Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

von den Wellen ganz eingeweicht waren, die an manchen
Orten uns überschütteten. Oberhalb Telek mußte das Floß
nochmals auseinander genommen werden; es war nicht
daran zu denken, durch die Wasserfälle und die Brandung
von dort durchzukommen. Bei Stockfinsterniß landeten wir
zu Telek, wo wir die Nacht blieben und uns nothdürftig
trockneten; wir hatten in diesen Tagen in sechs Stunden
eine Strecke zurückgelegt, zu welcher ich nachmals vier und
zwanzig über Land gebrauchte. Mit mir waren ein Jnge-
nieur-Oberst, Mehmet-Effendi, und sein Begleiter; diese
erklärten mir, daß sie sich nicht berufen fühlten, mich fer-
ner noch zu begleiten, sie hätten genug, wogegen ich nichts
einzuwenden hatte. Außer einem Aga des Pascha's hatte
ich vier Kelektschi oder Ruderer an Bord, und nahm noch
einen fünften aus dem Dorfe als Piloten mit; als ich mich
aber am andern Morgen früh einschiffen wollte, erklärte
mir mein Tschausch oder Sergeant ebenfalls, daß er nicht
die Ehre haben könne. Da machte ich nun keine Umstände,
und bat ihn, Platz zu nehmen, wenn er nicht gebunden
nach Malatia zurück geschickt werden wollte. Der arme
Teufel meinte, zu Lande wolle er mit mir durch's Feuer
gehen, aber das Wasser sei nicht seine Sache; als er in-
deß sah, daß es nicht anders war, bequemte er sich. Es
wäre mir aber bald leid geworden, ihn gezwungen zu ha-
ben; kaum stießen wir vom Ufer, so ging es pfeilschnell da-
von, ich glaube kaum, daß wir 10 oder 15 Minuten brauch-
ten, um eine Stunde Weges zurückzulegen -- aber wie?
Der Murad, welcher oberhalb 250 Schritt breit ist, ver-
engt sich zu 100, zu 80 und weniger Schritten; die ganze
gewaltige Wassermasse stürzt nun durch diesen Trichter und
über Felsblöcke steil hinab, wodurch so gewaltige Strudel
und Wellen entstehen, daß an einigen Stellen Wassergar-
ben von 5 Fuß Höhe sich senkrecht emporrichten, während
zu beiden Seiten die Flut schnell und als ob sie siedete da-
hin schießt; die Wogen schlugen buchstäblich auf unsere
Köpfe nieder, und das Floß war zuweilen ganz und gar

von den Wellen ganz eingeweicht waren, die an manchen
Orten uns uͤberſchuͤtteten. Oberhalb Telek mußte das Floß
nochmals auseinander genommen werden; es war nicht
daran zu denken, durch die Waſſerfaͤlle und die Brandung
von dort durchzukommen. Bei Stockfinſterniß landeten wir
zu Telek, wo wir die Nacht blieben und uns nothduͤrftig
trockneten; wir hatten in dieſen Tagen in ſechs Stunden
eine Strecke zuruͤckgelegt, zu welcher ich nachmals vier und
zwanzig uͤber Land gebrauchte. Mit mir waren ein Jnge-
nieur-Oberſt, Mehmet-Effendi, und ſein Begleiter; dieſe
erklaͤrten mir, daß ſie ſich nicht berufen fuͤhlten, mich fer-
ner noch zu begleiten, ſie haͤtten genug, wogegen ich nichts
einzuwenden hatte. Außer einem Aga des Paſcha's hatte
ich vier Kelektſchi oder Ruderer an Bord, und nahm noch
einen fuͤnften aus dem Dorfe als Piloten mit; als ich mich
aber am andern Morgen fruͤh einſchiffen wollte, erklaͤrte
mir mein Tſchauſch oder Sergeant ebenfalls, daß er nicht
die Ehre haben koͤnne. Da machte ich nun keine Umſtaͤnde,
und bat ihn, Platz zu nehmen, wenn er nicht gebunden
nach Malatia zuruͤck geſchickt werden wollte. Der arme
Teufel meinte, zu Lande wolle er mit mir durch's Feuer
gehen, aber das Waſſer ſei nicht ſeine Sache; als er in-
deß ſah, daß es nicht anders war, bequemte er ſich. Es
waͤre mir aber bald leid geworden, ihn gezwungen zu ha-
ben; kaum ſtießen wir vom Ufer, ſo ging es pfeilſchnell da-
von, ich glaube kaum, daß wir 10 oder 15 Minuten brauch-
ten, um eine Stunde Weges zuruͤckzulegen — aber wie?
Der Murad, welcher oberhalb 250 Schritt breit iſt, ver-
engt ſich zu 100, zu 80 und weniger Schritten; die ganze
gewaltige Waſſermaſſe ſtuͤrzt nun durch dieſen Trichter und
uͤber Felsbloͤcke ſteil hinab, wodurch ſo gewaltige Strudel
und Wellen entſtehen, daß an einigen Stellen Waſſergar-
ben von 5 Fuß Hoͤhe ſich ſenkrecht emporrichten, waͤhrend
zu beiden Seiten die Flut ſchnell und als ob ſie ſiedete da-
hin ſchießt; die Wogen ſchlugen buchſtaͤblich auf unſere
Koͤpfe nieder, und das Floß war zuweilen ganz und gar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0372" n="362"/>
von den Wellen ganz eingeweicht waren, die an manchen<lb/>
Orten uns u&#x0364;ber&#x017F;chu&#x0364;tteten. Oberhalb Telek mußte das Floß<lb/>
nochmals auseinander genommen werden; es war nicht<lb/>
daran zu denken, durch die Wa&#x017F;&#x017F;erfa&#x0364;lle und die Brandung<lb/>
von dort durchzukommen. Bei Stockfin&#x017F;terniß landeten wir<lb/>
zu Telek, wo wir die Nacht blieben und uns nothdu&#x0364;rftig<lb/>
trockneten; wir hatten in die&#x017F;en Tagen in &#x017F;echs Stunden<lb/>
eine Strecke zuru&#x0364;ckgelegt, zu welcher ich nachmals vier und<lb/>
zwanzig u&#x0364;ber Land gebrauchte. Mit mir waren ein Jnge-<lb/>
nieur-Ober&#x017F;t, <hi rendition="#g">Mehmet-Effendi,</hi> und &#x017F;ein Begleiter; die&#x017F;e<lb/>
erkla&#x0364;rten mir, daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht berufen fu&#x0364;hlten, mich fer-<lb/>
ner noch zu begleiten, &#x017F;ie ha&#x0364;tten genug, wogegen ich nichts<lb/>
einzuwenden hatte. Außer einem Aga des Pa&#x017F;cha's hatte<lb/>
ich vier Kelekt&#x017F;chi oder Ruderer an Bord, und nahm noch<lb/>
einen fu&#x0364;nften aus dem Dorfe als Piloten mit; als ich mich<lb/>
aber am andern Morgen fru&#x0364;h ein&#x017F;chiffen wollte, erkla&#x0364;rte<lb/>
mir mein T&#x017F;chau&#x017F;ch oder Sergeant ebenfalls, daß er nicht<lb/>
die Ehre haben ko&#x0364;nne. Da machte ich nun keine Um&#x017F;ta&#x0364;nde,<lb/>
und bat ihn, Platz zu nehmen, wenn er nicht gebunden<lb/>
nach Malatia zuru&#x0364;ck ge&#x017F;chickt werden wollte. Der arme<lb/>
Teufel meinte, zu Lande wolle er mit mir durch's Feuer<lb/>
gehen, aber das Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ei nicht &#x017F;eine Sache; als er in-<lb/>
deß &#x017F;ah, daß es nicht anders war, bequemte er &#x017F;ich. Es<lb/>
wa&#x0364;re mir aber bald leid geworden, ihn gezwungen zu ha-<lb/>
ben; kaum &#x017F;tießen wir vom Ufer, &#x017F;o ging es pfeil&#x017F;chnell da-<lb/>
von, ich glaube kaum, daß wir 10 oder 15 Minuten brauch-<lb/>
ten, um eine Stunde Weges zuru&#x0364;ckzulegen &#x2014; aber wie?<lb/>
Der Murad, welcher oberhalb 250 Schritt breit i&#x017F;t, ver-<lb/>
engt &#x017F;ich zu 100, zu 80 und weniger Schritten; die ganze<lb/>
gewaltige Wa&#x017F;&#x017F;erma&#x017F;&#x017F;e &#x017F;tu&#x0364;rzt nun durch die&#x017F;en Trichter und<lb/>
u&#x0364;ber Felsblo&#x0364;cke &#x017F;teil hinab, wodurch &#x017F;o gewaltige Strudel<lb/>
und Wellen ent&#x017F;tehen, daß an einigen Stellen Wa&#x017F;&#x017F;ergar-<lb/>
ben von 5 Fuß Ho&#x0364;he &#x017F;ich &#x017F;enkrecht emporrichten, wa&#x0364;hrend<lb/>
zu beiden Seiten die Flut &#x017F;chnell und als ob &#x017F;ie &#x017F;iedete da-<lb/>
hin &#x017F;chießt; die Wogen &#x017F;chlugen buch&#x017F;ta&#x0364;blich auf un&#x017F;ere<lb/>
Ko&#x0364;pfe nieder, und das Floß war zuweilen ganz und gar<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362/0372] von den Wellen ganz eingeweicht waren, die an manchen Orten uns uͤberſchuͤtteten. Oberhalb Telek mußte das Floß nochmals auseinander genommen werden; es war nicht daran zu denken, durch die Waſſerfaͤlle und die Brandung von dort durchzukommen. Bei Stockfinſterniß landeten wir zu Telek, wo wir die Nacht blieben und uns nothduͤrftig trockneten; wir hatten in dieſen Tagen in ſechs Stunden eine Strecke zuruͤckgelegt, zu welcher ich nachmals vier und zwanzig uͤber Land gebrauchte. Mit mir waren ein Jnge- nieur-Oberſt, Mehmet-Effendi, und ſein Begleiter; dieſe erklaͤrten mir, daß ſie ſich nicht berufen fuͤhlten, mich fer- ner noch zu begleiten, ſie haͤtten genug, wogegen ich nichts einzuwenden hatte. Außer einem Aga des Paſcha's hatte ich vier Kelektſchi oder Ruderer an Bord, und nahm noch einen fuͤnften aus dem Dorfe als Piloten mit; als ich mich aber am andern Morgen fruͤh einſchiffen wollte, erklaͤrte mir mein Tſchauſch oder Sergeant ebenfalls, daß er nicht die Ehre haben koͤnne. Da machte ich nun keine Umſtaͤnde, und bat ihn, Platz zu nehmen, wenn er nicht gebunden nach Malatia zuruͤck geſchickt werden wollte. Der arme Teufel meinte, zu Lande wolle er mit mir durch's Feuer gehen, aber das Waſſer ſei nicht ſeine Sache; als er in- deß ſah, daß es nicht anders war, bequemte er ſich. Es waͤre mir aber bald leid geworden, ihn gezwungen zu ha- ben; kaum ſtießen wir vom Ufer, ſo ging es pfeilſchnell da- von, ich glaube kaum, daß wir 10 oder 15 Minuten brauch- ten, um eine Stunde Weges zuruͤckzulegen — aber wie? Der Murad, welcher oberhalb 250 Schritt breit iſt, ver- engt ſich zu 100, zu 80 und weniger Schritten; die ganze gewaltige Waſſermaſſe ſtuͤrzt nun durch dieſen Trichter und uͤber Felsbloͤcke ſteil hinab, wodurch ſo gewaltige Strudel und Wellen entſtehen, daß an einigen Stellen Waſſergar- ben von 5 Fuß Hoͤhe ſich ſenkrecht emporrichten, waͤhrend zu beiden Seiten die Flut ſchnell und als ob ſie ſiedete da- hin ſchießt; die Wogen ſchlugen buchſtaͤblich auf unſere Koͤpfe nieder, und das Floß war zuweilen ganz und gar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/372
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/372>, abgerufen am 17.05.2024.