Auge, so in der Schlucht von Chadschaly, wo ein mächtiger Bach aus einer röthlichen Sandsteinwand bricht, schäumend 60 oder 80 Fuß tief hinab stürzt und dann unter breiten schattigen Platanen forteilt.
Nachdem wir die größte Höhe des Gebirgs erstiegen, erblickten wir plötzlich tief unter uns ein reizendes Thal; die grüne, völlig wagerechte Ebene von wohl einer Meile im Durchmesser war mit Saaten und Feldern geschmückt, von vier schlängelnden Bächen mit krystallhellem Wasser durchzogen und rings von himmelhohen Bergen umgeben, an deren Fuß mehrere Dörfer lagen. Mit der letzten An- strengung unserer müden Thiere kletterten wir hinab, und erreichten mit Sonnenuntergang, also nach achtzehnstündi- gem Ritt, ein Dorf, welches unter den riesenhaftesten Nuß- bäumen versteckt lag, die ich je gesehen. Aber wie groß war unser Verdruß, als wir alle Häuser verlassen und leer fanden.
Die Kurden ziehen während des Sommers oft aus ihren Dörfern aus und bringen die heiße Jahreszeit mit den Heerden auf den kühlen Bergen zu; so wie der Schnee schmilzt, und grüne Weiden bloß werden, steigen sie höher empor, und wir mußten noch eine neue Bergwand erklim- men, wo wir aus großer Ferne Rauch gesehen zu haben glaubten. Jndem wir aus dem Gebüsch heraustraten, be- fanden wir uns plötzlich mitten im Kurden-Lager; die schwarzen Zelte standen in einem weiten Kreise herum, die Weiber waren mit den Heerden beschäftigt, die Männer lagen auf Teppichen an der Erde und rauchten, und Schaa- ren von Kindern spielten um sie herum.
Unsere Erscheinung verursachte einen allgemeinen Auf- stand. Wenn ich daran dachte, wie diese armen Menschen in letzter Zeit von den Türken behandelt worden, wie man ihre Dörfer verbrannt, ihre Saaten zertreten und ihre Söhne für den Dienst gewaltsam weggeführt, so blickte ich nicht ohne einiges Mißtrauen auf diese Scene. Meine Marine- truppe war in der That nicht sehr formidabel und mein
Auge, ſo in der Schlucht von Chadſchaly, wo ein maͤchtiger Bach aus einer roͤthlichen Sandſteinwand bricht, ſchaͤumend 60 oder 80 Fuß tief hinab ſtuͤrzt und dann unter breiten ſchattigen Platanen forteilt.
Nachdem wir die groͤßte Hoͤhe des Gebirgs erſtiegen, erblickten wir ploͤtzlich tief unter uns ein reizendes Thal; die gruͤne, voͤllig wagerechte Ebene von wohl einer Meile im Durchmeſſer war mit Saaten und Feldern geſchmuͤckt, von vier ſchlaͤngelnden Baͤchen mit kryſtallhellem Waſſer durchzogen und rings von himmelhohen Bergen umgeben, an deren Fuß mehrere Doͤrfer lagen. Mit der letzten An- ſtrengung unſerer muͤden Thiere kletterten wir hinab, und erreichten mit Sonnenuntergang, alſo nach achtzehnſtuͤndi- gem Ritt, ein Dorf, welches unter den rieſenhafteſten Nuß- baͤumen verſteckt lag, die ich je geſehen. Aber wie groß war unſer Verdruß, als wir alle Haͤuſer verlaſſen und leer fanden.
Die Kurden ziehen waͤhrend des Sommers oft aus ihren Doͤrfern aus und bringen die heiße Jahreszeit mit den Heerden auf den kuͤhlen Bergen zu; ſo wie der Schnee ſchmilzt, und gruͤne Weiden bloß werden, ſteigen ſie hoͤher empor, und wir mußten noch eine neue Bergwand erklim- men, wo wir aus großer Ferne Rauch geſehen zu haben glaubten. Jndem wir aus dem Gebuͤſch heraustraten, be- fanden wir uns ploͤtzlich mitten im Kurden-Lager; die ſchwarzen Zelte ſtanden in einem weiten Kreiſe herum, die Weiber waren mit den Heerden beſchaͤftigt, die Maͤnner lagen auf Teppichen an der Erde und rauchten, und Schaa- ren von Kindern ſpielten um ſie herum.
Unſere Erſcheinung verurſachte einen allgemeinen Auf- ſtand. Wenn ich daran dachte, wie dieſe armen Menſchen in letzter Zeit von den Tuͤrken behandelt worden, wie man ihre Doͤrfer verbrannt, ihre Saaten zertreten und ihre Soͤhne fuͤr den Dienſt gewaltſam weggefuͤhrt, ſo blickte ich nicht ohne einiges Mißtrauen auf dieſe Scene. Meine Marine- truppe war in der That nicht ſehr formidabel und mein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0307"n="297"/>
Auge, ſo in der Schlucht von Chadſchaly, wo ein maͤchtiger<lb/>
Bach aus einer roͤthlichen Sandſteinwand bricht, ſchaͤumend<lb/>
60 oder 80 Fuß tief hinab ſtuͤrzt und dann unter breiten<lb/>ſchattigen Platanen forteilt.</p><lb/><p>Nachdem wir die groͤßte Hoͤhe des Gebirgs erſtiegen,<lb/>
erblickten wir ploͤtzlich tief unter uns ein reizendes Thal;<lb/>
die gruͤne, voͤllig wagerechte Ebene von wohl einer Meile<lb/>
im Durchmeſſer war mit Saaten und Feldern geſchmuͤckt,<lb/>
von vier ſchlaͤngelnden Baͤchen mit kryſtallhellem Waſſer<lb/>
durchzogen und rings von himmelhohen Bergen umgeben,<lb/>
an deren Fuß mehrere Doͤrfer lagen. Mit der letzten An-<lb/>ſtrengung unſerer muͤden Thiere kletterten wir hinab, und<lb/>
erreichten mit Sonnenuntergang, alſo nach achtzehnſtuͤndi-<lb/>
gem Ritt, ein Dorf, welches unter den rieſenhafteſten Nuß-<lb/>
baͤumen verſteckt lag, die ich je geſehen. Aber wie groß<lb/>
war unſer Verdruß, als wir alle Haͤuſer verlaſſen und leer<lb/>
fanden.</p><lb/><p>Die Kurden ziehen waͤhrend des Sommers oft aus<lb/>
ihren Doͤrfern aus und bringen die heiße Jahreszeit mit<lb/>
den Heerden auf den kuͤhlen Bergen zu; ſo wie der Schnee<lb/>ſchmilzt, und gruͤne Weiden bloß werden, ſteigen ſie hoͤher<lb/>
empor, und wir mußten noch eine neue Bergwand erklim-<lb/>
men, wo wir aus großer Ferne Rauch geſehen zu haben<lb/>
glaubten. Jndem wir aus dem Gebuͤſch heraustraten, be-<lb/>
fanden wir uns ploͤtzlich mitten im Kurden-Lager; die<lb/>ſchwarzen Zelte ſtanden in einem weiten Kreiſe herum, die<lb/>
Weiber waren mit den Heerden beſchaͤftigt, die Maͤnner<lb/>
lagen auf Teppichen an der Erde und rauchten, und Schaa-<lb/>
ren von Kindern ſpielten um ſie herum.</p><lb/><p>Unſere Erſcheinung verurſachte einen allgemeinen Auf-<lb/>ſtand. Wenn ich daran dachte, wie dieſe armen Menſchen<lb/>
in letzter Zeit von den Tuͤrken behandelt worden, wie man<lb/>
ihre Doͤrfer verbrannt, ihre Saaten zertreten und ihre Soͤhne<lb/>
fuͤr den Dienſt gewaltſam weggefuͤhrt, ſo blickte ich nicht<lb/>
ohne einiges Mißtrauen auf dieſe Scene. Meine Marine-<lb/>
truppe war in der That nicht ſehr formidabel und mein<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[297/0307]
Auge, ſo in der Schlucht von Chadſchaly, wo ein maͤchtiger
Bach aus einer roͤthlichen Sandſteinwand bricht, ſchaͤumend
60 oder 80 Fuß tief hinab ſtuͤrzt und dann unter breiten
ſchattigen Platanen forteilt.
Nachdem wir die groͤßte Hoͤhe des Gebirgs erſtiegen,
erblickten wir ploͤtzlich tief unter uns ein reizendes Thal;
die gruͤne, voͤllig wagerechte Ebene von wohl einer Meile
im Durchmeſſer war mit Saaten und Feldern geſchmuͤckt,
von vier ſchlaͤngelnden Baͤchen mit kryſtallhellem Waſſer
durchzogen und rings von himmelhohen Bergen umgeben,
an deren Fuß mehrere Doͤrfer lagen. Mit der letzten An-
ſtrengung unſerer muͤden Thiere kletterten wir hinab, und
erreichten mit Sonnenuntergang, alſo nach achtzehnſtuͤndi-
gem Ritt, ein Dorf, welches unter den rieſenhafteſten Nuß-
baͤumen verſteckt lag, die ich je geſehen. Aber wie groß
war unſer Verdruß, als wir alle Haͤuſer verlaſſen und leer
fanden.
Die Kurden ziehen waͤhrend des Sommers oft aus
ihren Doͤrfern aus und bringen die heiße Jahreszeit mit
den Heerden auf den kuͤhlen Bergen zu; ſo wie der Schnee
ſchmilzt, und gruͤne Weiden bloß werden, ſteigen ſie hoͤher
empor, und wir mußten noch eine neue Bergwand erklim-
men, wo wir aus großer Ferne Rauch geſehen zu haben
glaubten. Jndem wir aus dem Gebuͤſch heraustraten, be-
fanden wir uns ploͤtzlich mitten im Kurden-Lager; die
ſchwarzen Zelte ſtanden in einem weiten Kreiſe herum, die
Weiber waren mit den Heerden beſchaͤftigt, die Maͤnner
lagen auf Teppichen an der Erde und rauchten, und Schaa-
ren von Kindern ſpielten um ſie herum.
Unſere Erſcheinung verurſachte einen allgemeinen Auf-
ſtand. Wenn ich daran dachte, wie dieſe armen Menſchen
in letzter Zeit von den Tuͤrken behandelt worden, wie man
ihre Doͤrfer verbrannt, ihre Saaten zertreten und ihre Soͤhne
fuͤr den Dienſt gewaltſam weggefuͤhrt, ſo blickte ich nicht
ohne einiges Mißtrauen auf dieſe Scene. Meine Marine-
truppe war in der That nicht ſehr formidabel und mein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/307>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.