ein Kurde ist, und sogar der Erzerum-Valessi, von dessen Eingreifen ich jedoch bis heute noch nichts erfahren. -- So sollte Karsann rings umschlossen und von allen Seiten zugleich angegriffen werden. Man rechnete die Gegner auf 30,000 Gewehre; es fehlt ihnen aber aller Zusammenhang, kein Führer steht an ihrer Spitze, kein Schloß, keine Fe- stung giebt ihrem Widerstande dauernde Kraft.
Unser Weg nach Karsann durch die oberen Parallel- thäler der Tigriszuflüsse mit beständiger Ueberschreitung der 1- bis 2000 Fuß hohen Wasserscheiden war ungemein müh- sam. Man kann nicht leugnen, daß Reschid-Pascha große Arbeit in diesem Lande gemacht; er war es auch, der zuerst eine solche Straße mit Geschütz zu befahren ge- wagt. Wir folgten keuchend seiner Spur; aber einen eigent- lichen Weg darfst Du Dir nicht vorstellen. Wir hatten zehn starke Pferde vor jedem Geschütz, und so ging es über Steine und Gerölle, in Flußthälern, an Berglehnen hin; oft aber war der Pfad so gewunden und steil, daß Men- schenhände das Beste thun mußten. Es war schwer, in diesem hohen Gebirge die Lagerplätze für Zelte zu finden. Niemals hätte ich gedacht, daß bei einem Kriege in der Türkei mir die Saatfelder ein Hinderniß beim Lager-Ab- stecken sein würden, und doch war dies der Fall. Wir zogen durch befreundete Kurden-Dörfer und respectirten die Saat, als ob es Teltower Rübenfelder wären; dies Ver- fahren ist sehr klug und nicht genug zu rühmen. Der Pa- scha selbst hält zuweilen eine Stunde vor einem Dorfe, bis der Zug vorüber war, damit Niemand sich Erpressungen erlaube; auch kamen die Kurden ohne Furcht nach dem Ba- zar in unserm Lager, wo so ihre Waaren zum Verkauf brachten. Das ist ein mächtiger Schritt zur guten Ord- nung, den Du beim Seraskier hoch tönen lassen kannst. Die Flüsse setzten uns große Hindernisse in den Weg; das Doghan-suj war 150 Schritte breit und noch viel reißen- der, als der Tigris; die Flöße kamen über 1000, selbst über 1500 Schritte unterhalb des Abfahrtspunktes an; wir
ein Kurde iſt, und ſogar der Erzerum-Valeſſi, von deſſen Eingreifen ich jedoch bis heute noch nichts erfahren. — So ſollte Karſann rings umſchloſſen und von allen Seiten zugleich angegriffen werden. Man rechnete die Gegner auf 30,000 Gewehre; es fehlt ihnen aber aller Zuſammenhang, kein Fuͤhrer ſteht an ihrer Spitze, kein Schloß, keine Fe- ſtung giebt ihrem Widerſtande dauernde Kraft.
Unſer Weg nach Karſann durch die oberen Parallel- thaͤler der Tigriszufluͤſſe mit beſtaͤndiger Ueberſchreitung der 1- bis 2000 Fuß hohen Waſſerſcheiden war ungemein muͤh- ſam. Man kann nicht leugnen, daß Reſchid-Paſcha große Arbeit in dieſem Lande gemacht; er war es auch, der zuerſt eine ſolche Straße mit Geſchuͤtz zu befahren ge- wagt. Wir folgten keuchend ſeiner Spur; aber einen eigent- lichen Weg darfſt Du Dir nicht vorſtellen. Wir hatten zehn ſtarke Pferde vor jedem Geſchuͤtz, und ſo ging es uͤber Steine und Geroͤlle, in Flußthaͤlern, an Berglehnen hin; oft aber war der Pfad ſo gewunden und ſteil, daß Men- ſchenhaͤnde das Beſte thun mußten. Es war ſchwer, in dieſem hohen Gebirge die Lagerplaͤtze fuͤr Zelte zu finden. Niemals haͤtte ich gedacht, daß bei einem Kriege in der Tuͤrkei mir die Saatfelder ein Hinderniß beim Lager-Ab- ſtecken ſein wuͤrden, und doch war dies der Fall. Wir zogen durch befreundete Kurden-Doͤrfer und reſpectirten die Saat, als ob es Teltower Ruͤbenfelder waͤren; dies Ver- fahren iſt ſehr klug und nicht genug zu ruͤhmen. Der Pa- ſcha ſelbſt haͤlt zuweilen eine Stunde vor einem Dorfe, bis der Zug voruͤber war, damit Niemand ſich Erpreſſungen erlaube; auch kamen die Kurden ohne Furcht nach dem Ba- zar in unſerm Lager, wo ſo ihre Waaren zum Verkauf brachten. Das iſt ein maͤchtiger Schritt zur guten Ord- nung, den Du beim Seraskier hoch toͤnen laſſen kannſt. Die Fluͤſſe ſetzten uns große Hinderniſſe in den Weg; das Doghan-ſuj war 150 Schritte breit und noch viel reißen- der, als der Tigris; die Floͤße kamen uͤber 1000, ſelbſt uͤber 1500 Schritte unterhalb des Abfahrtspunktes an; wir
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ein Kurde iſt, und ſogar der Erzerum-Valeſſi, von deſſen
Eingreifen ich jedoch bis heute noch nichts erfahren. —
So ſollte Karſann rings umſchloſſen und von allen Seiten
zugleich angegriffen werden. Man rechnete die Gegner auf
30,000 Gewehre; es fehlt ihnen aber aller Zuſammenhang,
kein Fuͤhrer ſteht an ihrer Spitze, kein Schloß, keine Fe-
ſtung giebt ihrem Widerſtande dauernde Kraft.
Unſer Weg nach Karſann durch die oberen Parallel-
thaͤler der Tigriszufluͤſſe mit beſtaͤndiger Ueberſchreitung der
1- bis 2000 Fuß hohen Waſſerſcheiden war ungemein muͤh-
ſam. Man kann nicht leugnen, daß Reſchid-Paſcha
große Arbeit in dieſem Lande gemacht; er war es auch,
der zuerſt eine ſolche Straße mit Geſchuͤtz zu befahren ge-
wagt. Wir folgten keuchend ſeiner Spur; aber einen eigent-
lichen Weg darfſt Du Dir nicht vorſtellen. Wir hatten
zehn ſtarke Pferde vor jedem Geſchuͤtz, und ſo ging es uͤber
Steine und Geroͤlle, in Flußthaͤlern, an Berglehnen hin;
oft aber war der Pfad ſo gewunden und ſteil, daß Men-
ſchenhaͤnde das Beſte thun mußten. Es war ſchwer, in
dieſem hohen Gebirge die Lagerplaͤtze fuͤr Zelte zu finden.
Niemals haͤtte ich gedacht, daß bei einem Kriege in der
Tuͤrkei mir die Saatfelder ein Hinderniß beim Lager-Ab-
ſtecken ſein wuͤrden, und doch war dies der Fall. Wir
zogen durch befreundete Kurden-Doͤrfer und reſpectirten die
Saat, als ob es Teltower Ruͤbenfelder waͤren; dies Ver-
fahren iſt ſehr klug und nicht genug zu ruͤhmen. Der Pa-
ſcha ſelbſt haͤlt zuweilen eine Stunde vor einem Dorfe, bis
der Zug voruͤber war, damit Niemand ſich Erpreſſungen
erlaube; auch kamen die Kurden ohne Furcht nach dem Ba-
zar in unſerm Lager, wo ſo ihre Waaren zum Verkauf
brachten. Das iſt ein maͤchtiger Schritt zur guten Ord-
nung, den Du beim Seraskier hoch toͤnen laſſen kannſt.
Die Fluͤſſe ſetzten uns große Hinderniſſe in den Weg; das
Doghan-ſuj war 150 Schritte breit und noch viel reißen-
der, als der Tigris; die Floͤße kamen uͤber 1000, ſelbſt
uͤber 1500 Schritte unterhalb des Abfahrtspunktes an; wir
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/282>, abgerufen am 24.11.2024.
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