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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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ser Mittel wurde die Sache aber immer schlimmer, und
der griechische Apotheker mit dem Klystier citirt, welches
bisher als "Haram" oder Sünde verworfen war; jetzt folgt
er den Vorschriften eines türkischen Arztes (außer in Be-
tracht, worauf er Appetit hat), fragt aber zugleich meinen
Dragoman um Rath über den Rath des Arztes. -- "O!
Jüngling, lern' aus der Geschichte."

Sobald ein Rathschlag einige Verwickelungen und
Schwierigkeiten nach sich zieht, wird der Urheber in die
Categorie des englischen Arztes rangirt werden; dann
wird man sich Rath aller Orten erholen, von Allem et-
was, und endlich gar nichts mehr thun, sondern die Dinge
werden ihren eigenen Gang gehen.

Die Pest ist in Siwas ausgebrochen, man hat dort
sanitäre Anstalten getroffen. Bei dem großen Verkehr, in
welchem wir stehen, ist aber doch eine fünftägige Quaran-
taine für alle von dort herkommende Reisende und Sachen
zu Hekim-hann beschlossen worden. Der Gesundheitszustand
der Truppen ist so schlecht wie möglich; mehrere tausend
Kranke und noch mehr Reconvalescenten, -- Alles ohne
Arzt! Wir sind in diesem Augenblick fast unfähig, einen
Feldzug zu machen, wir würden die halbe Mannschaft un-
terwegs lassen.

Der Pascha ist nun seit sechs Wochen unpäßlich, und
in all der Zeit hat er seine Truppen nicht gesehen; Abends
läßt er mich rufen, dann setzen wir uns auf unsere Maul-
esel und reiten nach irgend einem nahen Garten oder Wein-
berg, breiten Teppiche an die Erde, rauchen, trinken Wasser
aus dem Euphrat, welches eigends herbei geholt wird, und
reiten mit der Dunkelheit friedlich nach Hause. So leben
wir, vielleicht wenige Wochen vor Ausbruch eines entschei-
den Feldzugs.

Die Hitze ist hier immer noch sehr groß und die beste
Zeit die Nacht; seit Monaten schlafe ich nun schon im Freien
auf dem flachen Dache des Hauses. Meine Wohnung liegt
hart an einem Abgrund, und es ist von oben eine präch-

ſer Mittel wurde die Sache aber immer ſchlimmer, und
der griechiſche Apotheker mit dem Klyſtier citirt, welches
bisher als „Haram“ oder Suͤnde verworfen war; jetzt folgt
er den Vorſchriften eines tuͤrkiſchen Arztes (außer in Be-
tracht, worauf er Appetit hat), fragt aber zugleich meinen
Dragoman um Rath uͤber den Rath des Arztes. — „O!
Juͤngling, lern' aus der Geſchichte.“

Sobald ein Rathſchlag einige Verwickelungen und
Schwierigkeiten nach ſich zieht, wird der Urheber in die
Categorie des engliſchen Arztes rangirt werden; dann
wird man ſich Rath aller Orten erholen, von Allem et-
was, und endlich gar nichts mehr thun, ſondern die Dinge
werden ihren eigenen Gang gehen.

Die Peſt iſt in Siwas ausgebrochen, man hat dort
ſanitaͤre Anſtalten getroffen. Bei dem großen Verkehr, in
welchem wir ſtehen, iſt aber doch eine fuͤnftaͤgige Quaran-
taine fuͤr alle von dort herkommende Reiſende und Sachen
zu Hekim-hann beſchloſſen worden. Der Geſundheitszuſtand
der Truppen iſt ſo ſchlecht wie moͤglich; mehrere tauſend
Kranke und noch mehr Reconvaleſcenten, — Alles ohne
Arzt! Wir ſind in dieſem Augenblick faſt unfaͤhig, einen
Feldzug zu machen, wir wuͤrden die halbe Mannſchaft un-
terwegs laſſen.

Der Paſcha iſt nun ſeit ſechs Wochen unpaͤßlich, und
in all der Zeit hat er ſeine Truppen nicht geſehen; Abends
laͤßt er mich rufen, dann ſetzen wir uns auf unſere Maul-
eſel und reiten nach irgend einem nahen Garten oder Wein-
berg, breiten Teppiche an die Erde, rauchen, trinken Waſſer
aus dem Euphrat, welches eigends herbei geholt wird, und
reiten mit der Dunkelheit friedlich nach Hauſe. So leben
wir, vielleicht wenige Wochen vor Ausbruch eines entſchei-
den Feldzugs.

Die Hitze iſt hier immer noch ſehr groß und die beſte
Zeit die Nacht; ſeit Monaten ſchlafe ich nun ſchon im Freien
auf dem flachen Dache des Hauſes. Meine Wohnung liegt
hart an einem Abgrund, und es iſt von oben eine praͤch-

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[302/0312] ſer Mittel wurde die Sache aber immer ſchlimmer, und der griechiſche Apotheker mit dem Klyſtier citirt, welches bisher als „Haram“ oder Suͤnde verworfen war; jetzt folgt er den Vorſchriften eines tuͤrkiſchen Arztes (außer in Be- tracht, worauf er Appetit hat), fragt aber zugleich meinen Dragoman um Rath uͤber den Rath des Arztes. — „O! Juͤngling, lern' aus der Geſchichte.“ Sobald ein Rathſchlag einige Verwickelungen und Schwierigkeiten nach ſich zieht, wird der Urheber in die Categorie des engliſchen Arztes rangirt werden; dann wird man ſich Rath aller Orten erholen, von Allem et- was, und endlich gar nichts mehr thun, ſondern die Dinge werden ihren eigenen Gang gehen. Die Peſt iſt in Siwas ausgebrochen, man hat dort ſanitaͤre Anſtalten getroffen. Bei dem großen Verkehr, in welchem wir ſtehen, iſt aber doch eine fuͤnftaͤgige Quaran- taine fuͤr alle von dort herkommende Reiſende und Sachen zu Hekim-hann beſchloſſen worden. Der Geſundheitszuſtand der Truppen iſt ſo ſchlecht wie moͤglich; mehrere tauſend Kranke und noch mehr Reconvaleſcenten, — Alles ohne Arzt! Wir ſind in dieſem Augenblick faſt unfaͤhig, einen Feldzug zu machen, wir wuͤrden die halbe Mannſchaft un- terwegs laſſen. Der Paſcha iſt nun ſeit ſechs Wochen unpaͤßlich, und in all der Zeit hat er ſeine Truppen nicht geſehen; Abends laͤßt er mich rufen, dann ſetzen wir uns auf unſere Maul- eſel und reiten nach irgend einem nahen Garten oder Wein- berg, breiten Teppiche an die Erde, rauchen, trinken Waſſer aus dem Euphrat, welches eigends herbei geholt wird, und reiten mit der Dunkelheit friedlich nach Hauſe. So leben wir, vielleicht wenige Wochen vor Ausbruch eines entſchei- den Feldzugs. Die Hitze iſt hier immer noch ſehr groß und die beſte Zeit die Nacht; ſeit Monaten ſchlafe ich nun ſchon im Freien auf dem flachen Dache des Hauſes. Meine Wohnung liegt hart an einem Abgrund, und es iſt von oben eine praͤch-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/312>, abgerufen am 22.11.2024.