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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Blick in die weite Ebene von Malatia müsse sich öffnen,
aber eine Enttäuschung folgte der andern. Plötzlich stan-
den wir neben einer der gewaltigsten Quellen; das krystall-
helle kalte Wasser sprudelt armdick an zwanzig bis dreißig
Stellen aus dem Kalksteine hervor und strömt als rau-
schender Bach zwischen schönen Platanen und grünen Ufern
über Felstrümmer und Gestein. Eine Gruppe großer Maul-
beerbäume erquickte uns durch ihre Schatten und süßen
Beeren.

Jch werde nie den köstlichen Eindruck vergessen, den von
hier an das Thal des Sultan-suj macht. Als man einem
berühmten englischen Jngenieur den Einwurf machte, wozu
er wohl meine, daß Gott die Flüsse geschaffen, antwortete
er: "um die Kanäle zu speisen." -- Jch denke, er hätte
hinzu setzen können: "und um die Felder zu bewässern."
Wirklich glaube ich, daß man in funfzig oder hundert Jah-
ren solche trübselige Ströme, wie die Oder und Elbe, in
welchen die Schiffer sich des Sommers mit dem Spaten
durchgraben müssen, gar nicht mehr statuiren, sondern die
sie umringenden Sandschellen mit ihrem Wasser begießen
wird. Den Sultan-suj hat man dicht an seinem Ursprung
schon gefaßt und ihn zu beiden Seiten des Thals wohl
200 Fuß über der natürlichen Thalsohle an den Berg-
lehnen und auf Brückenbögen über die Querthäler hinge-
führt; die Thalwände entfernen sich mehr und mehr bis
zu einer Breite von wohl 1000 Schritten, und dieser ganze
Zwischenraum ist angefüllt mit einer fortlaufenden, vier
geographische Meilen langen Reihe von Ortschaften, den
Dörfern Hyndebeg, Tschirmigly, Vargasu und Asbusu,
welche sich bis auf eine Stunde nahe an Malatia (dem
alten Melitene) heran erstrecken. Alles, was unterhalb
jenes Wasserfadens liegt, ist ein Paradies, was eine Hand-
breit oberhalb desselben, eine Wüste. Das tiefe, schattige
Grün des Thals, unter welchem 20,000 Menschen wohnen,
contrastirt wunderbar mit dem grau und röthlichen Gestein
der Höhe, welche von der Sonnenhitze zu glühen scheint,

Blick in die weite Ebene von Malatia muͤſſe ſich oͤffnen,
aber eine Enttaͤuſchung folgte der andern. Ploͤtzlich ſtan-
den wir neben einer der gewaltigſten Quellen; das kryſtall-
helle kalte Waſſer ſprudelt armdick an zwanzig bis dreißig
Stellen aus dem Kalkſteine hervor und ſtroͤmt als rau-
ſchender Bach zwiſchen ſchoͤnen Platanen und gruͤnen Ufern
uͤber Felstruͤmmer und Geſtein. Eine Gruppe großer Maul-
beerbaͤume erquickte uns durch ihre Schatten und ſuͤßen
Beeren.

Jch werde nie den koͤſtlichen Eindruck vergeſſen, den von
hier an das Thal des Sultan-ſuj macht. Als man einem
beruͤhmten engliſchen Jngenieur den Einwurf machte, wozu
er wohl meine, daß Gott die Fluͤſſe geſchaffen, antwortete
er: „um die Kanaͤle zu ſpeiſen.“ — Jch denke, er haͤtte
hinzu ſetzen koͤnnen: „und um die Felder zu bewaͤſſern.“
Wirklich glaube ich, daß man in funfzig oder hundert Jah-
ren ſolche truͤbſelige Stroͤme, wie die Oder und Elbe, in
welchen die Schiffer ſich des Sommers mit dem Spaten
durchgraben muͤſſen, gar nicht mehr ſtatuiren, ſondern die
ſie umringenden Sandſchellen mit ihrem Waſſer begießen
wird. Den Sultan-ſuj hat man dicht an ſeinem Urſprung
ſchon gefaßt und ihn zu beiden Seiten des Thals wohl
200 Fuß uͤber der natuͤrlichen Thalſohle an den Berg-
lehnen und auf Bruͤckenboͤgen uͤber die Querthaͤler hinge-
fuͤhrt; die Thalwaͤnde entfernen ſich mehr und mehr bis
zu einer Breite von wohl 1000 Schritten, und dieſer ganze
Zwiſchenraum iſt angefuͤllt mit einer fortlaufenden, vier
geographiſche Meilen langen Reihe von Ortſchaften, den
Doͤrfern Hyndebeg, Tſchirmigly, Vargaſu und Asbuſu,
welche ſich bis auf eine Stunde nahe an Malatia (dem
alten Melitene) heran erſtrecken. Alles, was unterhalb
jenes Waſſerfadens liegt, iſt ein Paradies, was eine Hand-
breit oberhalb deſſelben, eine Wuͤſte. Das tiefe, ſchattige
Gruͤn des Thals, unter welchem 20,000 Menſchen wohnen,
contraſtirt wunderbar mit dem grau und roͤthlichen Geſtein
der Hoͤhe, welche von der Sonnenhitze zu gluͤhen ſcheint,

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[299/0309] Blick in die weite Ebene von Malatia muͤſſe ſich oͤffnen, aber eine Enttaͤuſchung folgte der andern. Ploͤtzlich ſtan- den wir neben einer der gewaltigſten Quellen; das kryſtall- helle kalte Waſſer ſprudelt armdick an zwanzig bis dreißig Stellen aus dem Kalkſteine hervor und ſtroͤmt als rau- ſchender Bach zwiſchen ſchoͤnen Platanen und gruͤnen Ufern uͤber Felstruͤmmer und Geſtein. Eine Gruppe großer Maul- beerbaͤume erquickte uns durch ihre Schatten und ſuͤßen Beeren. Jch werde nie den koͤſtlichen Eindruck vergeſſen, den von hier an das Thal des Sultan-ſuj macht. Als man einem beruͤhmten engliſchen Jngenieur den Einwurf machte, wozu er wohl meine, daß Gott die Fluͤſſe geſchaffen, antwortete er: „um die Kanaͤle zu ſpeiſen.“ — Jch denke, er haͤtte hinzu ſetzen koͤnnen: „und um die Felder zu bewaͤſſern.“ Wirklich glaube ich, daß man in funfzig oder hundert Jah- ren ſolche truͤbſelige Stroͤme, wie die Oder und Elbe, in welchen die Schiffer ſich des Sommers mit dem Spaten durchgraben muͤſſen, gar nicht mehr ſtatuiren, ſondern die ſie umringenden Sandſchellen mit ihrem Waſſer begießen wird. Den Sultan-ſuj hat man dicht an ſeinem Urſprung ſchon gefaßt und ihn zu beiden Seiten des Thals wohl 200 Fuß uͤber der natuͤrlichen Thalſohle an den Berg- lehnen und auf Bruͤckenboͤgen uͤber die Querthaͤler hinge- fuͤhrt; die Thalwaͤnde entfernen ſich mehr und mehr bis zu einer Breite von wohl 1000 Schritten, und dieſer ganze Zwiſchenraum iſt angefuͤllt mit einer fortlaufenden, vier geographiſche Meilen langen Reihe von Ortſchaften, den Doͤrfern Hyndebeg, Tſchirmigly, Vargaſu und Asbuſu, welche ſich bis auf eine Stunde nahe an Malatia (dem alten Melitene) heran erſtrecken. Alles, was unterhalb jenes Waſſerfadens liegt, iſt ein Paradies, was eine Hand- breit oberhalb deſſelben, eine Wuͤſte. Das tiefe, ſchattige Gruͤn des Thals, unter welchem 20,000 Menſchen wohnen, contraſtirt wunderbar mit dem grau und roͤthlichen Geſtein der Hoͤhe, welche von der Sonnenhitze zu gluͤhen ſcheint,

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/309>, abgerufen am 21.05.2024.