brauchten volle zweimal vier und zwanzig Stunden, um un- ser kleines Heer nebst unsern Heerden überzusetzen, während dessen ich eine Excursion nach dem nahen Sert oder Söört machte, einer schönen Gebirgsstadt, die aber seit dem letz- ten Kriege noch zum Theil in Ruinen liegt. Einen Marsch weiter standen wir wieder an einem Wasser, des Jesid-hane- suj, welches 3- bis 400 Schritte breit, aber seicht war; wir wollten hier nicht wieder liegen bleiben, sondern um jeden Preis durch; beim ersten Versuch wäre mein Pferd beinahe mit mir davon geschwommen, kaum daß es noch Grund faßte. Wir fanden eine Stunde weiter oben eine bessere Stelle, und dort ging das Corps sofort über, die Jnfanterie bis über die Brust im Wasser; die Geschütze verschwanden ganz, und obschon sie sich an 8000 Fuß über dem Meeresspiegel befinden mochten, so waren sie doch voll- kommen unter dem Flußspiegel.
Wir waren jetzt einen kleinen Marsch vom Städtchen Hasu, welches feindlich gesinnt ist. Am folgenden Morgen rückten wir vorsichtig in zwei Colonnen heran, die Artille- rie sollte uns sofort den Eingang öffnen, als wir erfuhren, daß Niemand als wehrlose Rajahs dort zurückgeblieben, alle Moslem aber in die Gebirge entwichen seien. Wir bezogen ein Lager vor der Stadt; der Pascha schickte mich zu einer Recognoscirung vor, um das Lager für den nächsten Tag aufzusuchen; dazu gab er mir ein paar Dutzend kurdische Reiter mit, die nur mit Lanzen, Säbeln und Schilden be- waffnet waren. Das Dorf, wohin ich wollte, und dessen Lage sehr günstig war, um von dort weiter ins Gebirge ein- zudringen, war drittehalb Stunden entfernt; als unterwegs von den Bergen ein paar Schüsse fielen, wollten die Jrre- gulairen nicht mehr fort, und da ich mit ihnen nicht spre- chen konnte, so blieb mir nichts übrig, als allein weiter zu reiten, worauf ein Kurde mir folgte. Jch fand das Dorf verlassen, den Lagerplatz äußerst günstig. Nachdem ich dem Pascha diesen Bericht gemacht, nahm ich Gelegenheit, ihm zu sagen, daß man bei uns einem recognoscirenden Offizier
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brauchten volle zweimal vier und zwanzig Stunden, um un- ſer kleines Heer nebſt unſern Heerden uͤberzuſetzen, waͤhrend deſſen ich eine Excurſion nach dem nahen Sert oder Soͤoͤrt machte, einer ſchoͤnen Gebirgsſtadt, die aber ſeit dem letz- ten Kriege noch zum Theil in Ruinen liegt. Einen Marſch weiter ſtanden wir wieder an einem Waſſer, des Jeſid-hane- ſuj, welches 3- bis 400 Schritte breit, aber ſeicht war; wir wollten hier nicht wieder liegen bleiben, ſondern um jeden Preis durch; beim erſten Verſuch waͤre mein Pferd beinahe mit mir davon geſchwommen, kaum daß es noch Grund faßte. Wir fanden eine Stunde weiter oben eine beſſere Stelle, und dort ging das Corps ſofort uͤber, die Jnfanterie bis uͤber die Bruſt im Waſſer; die Geſchuͤtze verſchwanden ganz, und obſchon ſie ſich an 8000 Fuß uͤber dem Meeresſpiegel befinden mochten, ſo waren ſie doch voll- kommen unter dem Flußſpiegel.
Wir waren jetzt einen kleinen Marſch vom Staͤdtchen Haſu, welches feindlich geſinnt iſt. Am folgenden Morgen ruͤckten wir vorſichtig in zwei Colonnen heran, die Artille- rie ſollte uns ſofort den Eingang oͤffnen, als wir erfuhren, daß Niemand als wehrloſe Rajahs dort zuruͤckgeblieben, alle Moslem aber in die Gebirge entwichen ſeien. Wir bezogen ein Lager vor der Stadt; der Paſcha ſchickte mich zu einer Recognoſcirung vor, um das Lager fuͤr den naͤchſten Tag aufzuſuchen; dazu gab er mir ein paar Dutzend kurdiſche Reiter mit, die nur mit Lanzen, Saͤbeln und Schilden be- waffnet waren. Das Dorf, wohin ich wollte, und deſſen Lage ſehr guͤnſtig war, um von dort weiter ins Gebirge ein- zudringen, war drittehalb Stunden entfernt; als unterwegs von den Bergen ein paar Schuͤſſe fielen, wollten die Jrre- gulairen nicht mehr fort, und da ich mit ihnen nicht ſpre- chen konnte, ſo blieb mir nichts uͤbrig, als allein weiter zu reiten, worauf ein Kurde mir folgte. Jch fand das Dorf verlaſſen, den Lagerplatz aͤußerſt guͤnſtig. Nachdem ich dem Paſcha dieſen Bericht gemacht, nahm ich Gelegenheit, ihm zu ſagen, daß man bei uns einem recognoſcirenden Offizier
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brauchten volle zweimal vier und zwanzig Stunden, um un-
ſer kleines Heer nebſt unſern Heerden uͤberzuſetzen, waͤhrend
deſſen ich eine Excurſion nach dem nahen Sert oder Soͤoͤrt
machte, einer ſchoͤnen Gebirgsſtadt, die aber ſeit dem letz-
ten Kriege noch zum Theil in Ruinen liegt. Einen Marſch
weiter ſtanden wir wieder an einem Waſſer, des Jeſid-hane-
ſuj, welches 3- bis 400 Schritte breit, aber ſeicht war;
wir wollten hier nicht wieder liegen bleiben, ſondern um
jeden Preis durch; beim erſten Verſuch waͤre mein Pferd
beinahe mit mir davon geſchwommen, kaum daß es noch
Grund faßte. Wir fanden eine Stunde weiter oben eine
beſſere Stelle, und dort ging das Corps ſofort uͤber, die
Jnfanterie bis uͤber die Bruſt im Waſſer; die Geſchuͤtze
verſchwanden ganz, und obſchon ſie ſich an 8000 Fuß uͤber
dem Meeresſpiegel befinden mochten, ſo waren ſie doch voll-
kommen unter dem Flußſpiegel.
Wir waren jetzt einen kleinen Marſch vom Staͤdtchen
Haſu, welches feindlich geſinnt iſt. Am folgenden Morgen
ruͤckten wir vorſichtig in zwei Colonnen heran, die Artille-
rie ſollte uns ſofort den Eingang oͤffnen, als wir erfuhren,
daß Niemand als wehrloſe Rajahs dort zuruͤckgeblieben, alle
Moslem aber in die Gebirge entwichen ſeien. Wir bezogen
ein Lager vor der Stadt; der Paſcha ſchickte mich zu einer
Recognoſcirung vor, um das Lager fuͤr den naͤchſten Tag
aufzuſuchen; dazu gab er mir ein paar Dutzend kurdiſche
Reiter mit, die nur mit Lanzen, Saͤbeln und Schilden be-
waffnet waren. Das Dorf, wohin ich wollte, und deſſen
Lage ſehr guͤnſtig war, um von dort weiter ins Gebirge ein-
zudringen, war drittehalb Stunden entfernt; als unterwegs
von den Bergen ein paar Schuͤſſe fielen, wollten die Jrre-
gulairen nicht mehr fort, und da ich mit ihnen nicht ſpre-
chen konnte, ſo blieb mir nichts uͤbrig, als allein weiter zu
reiten, worauf ein Kurde mir folgte. Jch fand das Dorf
verlaſſen, den Lagerplatz aͤußerſt guͤnſtig. Nachdem ich dem
Paſcha dieſen Bericht gemacht, nahm ich Gelegenheit, ihm
zu ſagen, daß man bei uns einem recognoſcirenden Offizier
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/283>, abgerufen am 24.11.2024.
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