Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

glänzendes Schneeflöckchen ihren Strahlen trotzt, dann lebt
man auf; nach und nach erscheinen dann auf allen Dä-
chern die Familien, um Luft zu schöpfen. Dort werden
die Teppiche ausgebreitet und Kissen gelegt für den Haus-
herrn; er läßt sich von den jungen Mitgliederu der Fami-
lie bedienen, welche ehrerbietig vor ihm stehen bleiben, wäh-
rend er die Pfeife trinkt; dann erscheint die große runde
Messingplatte mit zahllosen zinnernen Schüsseln, welche das
Mittagsmahl enthalten, und endlich der Kaffee. Nach gu-
ter Sitte geht man früh schlafen, nichts als den pracht-
voll funkelnden Sternhimmel über sich, um früh, wenn die
aufgehende Sonne den höchsten Gipfel röthet, vor ihr die
Flucht zu ergreifen und an sein Geschäft zu gehen.

Herzlich froh war ich, als der Pascha mich in Kar-
put aufforderte, mit ihm in seiner vierspännigen Kalesche
nach Malatia zu fahren; das mußt Du Dir vorstellen un-
gefähr, als wenn man bei uns Jemand vorschlägt, mit ihm
in einem Luftballon aufzusteigen. Die Sache ging vortreff-
lich bis an den nächsten Berg; dort erkannten wir, daß in
diesem Lande ein Maulesel eine weit zuverlässigere Reise-
gelegenheit ist, als ein Wiener Wagen.

Nachdem der Pascha die Truppen gemustert und das
Lager besichtigt, verfügten wir uns nach Asbusu, der Som-
merstadt von Malatia. Ueber diesen wunderlieblichen Auf-
enthalt habe ich Dir schon in früheren Briefen geschrieben;
man kann sich einbilden, in der lombardischen Ebene zu
sein, so viel frisches Grün der Maulbeerbäume und Wein-
gärten, so zahllose kleine Kanäle mit klarem, rauschendem
Wasser giebt es hier. Mein Konak (Wohnung) ist klein, aber
einer der hübschesten, die ich hier gefunden, und es trifft sich
wirklich recht seltsam, daß vor mir Wassaf-Effendi ihn
bewohnte. Dieser allmächtige Günstling, von dem ich Dir,
als ich den Großherrn begleitete, geschrieben habe (und
der, beiläufig gesagt, in allen Dingen mein Gegner war),
fiel bald nach der Rückkehr nach Konstantinopel in Ungnade,
und wurde nach Maaden, d. h. in den Bezirk der Berg-

20

glaͤnzendes Schneefloͤckchen ihren Strahlen trotzt, dann lebt
man auf; nach und nach erſcheinen dann auf allen Daͤ-
chern die Familien, um Luft zu ſchoͤpfen. Dort werden
die Teppiche ausgebreitet und Kiſſen gelegt fuͤr den Haus-
herrn; er laͤßt ſich von den jungen Mitgliederu der Fami-
lie bedienen, welche ehrerbietig vor ihm ſtehen bleiben, waͤh-
rend er die Pfeife trinkt; dann erſcheint die große runde
Meſſingplatte mit zahlloſen zinnernen Schuͤſſeln, welche das
Mittagsmahl enthalten, und endlich der Kaffee. Nach gu-
ter Sitte geht man fruͤh ſchlafen, nichts als den pracht-
voll funkelnden Sternhimmel uͤber ſich, um fruͤh, wenn die
aufgehende Sonne den hoͤchſten Gipfel roͤthet, vor ihr die
Flucht zu ergreifen und an ſein Geſchaͤft zu gehen.

Herzlich froh war ich, als der Paſcha mich in Kar-
put aufforderte, mit ihm in ſeiner vierſpaͤnnigen Kaleſche
nach Malatia zu fahren; das mußt Du Dir vorſtellen un-
gefaͤhr, als wenn man bei uns Jemand vorſchlaͤgt, mit ihm
in einem Luftballon aufzuſteigen. Die Sache ging vortreff-
lich bis an den naͤchſten Berg; dort erkannten wir, daß in
dieſem Lande ein Mauleſel eine weit zuverlaͤſſigere Reiſe-
gelegenheit iſt, als ein Wiener Wagen.

Nachdem der Paſcha die Truppen gemuſtert und das
Lager beſichtigt, verfuͤgten wir uns nach Asbuſu, der Som-
merſtadt von Malatia. Ueber dieſen wunderlieblichen Auf-
enthalt habe ich Dir ſchon in fruͤheren Briefen geſchrieben;
man kann ſich einbilden, in der lombardiſchen Ebene zu
ſein, ſo viel friſches Gruͤn der Maulbeerbaͤume und Wein-
gaͤrten, ſo zahlloſe kleine Kanaͤle mit klarem, rauſchendem
Waſſer giebt es hier. Mein Konak (Wohnung) iſt klein, aber
einer der huͤbſcheſten, die ich hier gefunden, und es trifft ſich
wirklich recht ſeltſam, daß vor mir Waſſaf-Effendi ihn
bewohnte. Dieſer allmaͤchtige Guͤnſtling, von dem ich Dir,
als ich den Großherrn begleitete, geſchrieben habe (und
der, beilaͤufig geſagt, in allen Dingen mein Gegner war),
fiel bald nach der Ruͤckkehr nach Konſtantinopel in Ungnade,
und wurde nach Maaden, d. h. in den Bezirk der Berg-

20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0315" n="305"/>
gla&#x0364;nzendes Schneeflo&#x0364;ckchen ihren Strahlen trotzt, dann lebt<lb/>
man auf; nach und nach er&#x017F;cheinen dann auf allen Da&#x0364;-<lb/>
chern die Familien, um Luft zu &#x017F;cho&#x0364;pfen. Dort werden<lb/>
die Teppiche ausgebreitet und Ki&#x017F;&#x017F;en gelegt fu&#x0364;r den Haus-<lb/>
herrn; er la&#x0364;ßt &#x017F;ich von den jungen Mitgliederu der Fami-<lb/>
lie bedienen, welche ehrerbietig vor ihm &#x017F;tehen bleiben, wa&#x0364;h-<lb/>
rend er die Pfeife trinkt; dann er&#x017F;cheint die große runde<lb/>
Me&#x017F;&#x017F;ingplatte mit zahllo&#x017F;en zinnernen Schu&#x0364;&#x017F;&#x017F;eln, welche das<lb/>
Mittagsmahl enthalten, und endlich der Kaffee. Nach gu-<lb/>
ter Sitte geht man fru&#x0364;h &#x017F;chlafen, nichts als den pracht-<lb/>
voll funkelnden Sternhimmel u&#x0364;ber &#x017F;ich, um fru&#x0364;h, wenn die<lb/>
aufgehende Sonne den ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gipfel ro&#x0364;thet, vor ihr die<lb/>
Flucht zu ergreifen und an &#x017F;ein Ge&#x017F;cha&#x0364;ft zu gehen.</p><lb/>
        <p>Herzlich froh war ich, als der Pa&#x017F;cha mich in Kar-<lb/>
put aufforderte, mit ihm in &#x017F;einer vier&#x017F;pa&#x0364;nnigen Kale&#x017F;che<lb/>
nach Malatia zu fahren; das mußt Du Dir vor&#x017F;tellen un-<lb/>
gefa&#x0364;hr, als wenn man bei uns Jemand vor&#x017F;chla&#x0364;gt, mit ihm<lb/>
in einem Luftballon aufzu&#x017F;teigen. Die Sache ging vortreff-<lb/>
lich bis an den na&#x0364;ch&#x017F;ten Berg; dort erkannten wir, daß in<lb/>
die&#x017F;em Lande ein Maule&#x017F;el eine weit zuverla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igere Rei&#x017F;e-<lb/>
gelegenheit i&#x017F;t, als ein Wiener Wagen.</p><lb/>
        <p>Nachdem der Pa&#x017F;cha die Truppen gemu&#x017F;tert und das<lb/>
Lager be&#x017F;ichtigt, verfu&#x0364;gten wir uns nach Asbu&#x017F;u, der Som-<lb/>
mer&#x017F;tadt von Malatia. Ueber die&#x017F;en wunderlieblichen Auf-<lb/>
enthalt habe ich Dir &#x017F;chon in fru&#x0364;heren Briefen ge&#x017F;chrieben;<lb/>
man kann &#x017F;ich einbilden, in der lombardi&#x017F;chen Ebene zu<lb/>
&#x017F;ein, &#x017F;o viel fri&#x017F;ches Gru&#x0364;n der Maulbeerba&#x0364;ume und Wein-<lb/>
ga&#x0364;rten, &#x017F;o zahllo&#x017F;e kleine Kana&#x0364;le mit klarem, rau&#x017F;chendem<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er giebt es hier. Mein Konak (Wohnung) i&#x017F;t klein, aber<lb/>
einer der hu&#x0364;b&#x017F;che&#x017F;ten, die ich hier gefunden, und es trifft &#x017F;ich<lb/>
wirklich recht &#x017F;elt&#x017F;am, daß vor mir <hi rendition="#g">Wa&#x017F;&#x017F;af-Effendi</hi> ihn<lb/>
bewohnte. Die&#x017F;er allma&#x0364;chtige Gu&#x0364;n&#x017F;tling, von dem ich Dir,<lb/>
als ich den Großherrn begleitete, ge&#x017F;chrieben habe (und<lb/>
der, beila&#x0364;ufig ge&#x017F;agt, in allen Dingen mein Gegner war),<lb/>
fiel bald nach der Ru&#x0364;ckkehr nach Kon&#x017F;tantinopel in Ungnade,<lb/>
und wurde nach Maaden, d. h. in den Bezirk der Berg-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">20</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0315] glaͤnzendes Schneefloͤckchen ihren Strahlen trotzt, dann lebt man auf; nach und nach erſcheinen dann auf allen Daͤ- chern die Familien, um Luft zu ſchoͤpfen. Dort werden die Teppiche ausgebreitet und Kiſſen gelegt fuͤr den Haus- herrn; er laͤßt ſich von den jungen Mitgliederu der Fami- lie bedienen, welche ehrerbietig vor ihm ſtehen bleiben, waͤh- rend er die Pfeife trinkt; dann erſcheint die große runde Meſſingplatte mit zahlloſen zinnernen Schuͤſſeln, welche das Mittagsmahl enthalten, und endlich der Kaffee. Nach gu- ter Sitte geht man fruͤh ſchlafen, nichts als den pracht- voll funkelnden Sternhimmel uͤber ſich, um fruͤh, wenn die aufgehende Sonne den hoͤchſten Gipfel roͤthet, vor ihr die Flucht zu ergreifen und an ſein Geſchaͤft zu gehen. Herzlich froh war ich, als der Paſcha mich in Kar- put aufforderte, mit ihm in ſeiner vierſpaͤnnigen Kaleſche nach Malatia zu fahren; das mußt Du Dir vorſtellen un- gefaͤhr, als wenn man bei uns Jemand vorſchlaͤgt, mit ihm in einem Luftballon aufzuſteigen. Die Sache ging vortreff- lich bis an den naͤchſten Berg; dort erkannten wir, daß in dieſem Lande ein Mauleſel eine weit zuverlaͤſſigere Reiſe- gelegenheit iſt, als ein Wiener Wagen. Nachdem der Paſcha die Truppen gemuſtert und das Lager beſichtigt, verfuͤgten wir uns nach Asbuſu, der Som- merſtadt von Malatia. Ueber dieſen wunderlieblichen Auf- enthalt habe ich Dir ſchon in fruͤheren Briefen geſchrieben; man kann ſich einbilden, in der lombardiſchen Ebene zu ſein, ſo viel friſches Gruͤn der Maulbeerbaͤume und Wein- gaͤrten, ſo zahlloſe kleine Kanaͤle mit klarem, rauſchendem Waſſer giebt es hier. Mein Konak (Wohnung) iſt klein, aber einer der huͤbſcheſten, die ich hier gefunden, und es trifft ſich wirklich recht ſeltſam, daß vor mir Waſſaf-Effendi ihn bewohnte. Dieſer allmaͤchtige Guͤnſtling, von dem ich Dir, als ich den Großherrn begleitete, geſchrieben habe (und der, beilaͤufig geſagt, in allen Dingen mein Gegner war), fiel bald nach der Ruͤckkehr nach Konſtantinopel in Ungnade, und wurde nach Maaden, d. h. in den Bezirk der Berg- 20

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/315
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/315>, abgerufen am 17.05.2024.