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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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ner haben in den nächsten Dörfern ein Unterkommen suchen
müssen.

Jch führe dies Alles nur an, um zu zeigen, wie große
Truppen-Anhäufungen in diesem Lande noch weit verderb-
lichere Folgen haben, als bei uns; und dennoch, wenn
ein Nachbar uns nöthigte, während mehr als eines Jah-
res unsere Landwehr unter den Fahnen und die Artillerie
auf dem Kriegsfuße zu erhalten, würden wir nicht selbst
gegen die Uebermacht einen Kampf wagen, um diesen Zu-
stand zu enden?

Blicken wir nun nach dem Resultat, welches die Pforte
erreicht, indem sie ihre Kräfte erschöpft und eine Provinz zu
Grunde richtet, so sehen wir fast die gesammte Streitmacht
in einem fernsten Winkel des Reichs angehäuft, während
die große Hauptmasse des Landes und eben die Grenze,
welche man stets für so gefährdet hält, von aller und jeder
Vertheidigung entblößt ist. Sollte nicht ein Zusammen-
sturz dieses Reichs in sich selbst unter den jetzigen Ver-
hältnissen noch viel leichter möglich sein, als die Jnvasion
von Außen, und sollten nicht aus demselben gerade jene
Folgen hervorgehen, die man abzuwenden so eifrig bemüht
ist? Wenn die europäischen Mächte ein nahes Jnteresse ha-
ben, die Fortdauer und Kräftigung des osmanischen Reichs
zu wollen, so sind sie auch eben so sehr dabei betheiligt, eine
endliche Ausgleichung der unseligen Verhältnisse zu Stande
zu bringen, in welche die drohende Faust eines Vasallen die
Pforte hinein drängt. Es handelt sich hier nicht darum,
einen Krieg gegen Prinzipien zu führen, überhaupt nicht
um eine bewaffnete Jntervention, sondern nur, beiden Par-
theien eine Bürgschaft für ihre Sicherheit zu geben; frei-
lich ist es dahin gekommen, daß Mehmet-Aly sich nur
noch durch Waffengewalt in Syrien behaupten kann, aber
man darf nicht vergessen, daß, je größer das Heer ist, wel-
ches er dazu verwendet, um so schwerer der Druck, und
um so lebhafter der Wunsch, sich von demselben zu befreien.
Wenn der Pascha von Aegypten 10- oder 15,000 Mann

ner haben in den naͤchſten Doͤrfern ein Unterkommen ſuchen
muͤſſen.

Jch fuͤhre dies Alles nur an, um zu zeigen, wie große
Truppen-Anhaͤufungen in dieſem Lande noch weit verderb-
lichere Folgen haben, als bei uns; und dennoch, wenn
ein Nachbar uns noͤthigte, waͤhrend mehr als eines Jah-
res unſere Landwehr unter den Fahnen und die Artillerie
auf dem Kriegsfuße zu erhalten, wuͤrden wir nicht ſelbſt
gegen die Uebermacht einen Kampf wagen, um dieſen Zu-
ſtand zu enden?

Blicken wir nun nach dem Reſultat, welches die Pforte
erreicht, indem ſie ihre Kraͤfte erſchoͤpft und eine Provinz zu
Grunde richtet, ſo ſehen wir faſt die geſammte Streitmacht
in einem fernſten Winkel des Reichs angehaͤuft, waͤhrend
die große Hauptmaſſe des Landes und eben die Grenze,
welche man ſtets fuͤr ſo gefaͤhrdet haͤlt, von aller und jeder
Vertheidigung entbloͤßt iſt. Sollte nicht ein Zuſammen-
ſturz dieſes Reichs in ſich ſelbſt unter den jetzigen Ver-
haͤltniſſen noch viel leichter moͤglich ſein, als die Jnvaſion
von Außen, und ſollten nicht aus demſelben gerade jene
Folgen hervorgehen, die man abzuwenden ſo eifrig bemuͤht
iſt? Wenn die europaͤiſchen Maͤchte ein nahes Jntereſſe ha-
ben, die Fortdauer und Kraͤftigung des osmaniſchen Reichs
zu wollen, ſo ſind ſie auch eben ſo ſehr dabei betheiligt, eine
endliche Ausgleichung der unſeligen Verhaͤltniſſe zu Stande
zu bringen, in welche die drohende Fauſt eines Vaſallen die
Pforte hinein draͤngt. Es handelt ſich hier nicht darum,
einen Krieg gegen Prinzipien zu fuͤhren, uͤberhaupt nicht
um eine bewaffnete Jntervention, ſondern nur, beiden Par-
theien eine Buͤrgſchaft fuͤr ihre Sicherheit zu geben; frei-
lich iſt es dahin gekommen, daß Mehmet-Aly ſich nur
noch durch Waffengewalt in Syrien behaupten kann, aber
man darf nicht vergeſſen, daß, je groͤßer das Heer iſt, wel-
ches er dazu verwendet, um ſo ſchwerer der Druck, und
um ſo lebhafter der Wunſch, ſich von demſelben zu befreien.
Wenn der Paſcha von Aegypten 10- oder 15,000 Mann

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[352/0362] ner haben in den naͤchſten Doͤrfern ein Unterkommen ſuchen muͤſſen. Jch fuͤhre dies Alles nur an, um zu zeigen, wie große Truppen-Anhaͤufungen in dieſem Lande noch weit verderb- lichere Folgen haben, als bei uns; und dennoch, wenn ein Nachbar uns noͤthigte, waͤhrend mehr als eines Jah- res unſere Landwehr unter den Fahnen und die Artillerie auf dem Kriegsfuße zu erhalten, wuͤrden wir nicht ſelbſt gegen die Uebermacht einen Kampf wagen, um dieſen Zu- ſtand zu enden? Blicken wir nun nach dem Reſultat, welches die Pforte erreicht, indem ſie ihre Kraͤfte erſchoͤpft und eine Provinz zu Grunde richtet, ſo ſehen wir faſt die geſammte Streitmacht in einem fernſten Winkel des Reichs angehaͤuft, waͤhrend die große Hauptmaſſe des Landes und eben die Grenze, welche man ſtets fuͤr ſo gefaͤhrdet haͤlt, von aller und jeder Vertheidigung entbloͤßt iſt. Sollte nicht ein Zuſammen- ſturz dieſes Reichs in ſich ſelbſt unter den jetzigen Ver- haͤltniſſen noch viel leichter moͤglich ſein, als die Jnvaſion von Außen, und ſollten nicht aus demſelben gerade jene Folgen hervorgehen, die man abzuwenden ſo eifrig bemuͤht iſt? Wenn die europaͤiſchen Maͤchte ein nahes Jntereſſe ha- ben, die Fortdauer und Kraͤftigung des osmaniſchen Reichs zu wollen, ſo ſind ſie auch eben ſo ſehr dabei betheiligt, eine endliche Ausgleichung der unſeligen Verhaͤltniſſe zu Stande zu bringen, in welche die drohende Fauſt eines Vaſallen die Pforte hinein draͤngt. Es handelt ſich hier nicht darum, einen Krieg gegen Prinzipien zu fuͤhren, uͤberhaupt nicht um eine bewaffnete Jntervention, ſondern nur, beiden Par- theien eine Buͤrgſchaft fuͤr ihre Sicherheit zu geben; frei- lich iſt es dahin gekommen, daß Mehmet-Aly ſich nur noch durch Waffengewalt in Syrien behaupten kann, aber man darf nicht vergeſſen, daß, je groͤßer das Heer iſt, wel- ches er dazu verwendet, um ſo ſchwerer der Druck, und um ſo lebhafter der Wunſch, ſich von demſelben zu befreien. Wenn der Paſcha von Aegypten 10- oder 15,000 Mann

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/362>, abgerufen am 22.11.2024.