Nur die heutige Generation hat gar nichts gebaut, als eine Kaserne und die Lehmhütten, in welchen sie sich ver- birgt. Konieh liegt gegenwärtig außerhalb der alten Mauer, und bildet eigentlich eine weite Vorstadt von einer Stadt, die nicht mehr existirt.
Hadschi-Aly, der Gouverneur des ausgedehnten Sand- schaks von Konieh, ein Pascha vom alten Schlage, hatte mich sehr freundlich empfangen und mir den Konak des Müsselims zur Wohnung angewiesen, der ohne Vergleich besser logirt war, als Se. Excellenz in ihrem Seraj aus Lehm; er wünschte, daß ich die Reise nach dem Külek-Bo- ghas in Begleitung Ejub-Pascha's, des Civil-Gouver- neurs der Provinz, machen sollte, und ich mußte deshalb ein paar Tage in Konieh verweilen; zum Abschied schickte der alte Herr mir vier Beutel durch seinen armenischen Banquier. Da wir nun Geldgeschenke nicht annehmen, so bat ich diesen, meinen Dank und die Summe an den Pa- scha zurück zu tragen. Der Banquier fand das sehr schön, bat aber doch, einen Andern mit der Commission zu beeh- ren, da er seine Fußsohlen viel zu lieb habe, als daß er dem Pascha so etwas vorschlagen könne; dieser werde von solcher Procedur nichts begreifen, als daß die Summe mir zu gering gewesen wäre. Sprach ich nun selbst mit dem Pascha, so würde es mir schwer geworden sein, ihm be- greiflich zu machen, weshalb ein Franke zwar wohl eine Dose, oder eine Uhr für 200 Gulden, 200 Gulden aber nicht annehmen könne; sprach ich nicht mit ihm, so steckte der Banquier das Geld ruhig ein, und setzte es dem Bas- sen auf die Rechnung. Unter diesen Umständen nahm ich das Geschenk an, bedankte mich schön, und ließ es sofort unter meinen Dragoman, den Tschausch und den Tataren vertheilen; die Umstehenden fanden dies sehr großmüthig und besonders sehr thöricht, aber sie wußten schon, daß die Franken alle etwas "delih" oder närrisch sind.
Von Konieh aus ritten wir einen ganzen Tag, ohne mehr als zwei Dörfer zu berühren, und steuerten noch die
21
Nur die heutige Generation hat gar nichts gebaut, als eine Kaſerne und die Lehmhuͤtten, in welchen ſie ſich ver- birgt. Konieh liegt gegenwaͤrtig außerhalb der alten Mauer, und bildet eigentlich eine weite Vorſtadt von einer Stadt, die nicht mehr exiſtirt.
Hadſchi-Aly, der Gouverneur des ausgedehnten Sand- ſchaks von Konieh, ein Paſcha vom alten Schlage, hatte mich ſehr freundlich empfangen und mir den Konak des Muͤſſelims zur Wohnung angewieſen, der ohne Vergleich beſſer logirt war, als Se. Excellenz in ihrem Seraj aus Lehm; er wuͤnſchte, daß ich die Reiſe nach dem Kuͤlek-Bo- ghas in Begleitung Ejub-Paſcha's, des Civil-Gouver- neurs der Provinz, machen ſollte, und ich mußte deshalb ein paar Tage in Konieh verweilen; zum Abſchied ſchickte der alte Herr mir vier Beutel durch ſeinen armeniſchen Banquier. Da wir nun Geldgeſchenke nicht annehmen, ſo bat ich dieſen, meinen Dank und die Summe an den Pa- ſcha zuruͤck zu tragen. Der Banquier fand das ſehr ſchoͤn, bat aber doch, einen Andern mit der Commiſſion zu beeh- ren, da er ſeine Fußſohlen viel zu lieb habe, als daß er dem Paſcha ſo etwas vorſchlagen koͤnne; dieſer werde von ſolcher Procedur nichts begreifen, als daß die Summe mir zu gering geweſen waͤre. Sprach ich nun ſelbſt mit dem Paſcha, ſo wuͤrde es mir ſchwer geworden ſein, ihm be- greiflich zu machen, weshalb ein Franke zwar wohl eine Doſe, oder eine Uhr fuͤr 200 Gulden, 200 Gulden aber nicht annehmen koͤnne; ſprach ich nicht mit ihm, ſo ſteckte der Banquier das Geld ruhig ein, und ſetzte es dem Baſ- ſen auf die Rechnung. Unter dieſen Umſtaͤnden nahm ich das Geſchenk an, bedankte mich ſchoͤn, und ließ es ſofort unter meinen Dragoman, den Tſchauſch und den Tataren vertheilen; die Umſtehenden fanden dies ſehr großmuͤthig und beſonders ſehr thoͤricht, aber ſie wußten ſchon, daß die Franken alle etwas „delih“ oder naͤrriſch ſind.
Von Konieh aus ritten wir einen ganzen Tag, ohne mehr als zwei Doͤrfer zu beruͤhren, und ſteuerten noch die
21
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0331"n="321"/><p>Nur die heutige Generation hat gar nichts gebaut, als<lb/>
eine Kaſerne und die Lehmhuͤtten, in welchen ſie ſich ver-<lb/>
birgt. Konieh liegt gegenwaͤrtig außerhalb der alten Mauer,<lb/>
und bildet eigentlich eine weite Vorſtadt von einer Stadt,<lb/>
die nicht mehr exiſtirt.</p><lb/><p><hirendition="#g">Hadſchi-Aly,</hi> der Gouverneur des ausgedehnten Sand-<lb/>ſchaks von Konieh, ein Paſcha vom alten Schlage, hatte<lb/>
mich ſehr freundlich empfangen und mir den Konak des<lb/>
Muͤſſelims zur Wohnung angewieſen, der ohne Vergleich<lb/>
beſſer logirt war, als Se. Excellenz in ihrem Seraj aus<lb/>
Lehm; er wuͤnſchte, daß ich die Reiſe nach dem Kuͤlek-Bo-<lb/>
ghas in Begleitung <hirendition="#g">Ejub-Paſcha's,</hi> des Civil-Gouver-<lb/>
neurs der Provinz, machen ſollte, und ich mußte deshalb<lb/>
ein paar Tage in Konieh verweilen; zum Abſchied ſchickte<lb/>
der alte Herr mir vier Beutel durch ſeinen armeniſchen<lb/>
Banquier. Da wir nun Geldgeſchenke nicht annehmen, ſo<lb/>
bat ich dieſen, meinen Dank und die Summe an den Pa-<lb/>ſcha zuruͤck zu tragen. Der Banquier fand das ſehr ſchoͤn,<lb/>
bat aber doch, einen Andern mit der Commiſſion zu beeh-<lb/>
ren, da er ſeine Fußſohlen viel zu lieb habe, als daß er<lb/>
dem Paſcha ſo etwas vorſchlagen koͤnne; dieſer werde von<lb/>ſolcher Procedur nichts begreifen, als daß die Summe mir<lb/>
zu gering geweſen waͤre. Sprach ich nun ſelbſt mit dem<lb/>
Paſcha, ſo wuͤrde es mir ſchwer geworden ſein, ihm be-<lb/>
greiflich zu machen, weshalb ein Franke zwar wohl eine<lb/>
Doſe, oder eine Uhr fuͤr 200 Gulden, 200 Gulden aber<lb/>
nicht annehmen koͤnne; ſprach ich nicht mit ihm, ſo ſteckte<lb/>
der Banquier das Geld ruhig ein, und ſetzte es dem Baſ-<lb/>ſen auf die Rechnung. Unter dieſen Umſtaͤnden nahm ich<lb/>
das Geſchenk an, bedankte mich ſchoͤn, und ließ es ſofort<lb/>
unter meinen Dragoman, den Tſchauſch und den Tataren<lb/>
vertheilen; die Umſtehenden fanden dies ſehr großmuͤthig<lb/>
und beſonders ſehr thoͤricht, aber ſie wußten ſchon, daß die<lb/>
Franken alle etwas „delih“ oder naͤrriſch ſind.</p><lb/><p>Von Konieh aus ritten wir einen ganzen Tag, ohne<lb/>
mehr als zwei Doͤrfer zu beruͤhren, und ſteuerten noch die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">21</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[321/0331]
Nur die heutige Generation hat gar nichts gebaut, als
eine Kaſerne und die Lehmhuͤtten, in welchen ſie ſich ver-
birgt. Konieh liegt gegenwaͤrtig außerhalb der alten Mauer,
und bildet eigentlich eine weite Vorſtadt von einer Stadt,
die nicht mehr exiſtirt.
Hadſchi-Aly, der Gouverneur des ausgedehnten Sand-
ſchaks von Konieh, ein Paſcha vom alten Schlage, hatte
mich ſehr freundlich empfangen und mir den Konak des
Muͤſſelims zur Wohnung angewieſen, der ohne Vergleich
beſſer logirt war, als Se. Excellenz in ihrem Seraj aus
Lehm; er wuͤnſchte, daß ich die Reiſe nach dem Kuͤlek-Bo-
ghas in Begleitung Ejub-Paſcha's, des Civil-Gouver-
neurs der Provinz, machen ſollte, und ich mußte deshalb
ein paar Tage in Konieh verweilen; zum Abſchied ſchickte
der alte Herr mir vier Beutel durch ſeinen armeniſchen
Banquier. Da wir nun Geldgeſchenke nicht annehmen, ſo
bat ich dieſen, meinen Dank und die Summe an den Pa-
ſcha zuruͤck zu tragen. Der Banquier fand das ſehr ſchoͤn,
bat aber doch, einen Andern mit der Commiſſion zu beeh-
ren, da er ſeine Fußſohlen viel zu lieb habe, als daß er
dem Paſcha ſo etwas vorſchlagen koͤnne; dieſer werde von
ſolcher Procedur nichts begreifen, als daß die Summe mir
zu gering geweſen waͤre. Sprach ich nun ſelbſt mit dem
Paſcha, ſo wuͤrde es mir ſchwer geworden ſein, ihm be-
greiflich zu machen, weshalb ein Franke zwar wohl eine
Doſe, oder eine Uhr fuͤr 200 Gulden, 200 Gulden aber
nicht annehmen koͤnne; ſprach ich nicht mit ihm, ſo ſteckte
der Banquier das Geld ruhig ein, und ſetzte es dem Baſ-
ſen auf die Rechnung. Unter dieſen Umſtaͤnden nahm ich
das Geſchenk an, bedankte mich ſchoͤn, und ließ es ſofort
unter meinen Dragoman, den Tſchauſch und den Tataren
vertheilen; die Umſtehenden fanden dies ſehr großmuͤthig
und beſonders ſehr thoͤricht, aber ſie wußten ſchon, daß die
Franken alle etwas „delih“ oder naͤrriſch ſind.
Von Konieh aus ritten wir einen ganzen Tag, ohne
mehr als zwei Doͤrfer zu beruͤhren, und ſteuerten noch die
21
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/331>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.