fall von Nuchar" dabei schreiben, ein Name, den hier Niemand kennt. Wirklich hat auch bis jetzt noch kein eu- ropäischer Beobachter in diese pfadlose Wildniß, welche von den feindlichst gesinnten Kurdenstämmen bewohnt ist, vordringen können; längs der Ufer ist auf keine Weise fort- zukommen, sondern nur auf dem Flusse selbst.
Gegen den Strom würde auch das stärkste und flachste Eisen-Dampfschiff nicht anarbeiten können, abgesehen selbst von den Untiefen und Zickzacks des Laufs, und abwärts ist es wiederum für jedes andere Fahrzeug, als die Flöße aus ledernen Schäuchen, unmöglich. Ein solches Fahrzeug biegt sich wie ein Fisch und nimmt die Gestalt der Welle an, auf welcher es schwimmt, indem es sich aufwärts oder abwärts krümmt; es schadet ihm nichts, wenn es, mit Wasser überschüttet, momentan untergeht, und das gewalt- samste Anrennen gegen Klippen und Felsspitzen zerreißt höch- stens einen oder ein paar Schläuche. Unten angekommen, wird das leichte Gerüst in der durchaus holzarmen Gegend vortheilhaft verkauft, und ein Pferd oder Maulesel genügt, um die sämmtlichen Häute über Land nach dem Abfahrts- punkt zurück zu tragen. Jch habe oft gesehen, wie die An- wohner, indem sie sich rittlings auf einen Schlauch setzen, furchtlos quer über den breiten reißenden Strom des Eu- phrat oder Tigris schwimmen.
Hafiß-Pascha nun hat zweimal versuchen lassen, mit einem solchen Floß den Euphrat hinab zu fahren, aber die Sache gelang nur schlecht, und beide Male ertranken Men- schen bei dem Unternehmen; man hatte seitdem einige, frei- lich sehr unbedeutende, Steinsprengungen ausgeführt, und da der mittlere Wasserstand, den wir eben jetzt haben, dem Unternehmen günstig, so bat der Pascha mich, einen neuen Versuch zu machen, ob es überhaupt ausführbar sei, den Euphrat als Wasserstraße abwärts zu benutzen. Ein sehr solides Floß aus sechzig Häuten wurde zu Palu gebaut, wohl verproviantirt und mit vier rüstigen Ruderern be- mannt; ich bestieg es den 10. Juli in Begleitung von zweien
fall von Nuchar“ dabei ſchreiben, ein Name, den hier Niemand kennt. Wirklich hat auch bis jetzt noch kein eu- ropaͤiſcher Beobachter in dieſe pfadloſe Wildniß, welche von den feindlichſt geſinnten Kurdenſtaͤmmen bewohnt iſt, vordringen koͤnnen; laͤngs der Ufer iſt auf keine Weiſe fort- zukommen, ſondern nur auf dem Fluſſe ſelbſt.
Gegen den Strom wuͤrde auch das ſtaͤrkſte und flachſte Eiſen-Dampfſchiff nicht anarbeiten koͤnnen, abgeſehen ſelbſt von den Untiefen und Zickzacks des Laufs, und abwaͤrts iſt es wiederum fuͤr jedes andere Fahrzeug, als die Floͤße aus ledernen Schaͤuchen, unmoͤglich. Ein ſolches Fahrzeug biegt ſich wie ein Fiſch und nimmt die Geſtalt der Welle an, auf welcher es ſchwimmt, indem es ſich aufwaͤrts oder abwaͤrts kruͤmmt; es ſchadet ihm nichts, wenn es, mit Waſſer uͤberſchuͤttet, momentan untergeht, und das gewalt- ſamſte Anrennen gegen Klippen und Felsſpitzen zerreißt hoͤch- ſtens einen oder ein paar Schlaͤuche. Unten angekommen, wird das leichte Geruͤſt in der durchaus holzarmen Gegend vortheilhaft verkauft, und ein Pferd oder Mauleſel genuͤgt, um die ſaͤmmtlichen Haͤute uͤber Land nach dem Abfahrts- punkt zuruͤck zu tragen. Jch habe oft geſehen, wie die An- wohner, indem ſie ſich rittlings auf einen Schlauch ſetzen, furchtlos quer uͤber den breiten reißenden Strom des Eu- phrat oder Tigris ſchwimmen.
Hafiß-Paſcha nun hat zweimal verſuchen laſſen, mit einem ſolchen Floß den Euphrat hinab zu fahren, aber die Sache gelang nur ſchlecht, und beide Male ertranken Men- ſchen bei dem Unternehmen; man hatte ſeitdem einige, frei- lich ſehr unbedeutende, Steinſprengungen ausgefuͤhrt, und da der mittlere Waſſerſtand, den wir eben jetzt haben, dem Unternehmen guͤnſtig, ſo bat der Paſcha mich, einen neuen Verſuch zu machen, ob es uͤberhaupt ausfuͤhrbar ſei, den Euphrat als Waſſerſtraße abwaͤrts zu benutzen. Ein ſehr ſolides Floß aus ſechzig Haͤuten wurde zu Palu gebaut, wohl verproviantirt und mit vier ruͤſtigen Ruderern be- mannt; ich beſtieg es den 10. Juli in Begleitung von zweien
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fall von Nuchar“ dabei ſchreiben, ein Name, den hier
Niemand kennt. Wirklich hat auch bis jetzt noch kein eu-
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von den feindlichſt geſinnten Kurdenſtaͤmmen bewohnt iſt,
vordringen koͤnnen; laͤngs der Ufer iſt auf keine Weiſe fort-
zukommen, ſondern nur auf dem Fluſſe ſelbſt.
Gegen den Strom wuͤrde auch das ſtaͤrkſte und flachſte
Eiſen-Dampfſchiff nicht anarbeiten koͤnnen, abgeſehen ſelbſt
von den Untiefen und Zickzacks des Laufs, und abwaͤrts
iſt es wiederum fuͤr jedes andere Fahrzeug, als die Floͤße
aus ledernen Schaͤuchen, unmoͤglich. Ein ſolches Fahrzeug
biegt ſich wie ein Fiſch und nimmt die Geſtalt der Welle
an, auf welcher es ſchwimmt, indem es ſich aufwaͤrts oder
abwaͤrts kruͤmmt; es ſchadet ihm nichts, wenn es, mit
Waſſer uͤberſchuͤttet, momentan untergeht, und das gewalt-
ſamſte Anrennen gegen Klippen und Felsſpitzen zerreißt hoͤch-
ſtens einen oder ein paar Schlaͤuche. Unten angekommen,
wird das leichte Geruͤſt in der durchaus holzarmen Gegend
vortheilhaft verkauft, und ein Pferd oder Mauleſel genuͤgt,
um die ſaͤmmtlichen Haͤute uͤber Land nach dem Abfahrts-
punkt zuruͤck zu tragen. Jch habe oft geſehen, wie die An-
wohner, indem ſie ſich rittlings auf einen Schlauch ſetzen,
furchtlos quer uͤber den breiten reißenden Strom des Eu-
phrat oder Tigris ſchwimmen.
Hafiß-Paſcha nun hat zweimal verſuchen laſſen, mit
einem ſolchen Floß den Euphrat hinab zu fahren, aber die
Sache gelang nur ſchlecht, und beide Male ertranken Men-
ſchen bei dem Unternehmen; man hatte ſeitdem einige, frei-
lich ſehr unbedeutende, Steinſprengungen ausgefuͤhrt, und
da der mittlere Waſſerſtand, den wir eben jetzt haben, dem
Unternehmen guͤnſtig, ſo bat der Paſcha mich, einen neuen
Verſuch zu machen, ob es uͤberhaupt ausfuͤhrbar ſei, den
Euphrat als Waſſerſtraße abwaͤrts zu benutzen. Ein ſehr
ſolides Floß aus ſechzig Haͤuten wurde zu Palu gebaut,
wohl verproviantirt und mit vier ruͤſtigen Ruderern be-
mannt; ich beſtieg es den 10. Juli in Begleitung von zweien
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/300>, abgerufen am 25.11.2024.
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