kymyrdyk, von etwa zwanzig
Haͤuſern, wurde jedes mit einem Regiment belegt. Am
folgenden Tage ging ich mit Muſtapha-Paſcha voraus,
um zu ſehen, ob es nach dem eingetretenen Wetter uͤber-
haupt noch ſuͤdlich einen Ausweg gaͤbe. Die Truppen hat-
ten Ruhetag, deſſen ſie durchaus bedurften. Die Berge
waren mit ſo hohem und lockerm Schnee bedeckt, daß an
ein Ueberſchreiten gar nicht zu denken war; wir kamen
uͤberein, eine Bruͤcke uͤber das Boͤlem-ſuj zu ſchlagen, dann
dieſem Waſſer abwaͤrts zu folgen bis Karikjan, wohin ich
voraus ging und eine andere Bruͤcke uͤber das Chodjaly-
ſuj baute. Dieſer Bach war 50 bis 60 Schritt breit und
ungemein reißend; ich fand eine Stelle, wo er, an einer
ſteilen Wand anſpuͤlend, nur 16 Arſchinen breit war; hohe
ſchoͤne Pappeln gaben ein leichtes Mittel, und in vier und
zwanzig Stunden ſtand die Bruͤcke fertig. Von dort ging
ich uͤber halsbrechende Fußſteige an dem Siaret-tſchai hin-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/376>, abgerufen am 22.11.2024.
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