Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

kei, zwar sind die Straßen auch hier eng und schmutzig,
aber die Häuser haben ein freundliches Ansehen; sie sind
aus schönem Sandstein erbaut und Fenster und Thüren
sind künstlich geschnitzt; die Dächer bilden flache Terrassen,
von welchen aus man eine schöne Aussicht auf den nur
zwei Stunden entfernten Erdschiesch, auf das alte Castell
im Jnnern der Stadt und die weite fruchtbare Fläche hat,
die diese umgiebt. Von den alten Trümmern Cäsarea's
habe ich, ich will es nur gestehen, nichts gesehen, die Sor-
gen für die kleinen Bedürfnisse der Gegenwart überwiegen
bei schnellen Reisen die antiquarischen Jnteressen, und Ruhe,
Essen, Postpferde beschäftigen den Ermüdeten dann mehr
als Säulenschafte, Sarkophagdeckel und Jnschriften.

Am folgenden Morgen war das Wetter eine Mischung
aus Regen, Sturm und Hagel, der Weg aus Sumpf, Stein
und Geröll; es war mir anfangs sehr auffallend, auf einer
vollkommenen Horizontalfläche zwischen so hohen steilen Ber-
gen hinzujagen, bald aber mußten wir einen Sattel erklet-
tern und jenseits zogen wir längs eines der Saßnyk oder
Sümpfe hin, welche jenen Theil Asiens charakterisiren, und
worin fast alle Flüsse nach kurzem Laufe versiegen.

Auf diesem Ritt war mir mein Dragoman abhanden
gekommen und ich mußte den Tatar absenden, um ihn
wieder einzufangen; dem armen Menschen waren die Hände
erstarrt, er war gestürzt und hatte sich den Fuß beschädigt;
es blieb aber nichts übrig, als wieder darauf los zu rei-
ten nach Jndje-suj (Schmalwasser), einem hübschen Städt-
chen in einer Schlucht, aus deren röthlichem Gestein ein
großes Hann mit Mauern und Moscheen erbaut ist, wel-
ches die ganze Breite des Thals schließt. Dort wurde der
erste Physikus requirirt, und es erschien der Tschoban oder
Viehhirte, welcher versicherte, daß nichts gebrochen sei,
sondern nur eine Quetschung stattgefunden habe; der Dra-
goman war aber sehr besorgt und fragte drei Tage lang
jeden Menschen, der uns begegnete, ob er nicht ein Ky-
rekschi oder Wundarzt sei. Nachdem wir unter fortwäh-

kei, zwar ſind die Straßen auch hier eng und ſchmutzig,
aber die Haͤuſer haben ein freundliches Anſehen; ſie ſind
aus ſchoͤnem Sandſtein erbaut und Fenſter und Thuͤren
ſind kuͤnſtlich geſchnitzt; die Daͤcher bilden flache Terraſſen,
von welchen aus man eine ſchoͤne Ausſicht auf den nur
zwei Stunden entfernten Erdſchieſch, auf das alte Caſtell
im Jnnern der Stadt und die weite fruchtbare Flaͤche hat,
die dieſe umgiebt. Von den alten Truͤmmern Caͤſarea's
habe ich, ich will es nur geſtehen, nichts geſehen, die Sor-
gen fuͤr die kleinen Beduͤrfniſſe der Gegenwart uͤberwiegen
bei ſchnellen Reiſen die antiquariſchen Jntereſſen, und Ruhe,
Eſſen, Poſtpferde beſchaͤftigen den Ermuͤdeten dann mehr
als Saͤulenſchafte, Sarkophagdeckel und Jnſchriften.

Am folgenden Morgen war das Wetter eine Miſchung
aus Regen, Sturm und Hagel, der Weg aus Sumpf, Stein
und Geroͤll; es war mir anfangs ſehr auffallend, auf einer
vollkommenen Horizontalflaͤche zwiſchen ſo hohen ſteilen Ber-
gen hinzujagen, bald aber mußten wir einen Sattel erklet-
tern und jenſeits zogen wir laͤngs eines der Saßnyk oder
Suͤmpfe hin, welche jenen Theil Aſiens charakteriſiren, und
worin faſt alle Fluͤſſe nach kurzem Laufe verſiegen.

Auf dieſem Ritt war mir mein Dragoman abhanden
gekommen und ich mußte den Tatar abſenden, um ihn
wieder einzufangen; dem armen Menſchen waren die Haͤnde
erſtarrt, er war geſtuͤrzt und hatte ſich den Fuß beſchaͤdigt;
es blieb aber nichts uͤbrig, als wieder darauf los zu rei-
ten nach Jndje-ſuj (Schmalwaſſer), einem huͤbſchen Staͤdt-
chen in einer Schlucht, aus deren roͤthlichem Geſtein ein
großes Hann mit Mauern und Moſcheen erbaut iſt, wel-
ches die ganze Breite des Thals ſchließt. Dort wurde der
erſte Phyſikus requirirt, und es erſchien der Tſchoban oder
Viehhirte, welcher verſicherte, daß nichts gebrochen ſei,
ſondern nur eine Quetſchung ſtattgefunden habe; der Dra-
goman war aber ſehr beſorgt und fragte drei Tage lang
jeden Menſchen, der uns begegnete, ob er nicht ein Ky-
rekſchi oder Wundarzt ſei. Nachdem wir unter fortwaͤh-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0325" n="315"/>
kei, zwar &#x017F;ind die Straßen auch hier eng und &#x017F;chmutzig,<lb/>
aber die Ha&#x0364;u&#x017F;er haben ein freundliches An&#x017F;ehen; &#x017F;ie &#x017F;ind<lb/>
aus &#x017F;cho&#x0364;nem Sand&#x017F;tein erbaut und Fen&#x017F;ter und Thu&#x0364;ren<lb/>
&#x017F;ind ku&#x0364;n&#x017F;tlich ge&#x017F;chnitzt; die Da&#x0364;cher bilden flache Terra&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
von welchen aus man eine &#x017F;cho&#x0364;ne Aus&#x017F;icht auf den nur<lb/>
zwei Stunden entfernten Erd&#x017F;chie&#x017F;ch, auf das alte Ca&#x017F;tell<lb/>
im Jnnern der Stadt und die weite fruchtbare Fla&#x0364;che hat,<lb/>
die die&#x017F;e umgiebt. Von den alten Tru&#x0364;mmern Ca&#x0364;&#x017F;area's<lb/>
habe ich, ich will es nur ge&#x017F;tehen, nichts ge&#x017F;ehen, die Sor-<lb/>
gen fu&#x0364;r die kleinen Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e der Gegenwart u&#x0364;berwiegen<lb/>
bei &#x017F;chnellen Rei&#x017F;en die antiquari&#x017F;chen Jntere&#x017F;&#x017F;en, und Ruhe,<lb/>
E&#x017F;&#x017F;en, Po&#x017F;tpferde be&#x017F;cha&#x0364;ftigen den Ermu&#x0364;deten dann mehr<lb/>
als Sa&#x0364;ulen&#x017F;chafte, Sarkophagdeckel und Jn&#x017F;chriften.</p><lb/>
        <p>Am folgenden Morgen war das Wetter eine Mi&#x017F;chung<lb/>
aus Regen, Sturm und Hagel, der Weg aus Sumpf, Stein<lb/>
und Gero&#x0364;ll; es war mir anfangs &#x017F;ehr auffallend, auf einer<lb/>
vollkommenen Horizontalfla&#x0364;che zwi&#x017F;chen &#x017F;o hohen &#x017F;teilen Ber-<lb/>
gen hinzujagen, bald aber mußten wir einen Sattel erklet-<lb/>
tern und jen&#x017F;eits zogen wir la&#x0364;ngs eines der Saßnyk oder<lb/>
Su&#x0364;mpfe hin, welche jenen Theil A&#x017F;iens charakteri&#x017F;iren, und<lb/>
worin fa&#x017F;t alle Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e nach kurzem Laufe ver&#x017F;iegen.</p><lb/>
        <p>Auf die&#x017F;em Ritt war mir mein Dragoman abhanden<lb/>
gekommen und ich mußte den Tatar ab&#x017F;enden, um ihn<lb/>
wieder einzufangen; dem armen Men&#x017F;chen waren die Ha&#x0364;nde<lb/>
er&#x017F;tarrt, er war ge&#x017F;tu&#x0364;rzt und hatte &#x017F;ich den Fuß be&#x017F;cha&#x0364;digt;<lb/>
es blieb aber nichts u&#x0364;brig, als wieder darauf los zu rei-<lb/>
ten nach Jndje-&#x017F;uj (Schmalwa&#x017F;&#x017F;er), einem hu&#x0364;b&#x017F;chen Sta&#x0364;dt-<lb/>
chen in einer Schlucht, aus deren ro&#x0364;thlichem Ge&#x017F;tein ein<lb/>
großes Hann mit Mauern und Mo&#x017F;cheen erbaut i&#x017F;t, wel-<lb/>
ches die ganze Breite des Thals &#x017F;chließt. Dort wurde der<lb/>
er&#x017F;te Phy&#x017F;ikus requirirt, und es er&#x017F;chien der T&#x017F;choban oder<lb/>
Viehhirte, welcher ver&#x017F;icherte, daß nichts gebrochen &#x017F;ei,<lb/>
&#x017F;ondern nur eine Quet&#x017F;chung &#x017F;tattgefunden habe; der Dra-<lb/>
goman war aber &#x017F;ehr be&#x017F;orgt und fragte drei Tage lang<lb/>
jeden Men&#x017F;chen, der uns begegnete, ob er nicht ein Ky-<lb/>
rek&#x017F;chi oder Wundarzt &#x017F;ei. Nachdem wir unter fortwa&#x0364;h-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[315/0325] kei, zwar ſind die Straßen auch hier eng und ſchmutzig, aber die Haͤuſer haben ein freundliches Anſehen; ſie ſind aus ſchoͤnem Sandſtein erbaut und Fenſter und Thuͤren ſind kuͤnſtlich geſchnitzt; die Daͤcher bilden flache Terraſſen, von welchen aus man eine ſchoͤne Ausſicht auf den nur zwei Stunden entfernten Erdſchieſch, auf das alte Caſtell im Jnnern der Stadt und die weite fruchtbare Flaͤche hat, die dieſe umgiebt. Von den alten Truͤmmern Caͤſarea's habe ich, ich will es nur geſtehen, nichts geſehen, die Sor- gen fuͤr die kleinen Beduͤrfniſſe der Gegenwart uͤberwiegen bei ſchnellen Reiſen die antiquariſchen Jntereſſen, und Ruhe, Eſſen, Poſtpferde beſchaͤftigen den Ermuͤdeten dann mehr als Saͤulenſchafte, Sarkophagdeckel und Jnſchriften. Am folgenden Morgen war das Wetter eine Miſchung aus Regen, Sturm und Hagel, der Weg aus Sumpf, Stein und Geroͤll; es war mir anfangs ſehr auffallend, auf einer vollkommenen Horizontalflaͤche zwiſchen ſo hohen ſteilen Ber- gen hinzujagen, bald aber mußten wir einen Sattel erklet- tern und jenſeits zogen wir laͤngs eines der Saßnyk oder Suͤmpfe hin, welche jenen Theil Aſiens charakteriſiren, und worin faſt alle Fluͤſſe nach kurzem Laufe verſiegen. Auf dieſem Ritt war mir mein Dragoman abhanden gekommen und ich mußte den Tatar abſenden, um ihn wieder einzufangen; dem armen Menſchen waren die Haͤnde erſtarrt, er war geſtuͤrzt und hatte ſich den Fuß beſchaͤdigt; es blieb aber nichts uͤbrig, als wieder darauf los zu rei- ten nach Jndje-ſuj (Schmalwaſſer), einem huͤbſchen Staͤdt- chen in einer Schlucht, aus deren roͤthlichem Geſtein ein großes Hann mit Mauern und Moſcheen erbaut iſt, wel- ches die ganze Breite des Thals ſchließt. Dort wurde der erſte Phyſikus requirirt, und es erſchien der Tſchoban oder Viehhirte, welcher verſicherte, daß nichts gebrochen ſei, ſondern nur eine Quetſchung ſtattgefunden habe; der Dra- goman war aber ſehr beſorgt und fragte drei Tage lang jeden Menſchen, der uns begegnete, ob er nicht ein Ky- rekſchi oder Wundarzt ſei. Nachdem wir unter fortwaͤh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/325
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/325>, abgerufen am 17.05.2024.